Sylthaft schön: Kulinarik auf der Nordsee-Insel

Hinter den Kulissen der deutschen Gourmetinsel werden die Weichen für ein zweites Sylt gestellt – ein stilles Rückzugsresort auf hohem Niveau.

»Wenn du hier mit dem Fahrrad losfährst, dann musst du aufpassen, dass es dir in Westerland nicht schon unterm Hintern wegrostet«, sagt Rolf Ernst Brönnimann, ­Direktor des Hotels Budersand in Hörnum an der Südspitze Sylts. Von hier bis nach Westerland sind es nur ein paar Kilometer. Doch dieser Scherz hat durchaus Wahrheitsgehalt, denn in Brönnimanns Auftrag macht sich Tag für Tag ein kleiner Putztrupp auf den Weg, um die Fassade des Budersands von der Gischt zu reinigen, von der Feuchtigkeit und dem Salz, die diesem wunderbar gelegenen und grandios gestalteten Haus zusetzen. Nur eines der Probleme, mit denen man auf der Insel zu kämpfen hat.

Hotel Budersand in Hörnum, eine der letzten großen ­Innovationen der Insel / Foto: beigestellt

So einer wie Brönnimann hat Sylt gefehlt. Selbstdarsteller gibt es viele zwischen den Dünen, doch Brönnimann war in der ganzen Welt als Hoteldirektor tätig und hat danach so manch erstklassiges Haus geplant. Auch das Budersand hat er in Beton gegossen. Das hat er für Claudia Ebert gemacht, sie ist die Urenkelin des Wella-Gründers. Nach Fertigstellung des Resorts ist Brönnimann auf Sylt geblieben und hat die Verantwortung für das Tagesgeschäft übernommen. Jetzt schon fünf Jahre lang. Er weiß das Wella-Geld gut angelegt.

Nordische Avantgarde
79 Zimmer, ein Drittel davon größere Einheiten, ein schöner Spa-Bereich, ein tatsächlich außergewöhnlicher Golfplatz und das Feinschmeckerrestaurant »Kai3«, das nicht die übliche Hummer-Kaviar-Klientel bedient, sondern der nordischen Avantgarde zuzurechnen ist. Jens Rittmeyer leitet es. Und sein Restaurantleiter und Sommelier Thomas Kallenberg hält einige außergewöhnliche Flaschen auch extrem individueller Winzer im klimatisierten Schauraum bereit.

Sarah Henke verlässt diese Jahr das »Spices« im A-Rosa / Foto: beigestelltDas Hotel steht auf massiv befestigtem Grund. Hier residierte einst eine Bundeswehrkaserne mit 36 Gebäuden. Residiert ist das richtige Wort, das Militär stand in Hörnum lange Jahre als Arbeitgeber in Verantwortung. Für die anderen Sylter waren die Hörnumer blasse Beamte mit sicherem Geld, die für den risikoreichen Tourismus wenig übrig hatten. Wie auch die Leute in List, dem Dorf am Nordrand der Insel, ehemals Dänemark, wo ebenfalls eine Kaserne stand. Hörnum und List: Dort wohnt der Rand der Sylter Gesellschaft. Und bis heute sind List und Hörnum eigene Gemeinden, die nicht zur Großgemeinde Sylt zählen, wo die Halligalli-Orte Westerland und Kampen für die größten Steuereinnahmen sorgen. Weil man beide Orte im Abseits wähnte, entstanden gerade dort die letzten großen Innovationen der Insel. Neben dem Budersand in Hörnum noch das A-Rosa in List, das sogar zwei Gourmettempel beherbergt. Das »La Mer« mit Küchenchef Sebastian Zier und das »Spices« mit der Deutsch-Koreanerin Sarah Henke, die ihre Wirkungsstätte aber dieses Jahr verlässt.

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Taktikfrage für den Sommer
So ähnlich sie scheinen, so sehr unterscheiden sich die beiden Hotels in ihrem Management. Während man im Budersand bei den Zimmerpreisen nicht nachgeben will und so auch manchmal einen gewissen Leerstand akzeptiert, füllt man im A-Rosa jeden Raum mit schnellen Schnäppchen-Gästen. Ob diese dann mit der Spitzengastronomie etwas anfangen können? Ob Stammgäste diese Taktik verstehen? Diese Frage wird der diesjährige Sommer klären.

In Westerland, der goldenen, aber nicht glanzvollen Mitte, stehen zwei unterschiedliche Gastronomen in ihren Lokalen. Sie verkörpern Vergangenheit und Zukunft der Insel. Und es kann sein, dass gerade der vergangene wieder Zukunft hat.

Jörg Müller: eine Legende auf Sylt / Foto: Manfred KlimekJörg Müller ist Sylts gastronomische Vergangenheit. Müller ist inzwischen 67 und steht immer noch jeden Tag in der Küche. Demnächst – so sagt er – nur noch sechs statt zehn Stunden. Ihm zur Hand gehen zwei lang gediente und souveräne Küchenchefs, die halb so alt wie der Brigadier sind. Ihr Handwerk brilliert im Fach der gehobenen Klassik, Müllers Speisen unterscheiden sich von den filigranen Meisterwerken Jens Rittmayers in neun von zehn Punkten. Doch Halt: Wachtelcrêpinette mit Gänseleber, gratinierte Seezungenfilets, Boeuf Braisé oder das geniale Champagnergelee sind Meilensteine der Sylter Fresshistorie. Und Müller hat die Insel kulinarisch dorthin gebracht, wo sie heute ist. Man mag das Ambiente betulich finden, man mag die Küche als fett und geschmacksintensiv brandmarken, aber sie ist ein Musterbeispiel richtig großer Kochkunst, ein helles Licht vom Leuchtturm der Nouvelle Cuisine, ein Positionsfeuer, das von der Sturmflut der modischen skandinavischen Küche nicht gelöscht wird. Jörg Müllers Restaurant ist das letzte gallische Dorf auf Sylt, sein Weinkeller eine bundesdeutsche Legende, die Kalkulation älterer Jahrgänge mehr als fair. Und weil alle Pendel auch wieder zurückschlagen, kann es gerade der große Klassiker Müller sein, der dieses und nächs­tes Jahr ein Comeback erlebt. Dazu trägt er etwas bei, legt alle Restaurants zusammen und lässt die Schwelle fallen, damit auch neue und jüngere Gäste kommen. Einmal noch will er zeigen, dass er die Gastronomie der Insel erneut bereichern kann.

Im Restaurant »La Mer« im Hotel A-Rosa zelebriert Küchenchef Sebastian Zier große Küche / Foto: beigestellt

Der absolute Wahnsinn
Der Zweite in Westerland heißt Ivo Köster, ist 45 Jahre alt und Tischler von Beruf. Ein Handwerk mit goldenem Boden – gerade auf Sylt. Doch Köster hat zwei Restaurants. Ein großes, das »Da Ivo«, in Spazierweite von Jörg Müller. Und eine Bude namens »Pottkieker« in Wenningstedt, eine Art Bistro mit kleinen Gerichten, auch mit Currywurst und Burger. Das ist die Zukunft, sagt Köster, eine Zukunft von mehreren möglichen. Um diese Zukunft Sylts zu erklären, reichen folgende Angaben über den »Pottkieker«: 36 Qua­dratmeter, 18 Sitzplätze, in der Küche teilen sich zwei bis drei Leute gerade mal sechs Quadtratmeter, und an manchen Sommertagen werden hier 400 Essen täglich ausgegeben und Hunderte Flaschen geleert. Das ist das, wonach es klingt: der absolute Wahnsinn.

Der Insulaner und Tischler Ivo Köster besitzt auf Sylt zwei Restaurants / Foto: Manfred KlimekKöster könnte ein aufgeregter Wirt sein, er könnte sich in Superlativen ergehen und ohne Ende wichtigmachen. Doch Köster ist Einheimischer, er kommt von der Insel, erlebte noch jene Zeiten touristischen Aufbruchs, als die Insulaner ihre Kinderzimmer an Gäste vermieteten. Köster kennt also nicht nur die positive Bilanz, er weiß auch vom Ausverkauf. Und er ist kritisch. Auch zu sich selbst und seinem Handeln.

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Manfred Klimek
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