Die Versorgung der Massen, ob in den Großstädten der Welt oder auf dem Schlachtfeld, wie bei den Alten Römern, ist eine der größten Herausforderungen für die Lebensmittelproduktion.

Die Versorgung der Massen, ob in den Großstädten der Welt oder  auf dem Schlachtfeld, wie bei den Alten Römern, ist eine der größten Herausforderungen für die Lebensmittelproduktion.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Brot und Spiele

Bereits die alten Römer haben den unwiderstehlichen Reiz der Verbindung von kulinarischer Grundversorgung und kostenlosem Entertainment erkannt und genutzt. Daran hat sich bis heute wenig geändert – leider. Denn was wir viel dringender bräuchten, wären neue Konzepte statt alter Hüte.

Die Comic-Helden Asterix und Obelix kommen im Laufe ihrer zahlreichen Abenteuer immer wieder nach Rom. Gleich bei ihrem ersten Besuch landen die beiden unbeugsamen Gallier prompt im Zirkus und werden dort Julius Caesar vorgeführt. Und über dessen kaiserlicher Loge steht »Panem et Circenses« geschrieben. Aufmerksame Fußnotenleser und klassisch Gebildete wissen natürlich, dass das »Brot und Zirkuspiele« heißt. Asterix’ gnadenlos humorvolle Erschaffer René Goscinny und Albert Uderzo bezogen sich bei dieser Darstellung der Kaiserloge auf einen ihrer Vorgänger, nämlich auf den römischen Dichter Juvenal. Der Satiriker machte sich mit dem Satz »Panem et Circenses« über sein Volk lustig, das die völlige Entmachtung durch Kaiser Augustus ohne aufzumucken hinnahm und sich mit billigem Brot und dem Gaudium entfesselter Gewalt im Zirkus abspeisen ließ. 

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Das Prinzip »Brot und Spiele«, das der spätere Kaiser Trajan zur Perfektion treiben sollte, erforderte von den zuständigen Entscheidungsträgern seinerzeit logistische Höchstleistungen. Einerseits mussten ausreichend politische und religiöse Abweichler als Großkatzenfutter identifiziert und eingesammelt werden – gutes Entertainment war bereits damals aufwändig. Und auch die Sache mit dem Brot war nicht ohne – immerhin lebten bis zu zwei Millionen hungrige Mäuler im alten Rom. Das sumpfige und hügelige Umland eignete sich jedoch nur mäßig für den Anbau großer Getreidemengen. Schon bald sahen sich die römischen Machthaber deshalb nach passenderen Gebieten um, die man unterjochen und nutzbar machen könnte. Also eroberte die römische Republik noch vor Caesars Machtergreifung die Insel Sizilien und machte sie zur ersten Kornkammer Roms. Doch trotz Siziliens Fruchtbarkeit und der beachtlichen Größe der Insel vermochte sie Roms Hunger nicht auf Dauer zu stillen. Also griff der inzwischen herrschende Julius Caesar ein. Wie Asterix-Fans wissen, verliebte sich Europas erster Diktator in seine ägyptische Kollegin Kleopatra und arrangierte deshalb ein Rendezvous bei ihr zu Hause, zu dem er freundlicherweise seine Legionen mitbrachte. Der Imperator eroberte mit der schönen Königin auch gleich ihr ganzes Land mit. Kleopatras Mitgift sicherte Roms »Panem et Circenses« für Jahrhunderte. Denn Ägypten war eine der ergiebigsten Agrarflächen ihrer Zeit. Der Schlamm des alljährlichen Nilhochwassers machte das Umland des Flusses zu einem höchst fruchtbaren Gebiet. Und die Ägypter hatten seit Jahrtausenden Erfahrungen mit dem Anbau von Getreide und dessen Verarbeitung. Roms Militär unterjochte dieses Land daher kurzerhand und stahl das Korn. Und Europa sammelte so auch gleich erste Erfahrungen mit der Versklavung Afrikas. 

Der sprichwörtliche Nahversorger ist längst eher ein Fernversorger, betrachtet man den in unseren Supermärkten angebotenen Produktmix.
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Der sprichwörtliche Nahversorger ist längst eher ein Fernversorger, betrachtet man den in unseren Supermärkten angebotenen Produktmix.

Von Rom zur US-Armee

Während der nächsten paar Jahrhunderte liefen täglich zwei Galeeren voll ägyptischem Korn in Roms Hafen Ostia ein. Unweit davon entstanden die ersten Lebensmittelfabriken der Geschichte. Riesige Anlagen verarbeiteten das Importgut direkt zu Brot, das von dort aus in die Stadt am Tiber gebracht wurde. Dabei schützte eine gewaltige Mauer den gesamten Weg von Ostia bis nach Rom. Erst viel später sollte die erste Eroberung der Stadt nur wegen der Zerstörung dieser steinernen Lebensader gelingen – die anstürmenden Germanen durchbrachen den Wall und das lebensnotwendige Brot blieb aus. Und auch der endgültigen Zerschlagung des (ost)römischen Reichs ging ein Weizendilemma voraus, denn ehe sich die Osmanen an Byzanz heranwagten, eroberten sie zunächst Ägypten und damit die Speisekammer der Oströmer.

Das ägyptische Getreide selbst versorgte nicht nur die Stadt Rom, sondern auch die europaweit gefürchtete Armee der Lateiner. Diese Legionen hatten weit mehr als nur überlegene, eiserne Waffen und eine ebensolche Disziplin: Im Gegensatz zu ihren Gegnern waren sie permanent mit Essen versorgt. Jeder Legionär leistete in regelmäßigen Abständen Kochdienst für seine Zeltgenossen und bereitete dabei einen Getreidebrei namens »Puls« zu (das Zeug, vor dem sich Asterix und Obelix als Legionäre so ekeln). Täglich mahlten sie Korn zu grobem Schrot und kochten es mit Wasser weich. Ägyptens Getreide hielt hunderttausende Soldaten am Leben und bei Laune. Bis zu den USA während des Zweiten Weltkriegs versorgte keine Macht ihre Armeen derart professionell mit Nahrung wie die alten Römer. 

Denn Tatsache ist: Zentralisierte und standardisierte Produktion von (möglichst haltbarem) Essen erhöht die militärische Handlungsfähigkeit. Ob wir alleine wegen der imperialen Wehrhaftigkeit der westlichen Nationen zu unserem System der riesigen Monokulturen und der ewig haltbaren Fertiggerichte kamen, sei dahingestellt. Aber wahr ist auch: Im Hinblick auf Schädlinge und Krankheiten wäre Biodiversität in der Nahrungsmittelproduktion deutlich sicherer. Und punkto Genuss ist jede Art von Diversität dem momentanen System ohnedies vorzuziehen. Auch der Irrglaube, dass Städte ausschließlich mit internationalisierter Standardnahrung ernährbar sind, gehört zumindest hinterfragt. Immerhin ist der berühmte Nahversorger zum totalen Widerspruch in sich geworden. In Anbetracht der dort gebotenen Waren aus aller Herren Länder ist das wohl eher ein Fernversorger, der mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit rein gar nichts zu tun hat.

Aber es gibt sie, die kleinen gallischen Dörfer, die kulinarischen Widerstand leisten. Man findet sie vor allem im innovativen Umfeld vieler Städte, meist betrieben von jungen Menschen, die über eine souveräne und klimafreundliche Nahrungsmittelversorgung nachdenken. Gerade auf sie sollten wir alle viel mehr achten.


 

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Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
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