Snack Attack im Käfersupermarkt: Bei Weitem nicht alles, was in Südostasien verkocht und verzehrt wird, findet vor dem strengen Auge mitteleuropäischer Konsumenten Gnade.

Snack Attack im Käfersupermarkt: Bei Weitem nicht alles, was in Südostasien verkocht und verzehrt wird, findet vor dem strengen Auge mitteleuropäischer Konsumenten Gnade.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Andere Länder...

… andere Speisezettel. Was in Südostasien auf den Teller kommt, ist manchen Zeitgenossen hierzulande ein gehöriger Dorn im Auge. Sei es aus Umweltschutzgründen, sei es aus Ekel oder aus schlichter Überheblichkeit. Was dabei gerne übersehen wird: Auch unser Verständnis von artgerechter Tierhaltung und Biodiversität ist keineswegs wasserdicht.

Am Wiener Naschmarkt drängeln sich unzählige Touristen. Und manche von ihnen starren die Produkte an, als wären diese aus einem Kuriositätenkabinett. Vielen graust sogar ganz offensichtlich beim Anblick von unverpacktem Gemüse, von Lammhälften oder reifem Rohmilchkäse. Verrückte Welt.

Diese Szene funktioniert natürlich auch umgekehrt. Touristen aus dem Westen, die über die Märkte von Hanoi oder Phnom Penh schlendern, empfinden nicht selten einen Schauer beim Anblick unbekannter Früchte und Gewürze, geschlachteter oder (gerade noch) lebender Tiere aller Art. Sie empfinden jenes wohlige Ekelkribbeln beim Anblick getrockneter Schlangen und Käfer oder allerhand anderer, teils unbekannter Krabbeltiere. Und als ultimativen Kick für den kulinarischen Voyeur gibt es Delikatessen wie Schafsaugen, geröstete Insekten oder gleich Hunde- und Katzenfleisch.

Ungewöhnliche Lebensmittel sind echte Hingucker! Kaum jemand zieht einen herzhaften Biss in den nächstbesten gegrillten Makakenschenkel oder Rattenhintern tatsächlich ernsthaft in Betracht. Fasziniert und leicht angewidert flanieren wir am exotischen Grausen vorbei, während wir uns klammheimlich unserer kulturellen Überlegenheit gewiss sind. Ekelhaftes zu verspeisen, käme uns nie in den Sinn! Schon allein die angebliche westliche Zivilisiertheit verbietet den Verzehr dieser schaurig schönen toten Dschungelbewohner.

Eklig oder einfach nur knusprig? Insekten gehören in vielen Ländern Ostasiens zu den wichtigsten Proteinlieferanten im Alltag.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita
Eklig oder einfach nur knusprig? Insekten gehören in vielen Ländern Ostasiens zu den wichtigsten Proteinlieferanten im Alltag.

Moralische Erhöhung

Mit der Auswahl und der Zubereitung von Nahrung erschaffen wir Menschen Kultur und Gemeinschaft – und grenzen uns dadurch auch voneinander ab. Auf etwas eigentlich Essbares bewusst zu verzichten, kann individuelles oder kulturelles Überlegenheitsgefühl auslösen. Etwa bewusst kein Fleisch oder nur jenes ausgewählter Tiere zu essen, provoziert mitunter eine Art moralischer Erhöhung. Wegen religiöser oder ethischer Gesetze das Töten und den Verzehr gewisser Arten zu verweigern, verschafft Zugehörigkeit und Erhabenheit. Und am Ende ist es egal, ob wir aus politischen Gründen vegan sind, religiöse Tabus achten oder einfach nur eine gute Portion imperiale Arroganz durch die Welt tragen. In jedem Fall verachten wir andere Menschen wegen ihres Speiseplans.

Ob die europäische Fleischproduktion den exotischen Ernährungsgewohnheiten überlegen ist, sei ohnehin dahingestellt. Die moralische Fragwürdigkeit von Massentierhaltung, Vollspaltenböden, Anbindehaltung, Tiertransporten und industrialisierten Schlachthöfen wird seit vielen Jahren diskutiert. Bemerkenswerte Veränderungen sind indes tendenziell nicht in Sicht. Falls ein Stall mit Zehntausenden Hühnern oder Tausenden Rindern Zivilisiertheit darstellt, müsste entweder die Tierwohlpraxis oder die Zivilisation an sich hinterfragt werden. Das Fangen, Schlachten und Essen von Tieren aus dem Dschungel zur Fleischgewinnung ist jedenfalls um nichts schrecklicher. Durchschnittlich einmal pro Jahr essen Menschen in Südostasien wild gejagtes Fleisch – im Vergleich zum mitteleuropäischen Speiseplan ist das um wie viel weniger tierisches Protein?

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Problem Buschfleisch

Leider ist der Hunger nach Buschfleisch trotzdem ein Problem. Den Waldtieren wird mit Schlingenfallen aus Draht oder Nylon nachgestellt, die für alle Dschungelsäuger tödlich sein können. Selbst Tiger verenden qualvoll, sobald sie in eine ausgelegte Schlaufe geraten. Laut World Wildlife Fund sind siebenhundert Arten in Südostasien wegen der Buschfleischnachfrage vom Aussterben bedroht. Die gerade von uns Europäern so geliebten Tiger gehören zu jenen, die bereits ausgestorben sind. Und der Verlust der großen Schmusekätzchen schmerzt nicht allein die Touristiker, sondern auch den Wald. Gehen Jäger und/oder Aasfresser verloren, vermehren sich andere Viecher zu stark und bringen das Ökosystem ganz schön durcheinander. Andererseits ist der Faunaverlust auch für die Flora problematisch, denn jede Menge Säuger fressen Früchte und Kerne, um etwas später die Samen andernorts wieder auszuscheiden. Damit halten sie Ökosystem und Vielfalt aufrecht. Mit den Zoonosen, durch den Verzehr von Buschfleisch entstandenen Infektionskrankheiten, wollen wir gar nicht erst beginnen – Covid sitzt uns noch im Nacken.

Aber einmal ganz ehrlich: Weshalb bedauern wir diesen Biodiversitätsverlust überhaupt? Können wir unseren hart arbeitenden Freunden in Asien nicht einfach Hühner, Rinder, Schafe und Schweine und dazu passende Stallungen und Schlachthöfe schicken? Mehr braucht’s doch eh nicht – und die Wilderei würde gleich mit verschwinden. Auch könnte man anstelle des Dschungels noch mehr Palmölplantagen pflanzen, das schafft Arbeitsplätze und billige Schokolade. Kurz: Warum jammern wir dem Aussterben irgendwelcher Tier- und Pflanzenarten hinterher? Die meisten davon können oder wollen oder sollen wir ohnedies nicht essen …

Wie wär’s damit: Monokulturen schaffen Monopole. Sie konzentrieren Macht, sie vernichten Freiheit, und sie sind extrem riskant. Jede Tier- oder Pflanzenart ist am Erhalt des Ökosystem maßgeblich beteiligt und kann möglicherweise einem Verwandten bei Krankheit oder Schädlingsbefall schützend unter die Arme greifen. Biodiversität vermindert Risiken und kann Hungerkrisen oder Pandemien eindämmen. Ein Beispiel: Ohne Biodiversität gäbe es längst keinen Wein mehr. Ende des 19. Jahrhunderts vernichtete die Reblaus beinahe den gesamten Weinbestand Europas. Nur die Einfuhr kalifornischer Weinstöcke, die sich auf natürliche Weise gegen den Schädling wehren konnten, und die Veredelung europäischer Reben mit amerikanischem Erbgut verhinderten die Ausrottung des Weins. Ohne Biodiversität wäre es also längst Essig mit unserem Wein.


 

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Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2023

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Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
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