Wiens erste Stadtkäserei: Johannes Lingenhel (r.) führt Geschäft und Restaurant, Robert Paget käst regelmäßig mitten im Geschehen.

 
Wiens erste Stadtkäserei: Johannes Lingenhel (r.) führt Geschäft und Restaurant, Robert Paget käst regelmäßig mitten im Geschehen.
© Ian Ehm

Raw & Slow: Rohmilchkäse vom regionalen Produzenten

Um die 5.000 Sorten, stetig wachsende Marktzahlen und vor allem: spannende regionale Produzenten. Käse macht süchtig - Ein Plädoyer für Genuss.

Käse macht glücklich, führt – zumindest in der Schweiz – die Liste der meist gestohlenen Lebensmittel an und ist für viele der Grund, warum sie niemals zum Vollblut-Veganer werden könnten. Käse schmeckt – auch den Produzenten und dem Handel. Insbesondere in der EU. So ist Deutschland Jahr für Jahr in den Top 3 der weltweit größten Käsemärkte (Platz 1: USA), in Österreich wird sogar mehr verbraucht, als gegessen wird und die Studie »Global Cheese Market 2013 – 2019« sagt für 2019 einen weltweiten Umsatz von gut 105 Milliarden US-Dollar voraus.

Das Prinzip der Käseherstellung ist einfach und für Gastronomie-Profis ein offenes Geheimnis. Der (erwärmten) Milch werden Lab-Enzyme beigegeben. Das löst einen Prozess aus, den man »Dicklegung« nennt. Dabei entstehen zwei Komponenten. Die flüssige Molke und der feste Käsebruch. Dieser Käsebruch ist eine fragile Masse, weich und formbar. Aus diesem Grundbrei entstehen die größten Käse der Welt. Vom Appenzeller bis zum Ziger, vom Asiago vecchio zum spanischen Zamorano. Der Teufel liegt natürlich im Detail. Also in den Komponenten Milch, Reifedauer, dem Salzgehalt der Lake, in der der Käse gewaschen wird, Raumtemperatur, Größe oder Pflege der Rinde. Käse ist das kulinarisch Wertvollste, das man aus der Milch machen kann, die uns Rind, Schaf, Ziege, Büffel oder Yak zur Verfügung stellen. Der Respekt gegenüber dem Nutztier ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, das Beste aus der Milch zu machen. Es ist eine Verantwortung.

Industrielle Käseproduzenten, deren Bezug zum Tier sich mitunter in lustigen Darstellungen auf der Verpackung erschöpft, nehmen diese Verantwortung teils weniger genau. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch hervorragenden pasteurisierten Käse gibt. Im Gegenteil. Trotzdem ist es Zeit, die Handwerker wieder einmal vor den Vorhang zu bitten. Und ihren Schatz. Den Rohmilchkäse. Immerhin sind die Originale der beiden vermutlich bekanntesten Käsesorten der Welt ebenfalls aus roher Milch: Der kleine Weichkäse mit dem unverkennbar nussigen Aroma aus dem verschlafenen Dorf Camembert in der Normandie und der rustikale, in bizarren Höhlengrotten gereifte, Roquefort. Natürlich hat auch die Schweiz ein schier unerschöpfliches Repertoire an sensationellen Sorten. Uneingeschränkt empfehlenswert sind der kräftig-würzige Vacherin Mont-d’Or (überhaupt, sobald er in die Tage seiner Reife kommt), der Emmentaler oder der Sbrinz.

Lanze für den Rohmilchkäse

Bestimmte staatliche und überstaatliche Regulative haben eine beängstigende Wirkung. Ich spreche von Gesetzen, Normen und Erlässen, die mir vorschreiben, was ich zu essen habe. Während der ganzen Diskussion um den steirischen „Killerkäse“ habe ich ein zunehmend beklemmendes Gefühl bekommen. Wie Hyänen sind die Medien über den »schmutzigen«, »keimverseuchten« und »schädlichen« Rohmilchkäse hergefallen, und es war niemand da, der ihm den Rücken gestärkt hätte.

Die Käsereien und Sennereien waren (und sind noch immer) zu sehr damit beschäftigt, die Kunden bei der Stange zu halten. Slow Food ist damit beschäftigt, eine nationale Kommunikationsstruktur aufzubauen (...und im Moment noch nicht in der Lage, in so einer Situation mit einer Stimme zu sprechen. Wir arbeiten dran!) und die Bioverbände haben im Moment andere Interessen und Sorgen, als sich um den Rohmilchkäse verdient zu machen. Dabei ist es bei diesem Produkt verhältnismäßig einfach, weil klar: Rohmilchkäse ist besser als Käse aus pasteurisierter Milch. Und zwar sowohl sensorisch (was ich jederzeit und mit jeder Verkostungsmethode nachweisen kann), wie auch gesundheitlich und feinstofflich.

Es ist wie beim Wein. Wer bodenständigen Wein mit Charakter will, der Boden und Philosophie des Winzers reflektiert, kommt nicht am biologischen oder biodynamischen Weinbau vorbei. Wer ebensolchen Käse herstellen will, hat sich mit dem Thema Rohmilch auseinanderzusetzen. Sicherer ist Rohmilchkäse, weil bei der Käsereifung mit einer Vielfalt an Bakterienkulturen gearbeitet wird, die wie eine Firewall gegen Listerienstämme agieren. Pasteurisierter – also »keimfreier« Käse hingegen bietet Listerien, die den Käse nicht aus dem Rohstoff Milch, sondern während des Produktionsprozesses kontaminieren, eine freie Bühne und beste Bedingungen für das rasante Wachstum der KBE/g (Kolonnen bildende Einheiten pro Gramm).

Hang zum Qualitätsfanatismus

Rohmilchkäse ist konzentrierte Regionalität. Zumeist handwerklich hergestellte Meisterwerke, die die kulinarische Vielfalt einer Region verkörpern. Das Angebot an Rohmilchkäse-Spezialitäten in Österreich ist groß. Nicht so groß wie etwa in Italien oder Frankreich, aber es ist stattlich, vielfältig und kann sich sehen lassen. Mit dem Hatzenstädter Emmentaler aus Tirol stellt das Land einen Dauergast auf den Podesten internationaler Wettbewerbe. Die Hofkäserei Deutschmann in der Steiermark zeigt Affineurskunst auf höchstem Niveau und im Lungau lotet Günther Naynar vom Hiasnhof mit seinem Team die Grenzen des qualitativ Machbaren aus. Dann hätten wir noch die Nuarts in Kärnten, Plangger in Tirol oder Paget, hatten auch Eberharter im Alpbachtal (hab den Betrieb selig) und auch damit sind noch weit nicht alle hochwertigen Produzenten genannt.

Für Wiens erste Stadtkäserei werden wöchentlich 400 Liter Ziegen- und 400 Liter Büffelmilch angeliefert. Ein enormer logistischer Akt in der Großstadt.

Ein gutes Beispiel, sich die vitale Käserszene in Österreich genauer anzusehen, ist Robert Paget. Vorstellen muss man ihn vermutlich nicht. Nicht hier, an dieser Stelle. Der Mann ist Käser in Diendorf am Kamp und hat einen Hang zu ausgeprägtem Qualitätsfanatismus. Er ist glühender Verfechter und Mitstreiter im Kampf um den Rohmilchkäse und Herr über die einzige Wasserbüffelherde des Landes. Aus der Milch seiner Büffel macht er Käse. Und schert sich dabei wenig um regionale Konventionen oder Traditionen. Er steht für die wahrscheinlich beste Mozzarella des Landes, und er hat den Taleggio ins Kamptal gebracht. Um genau diesen Käse geht es heute. Der Taleggio ist – eigentlich – Italiener. Genauer gesagt aus den Gegenden um Bergamo, Como und Cremona. Der Laib ist quadratisch, der Käse selbst weich und von kräftiger Rotkultur umhüllt.

»Beim ersten Mozen in der Stadtkäserei musste ich ans ›Teatro del Gusto‹ denken. Das hier ist unsere Version davon. Herrlich!«
Robert Paget, Käser

Der Taleggio von Robert Paget hat alles, was ein gutes Original haben sollte. Nur von allem eine Spur mehr. Der Büffel-Rohmilch-Käse ist extrem würzig, die Oberfläche wirkt grob, rustikal und von feinem Schimmel überzogen. Dieser Schimmel macht den Unterschied. Viele Taleggio-Importe aus Italien werden nahezu kastriert, weil die Molkereien den Schimmel vom Käse bürsten. Nicht so Robert Paget. Der präsentiert stolz den grau-grünen Schimmer. Weil er weiß, dass das seinen Käse so außergewöhnlich macht. Er selbst bittet dabei um folgendes: »Was die Attribute zu meiner Person angeht, so bin ich froh, wenn sie bescheiden ausfallen. Wir sind immer wieder Anfänger im Sinne von Neugierde – mit einer gesunden Mischung aus Mut, Naivität und Unerbittlichkeit.«

Der Taleggio ist eigentlich Italiener. Der Taleggio von Robert Paget hat alles, was ein gutes Original haben sollte. Nur von allem eine Spur mehr.

Ab diesem Frühling muss man auch nicht mehr aufs Land fahren, um Pagets Kunst zu bewundern. Der Niederösterreicher käst regelmäßig in der neuen Wirkungsstätte von Gourmand Johannes Lingenhel – mitten in Wien. Die Stadtkäserei vereint Shop, Restaurant und eben die Käserei hinter einer Glasscheibe. Dem Paget’schen Treiben kann man am großen Holztisch sitzend mit einem Glas Wein in der Hand beiwohnen.

www.lingenhel.com

Best of Rohmilchkäse

Taleggio von Robert Paget.
© Ian Ehm
Taleggio von Robert Paget.

KARRIERE hat fünf Rohmilchkäse im Best of:
Taleggio
Robert Paget
(Diendorf am Kamp, Niederösterreich)
Ein extrem würziger und intensiv kräftiger Vertreter seiner Art. Rustikal-derbe Rinde.
www.bufala-connection.at

Steirerschimmel

Hofkäserei Deutschmann
(Frauental, Steiermark)
Fast ein Klassiker unter den Bio-Käsen. Mit Rotkultur verfeinert und geschmacklich abgerundet, im Teig fein ziselierte Marmorierung.
www.hofkaeserei-deutschmann.at

Bio Bergkäse
Sennerei Hatzenstädt
(Niederndorferberg, Tirol)
Die Hatzenstädter sind seit jeher Garanten für hochwertigen Käse. Der Bergkäse ist ein salzig-reifer und ausgesprochen aromatischer Hartkäse.
www.biovomberg.at

Blauschimmelkäse (Schaf)
Nuart vulgo Hafner (Mittertrixen, Kärnten)
Das Schaf kann was. Der Käse natürlich auch, vor allem, wenn er reifer ist. Kräftiger Champignon-Ton, feiner Blauschimmel-Charakter.
www.nuart.at

Bio-Zwiefacher
Bio-Hofkäserei Fürstenhof (Kuchl, Salzburg)
Blauschimmel innen, Weiß-Schimmel außen. Es ist gar nicht so einfach, die beiden Kontrahenten penicilinum roqueforti und penicilinum camemberti so unter einen Hut zu bringen, dass sie harmonieren. Der Zwiefache schafft das spielend.
www.fuerstenhof.co.at

Käsetipps bei Unverträglichkeiten

Eigentlich ist die Sache einfach. Käserelevante Unverträglichkeiten sind Histamin- und Lactose-Intoleranz. Dabei lässt sich entlang der Reife-Skala ganz gut beschreiben, welcher Käsegenuss unverfänglich und folgenfrei ist. Je älter und reifer der Käse, desto mehr Histamin und desto weniger Lactose. Und umgekehrt: Je jünger und frischer der Käse, desto mehr Lactose und desto weniger Histamin. Hier ein paar Beispiele für gute Kompromisse aus der Käsetheke:

  • Fol Épi
    (Lactose- und glutenfrei)
    Der Fol Épi ist ein milder, vielseitiger -Schnittkäse, der sich zum Kochen ebenso eignet, wie als Käse fürs Jausenbrot.
  • Chaumes Le Véritable
    (Lactose- und glutenfrei)
    Ein Klassiker unter den Weichkäsen mit Rotkultur. Auch dieser Käse profitiert von Reife.
  • Sirius Camembert
    (Lactosefrei)
    Die – gelungene – österreichische Variante vom Camembert. Pilzig-rassige Rinde, Potential zu Reifen.
  • Schärdinger Geheimratskäse
    (histaminarm)
    Der Geheimratskäse ist ein weicher, elastischer Schnittkäse, der in rotem Wachs (dem Siegelwachs der k&k-Beamten) zum Verkauf angeboten wird. Der Käse ist mild und leicht säuerlich.
  • Mozzarella und Burrata
    (histaminarm)
    Diese Frischkäsevarianten haben den geringsten Histaminanteil, wobei der/die Mozzarella der Frischkäse schlechthin ist. Sortentypisch, mediterran.

Käseprofis: Möglichkeiten der Aus- und Fortbildung

In Österreich bieten die WIFIs ein einzigartiges Programm. Die Ausbildung zum Diplom-Käsesommelier ist praxisorientiert, umfassend und modern. Informationen finden Sie unter www.wifi.at. Die Absolventen sind im Verein der Diplom-Käsesommeliers organisiert:
www.kaesesommelier.at

In Deutschland übernimmt das European Cheese  Center diese Aufgabe. Das Programm wird von einem österreichischen Käseprofi geleitet: Hans-Peter Chistè vom Verband Raffinesse
www.cheesecenter.de

In der Schweiz hat die Organisation der Schweizer Käsevermarktung die Rolle des Ausbildners übernommen. In einem zweistufigen Lehrgang kann man sich zum Schweizer Käseprofi ausbilden lassen. Informationen dazu auf
www.schweizerkaese.ch

Artikel aus Falstaff Karriere 01/2016.

Jürgen Schmücking
Mehr entdecken
Unzertrennlich: Die schönste Harmonie entsteht durch das Zusammenspiel von Gegensätzen.
Foodpairing
Foodpairing: Bier und Käse
Bier und Käse – ein junger Pairing-Trend. Experimentieren lohnt sich: Craft-Beer-Produzenten...
Von Melanie Gadringer
Mehr zum Thema
Opernball
Fondue Moitié-Moitié
»Die Frage nach dem Ursprung des Fondue au Fromage bleibt ein stetiger Kampf zwischen Frankreich...
Von Bertrand de Billy
Käse
Tiroler Kaspressknödel
Schmeckt nicht nur in den Bergen: Die berühmten Tiroler Kaspressknödel – Falstaff weiß, wie...