Wo Milch und Honig fließt: Die Desserts während der »Semana Santa« kommen einem nicht ohne Grund mitunter mehr arabisch, als spanisch vor.

Wo Milch und Honig fließt:  Die Desserts während der »Semana Santa« kommen einem nicht ohne Grund mitunter mehr arabisch, als spanisch vor.
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Andalusien: Spaniens süßer Süden

In der spanischen Autonomieregion Andalusien, die fast so groß wie Österreich ist, offenbart sich der landschaftliche Kontrastreichtum und die überaus bewegte Geschichte in ihren Konditoreien und Restaurants – vom rustikalen Landgasthof bis in die sternegekürte Spitzenküche – freilich auch zum Dessert.

Zugegeben, Spanien und das südspanische Andalusien sind nicht per se Synonym für Süßspeisen, die global gesehen in aller Munde wären. Oder bekommen Sie bei Ihrer Lieblingskonditorei etwa »Piononos«? Die kleinen, in Zucker-Zimtwasser getränkten und mit Puddingcreme gefüllten und bedeckten Biskuit-Röllchen sind typisch für Granada und den Vorort Santa Fé (etwa bei Casa Ysla), und eine Hommage an Papst Pius IX. (1792-1878), genannt »Pío Nono«. 

Ebenso wenig hat sich die Pâtisserie-Kunst hier bis dato in Sphären hochgebacken, wo die Franzosen den Olymp ohnehin in ihren festen Händen halten. Wobei eine geniale Generation an katalanischen und spanischen Konditoren und Chocolatiers wie Jordi Roca i Fontane, Albert Adrià (Bruder von Ferràn), Paco Torreblanca, dessen Schüler Ramon Morató und klarerweise Oriol Balaguer, sich durchaus auf Augenhöhe mit den Kollegen des nördlichen Nachbars messen können.

Traditionsreiche Konditoreien wie »La Campana« (Die Glocke) in Sevilla bieten in der »Semana Santa« die Andalusien-typischen Oster-Nascher­eien, wie »Torrijas« oder ­
»Pestiños« an.
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Traditionsreiche Konditoreien wie »La Campana« (Die Glocke) in Sevilla bieten in der »Semana Santa« die Andalusien-typischen Oster-Nascher­eien, wie »Torrijas« oder ­ »Pestiños« an.

Geschmäcker voller Gegensätze

Gegensätze ziehen einander an. Und vereinen sich mitunter in einem harmonischen Spiel auf Zunge und Gaumen. So finden sich simple Rezepte ebenso wie komplexe, raffinierte Kreationen. Traditionen werden übernommen, maurische wurden christliche, und bäuerlich-ländlich geprägte Klassiker, meist basierend auf preiswerten Zutaten wie Eier, Milch, Zucker und Mehl (wie etwa »Medialunas« – aus Biskuit und Merengue gebackene »Halbmonde« aus Almería), oft verfeinert mit Zimt oder Honig, treffen auf Innovation anhand zeitgemäßer Techniken und mit dem Allerbesten der lokal verfügbaren, ökologisch produzierten Zutaten.

Milhojas (»Tausend Blätter«) setzen sich aus hauchdünnem Blätterteig und einer Füllung aus Butter- oder Puddingcreme zusammen. Auch in der gehobenen Küche haben sie ihren Platz gefunden.
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Milhojas (»Tausend Blätter«) setzen sich aus hauchdünnem Blätterteig und einer Füllung aus Butter- oder Puddingcreme zusammen. Auch in der gehobenen Küche haben sie ihren Platz gefunden.

Acht Jahrhunderte der gemeinsamen Geschichte führten dazu, dass sich bis heute arabische, nordafrikanische und berberische Einflüsse in den andalusischen Süßspeisen finden – was sich auch in den zahlreichen, marokkanischen Bäckereien und Teehäusern (»Teterías«) Andalusiens widerspiegelt. Doch auch einfache Rezepte, die aus preiswerten Zutaten hergestellt werden, wie »Churros« und die dickeren, in Olivenöl herausgebackenen Teigschlangen »Porras« – mit einer dicken, heißen Schokolade oder zum Kaffee (eintunken erlaubt!) serviert – waren schon unter den Mauren beliebt. Wie auch die »Pestiños«, eine Art Straube, mit Anis gewürzt und in Zuckerwasser bzw. Honig gebadet oder in Kristallzucker gewendet, die Andalusien-typisch sind und ihre Wiege im südspanischen Vélez de Benaudalla haben sollen.

Selbst »Turrón«, Mandelnougat aus feinsten Marcona-Mandeln, die von Málaga bis ins katalanische Tarragona an der Mittelmeerküste und im Hinterland wachsen, gilt als Erbe der Araber. Es ist vom Block gebrochen oder geschnitten, aber auch cremig als Eiscreme verarbeitet, stets ein Genuss. Mandeln sind ohnehin unabdingbar in der spanischen Nachspeisen-Welt, sei es als »Pan de Cádiz« (Küchlein mit Marzipan und kandierten Früchten) oder der »Tarta de Santiago« (saftiger Mandelkuchen, ursprünglich aus dem galizischen Santiago de Compostela). Ebenfalls von den Arabern stammt indes der Blätterteig, ein Hauptakteur bei den »Milhojas« – zwischen die »Tausend Blätter« des Gebäcks kommt meist Butter-, Pudding- oder Dessertcreme.

Erfrischende Aromen von Zitrusfrüchten finden sich in den »Palitos de Limón« (»Zitronen-Staberl«), sonnengereifte Orangen in der saftigen »verrückten Torte« (»Torta loca«) aus Málaga und die Orangenblüten (»Azahar«) munden auch wunderbar als sortenreiner Honig oder als Tee bzw. in Teemischungen. Hinzu kommen aus den Wäldern Esskastanien, beste Pinienkerne (köstlich sind im westandalusischen Huelva »Piñonates« aus Pinienkernen und Honig), Haselnüsse und getrocknete sowie natürlich frische, reife Feigen aus den Obsthainen der Alpujarra (Region der »weißen Dörfer« an den Südhängen der Sierra Nevada), Muskateller-Rosinen und allerlei kandierte Früchte. 

Hochkalorisches hinter Klostermauern

Mit der im Oktober 1492 entdeckten »Neuen Welt« voller Schätze, zu denen nicht zuletzt auch der Kakao und damit die Schokolade zählte, wurde auch die Welt für Naschkatzen – erst über Jahrhunderte exklusiv für den Adel, und viel, viel später für das gewöhnlich Volk – reicher. Und die Produktion von Süßspeisen, in erster Linie Kekse, wurde vielerorts in die Hände versierter Nonnen gelegt, die bis heute Spezialitäten backen und zubereiten, wie »Yemas« (auf Eigelb-Zuckerbasis) oder mit »Engelshaar« aus Kürbisfasern (»Cabello de Ángel«) gefülltes Gebäck.

Mit der Dominanz des Katholizismus hielten auch poetisch-christliche Namen in die Dessertwelt Einzug, wie »Tocino del cielo«, übersetzt »Himmelsspeck« – eine Art Flan. Der im Zuge der christlichen Eroberung Spaniens fundamentale Calatrava-Ritterorden wiederum gab dem »Pan de Calatrava« seinen Namen (ähnlich dem »Scheiterhaufen«, aus altem Kuchen und mit Brandy aus Jerez getränkt).

Zwei-Sterne-Spitzenkoch Paco Morales (*1981, Córdoba) ist nicht nur bekannt für seine Perfektion, vielmehr ist es er, der seine exquisite Küche aus penibel recherchierten, alten Rezepten aus dem maurischen Al-Andalus mit modernen Techniken – erlernt u.a. bei Ferràn AdriàelBulli«) und Andoni Luis Aduriz (»Mugariz«) – und besten Zutaten elaboriert. Beginnend mit der Glanzzeit des Kalifats Córdobas im 9. Jahrhundert, als die heutige andalusische Kleinstadt ein gleißendes Leuchtfeuer des Wissens, der Technik und des Fortschritts in der bekannten Welt war, über den Zerfall in die so genannten Taifa-Königreiche, und die letzte muslimisch-arabische Blütephase am nasridischen Hof in der Alhambra von Granada, bis zur Entdeckung der »Neuen Welt« und der mittlerweile siebten Saison, »Die Ära des Lichts« (16. Jh.), als die Reichtümer der Kolonien Sevilla zur reichsten Handelsmetropole der Welt machten. 

Über mehr als fünf Jahre verzichtete Morales in seiner Küche nicht »nur« gänzlich auf Tomaten, Kartoffeln, Mais oder Chili, sondern logischerweise auch auf Schokolade – denn Kakao war eine Gabe der Götter an die Inkas, Mayas und Azteken.

Am Plaza de la Pescaderia gibt es zweierlei Käsekuchen zu probieren – den »von Cris‘ Mutter« (»La Tarta de la madre de Cris«) und in der »Taberna Monje«.
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Am Plaza de la Pescaderia gibt es zweierlei Käsekuchen zu probieren – den »von Cris‘ Mutter« (»La Tarta de la madre de Cris«) und in der »Taberna Monje«.

Dementsprechend waren in seinem »Noor« (arabisch für »Licht«, Menüs zwischen 90 und 190 Euro exkl. Weinbegleitung) die Desserts auf Nüssen wie Mandeln, Pistazien, Pinienkernen, getrockneten Früchten, Carob (Johannisbrot) und Safran aufgebaut, neben einer Fülle an orientalischen Gewürzen sowie Honig und Sirup aus Granatäpfeln oder Datteln. 

Im »Damasqueros« (Granada, Degustationsmenu ab 55 Euro) von Lola Marín werden im Spezial-Verkostungsmenü zur »Semana Santa«, der »heiligen« (Oster-)Woche, famose »Torrijas« aufgetischt. Die typisch-spanische Deluxe-Variante eines »French-Toast« mit Zimt und Zucker ist nach der Fastenzeit in ganz Andalusien – und Spanien – quasi omnipräsent. 

Auch bei Charo Carmona im »Arte de Cozina« in Antequera (Málaga) werden alte Rezepte exquisit erneuert, und so gibt es zum Dessert ganzjährig einen cremigen Milchreis mit Maroni und »Leche frita« (»frittierte Milch«), und das weitaus besser, als es eine andalusische Großmutter zubereiten könnte. Sowie das aus der Kleinstadt stammende und für die ganze Provinz Málaga typische »Bienmesabe« (»Es schmeckt mir gut«) aus geriebenen Mandeln, Biskotten und Apfelweinsirup. 

Fast überall gibt es zudem Milchreis, »Arroz con leche«, der, so trivial es klingen mag, es in raffinierten Variationen auch in die Michelin-Sterne-Küche geschafft hat – und das nicht nur bei Paco Morales. Das mag auch an den überaus stärkehaltigen spanischen Bio-Spitzen-Rundkornreissorten liegen, die in Valencia, dem Ebro- und im Guadalquivir-Delta (Sevilla, Cádiz) für Reisgerichte und dutzende Paella-Varianten, quasi exklusiv kultiviert werden.

Der mit Zimt bestreute und geschmacklich an die Crème Catalan erinnernde Sahnepudding namens »Natillas« (statt karamellisiertem Zucker liegt ein aufgeweichter Butter-Keks obenauf), ist ebenso omnipräsent wie der Eierpudding »Flan de huevo«. Wer Cheesecakes oder die »Altwiener Topfentorte« liebt, der wird in Spanien wohl von vielen der »Tartas de queso« enttäuscht sein. Doch eine original-asturische, aus dreierlei Frischkäse der Region Nordspaniens zubereitete »Tarta de queso« ist eine Köstlichkeit. Ein Geheimtipp für alle Käsekuchen-Liebhaber ist jene mit Ziegentopfen und -milch in der auf Grillspezialitäten spezialisierten Landtaverne »Taberna Prado Negro« (Sierra de Huetor bei Granada, tabernapradonegro.es). Das Beste kommt eben doch immer zum Schluss.

»Churros con chocolate«, feine Teigschlangen in Olivenöl frittiert, sind der Frühstücksklassiker – aber auch als knuspriger nachmittäglicher Blutzucker-Kick keinesfalls zu verachten.
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»Churros con chocolate«, feine Teigschlangen in Olivenöl frittiert, sind der Frühstücksklassiker – aber auch als knuspriger nachmittäglicher Blutzucker-Kick keinesfalls zu verachten.

Spannende Adressen

Córdoba:

Noor von Paco Morales (**)
Calle Pablo Ruiz Picasso, 8, ES-14014 Córdoba
T: +34 957964055
noorrestaurant.es

El Bar de Paco Morales
Pasaje de Rumasa, Avenida Ronda de los Tejares 16, ES-14008 Córdoba
T: +34 957977421
elbardepacomorales.com

Granada:

Damasqueros Jvon Rosa Marin(Erwähnung im Michelin-Guide),
Calle Damasqueros 3, ES-18009 Granada
T: +34 958210550
damasqueros.com

Antequera/Málaga:

Arte de Cozina von Charo Carmona
(Erwähnung im Michelin-Guide)
Calle Calzada 27, ES-29200 Antequera, Málaga
T: +34 952840014
artedecozina.com

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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Jan Marot
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