Künstliche Intelligenz ermöglicht, dass ungelernte Hilfskräfte Reben schneiden wie ein Profi: Die KI markiert auf einer Datenbrille die idealen Schnittpunkte.

Künstliche Intelligenz ermöglicht,  dass ungelernte Hilfskräfte Reben schneiden wie ein Profi: Die KI markiert auf einer Datenbrille die idealen Schnittpunkte.
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Die Zukunft hat begonnen: Wie KI den Weinbau revolutioniert

Künstliche Intelligenz hält derzeit in vielen Lebensbereichen Einzug, auch in Weinbergen, in Kellern und im Handel. Die besten Anwendungen haben das Zeug dazu, die Branche zu revolutionieren.

Er wolle unter Bedingung der Anonymität sprechen, sagt der Marketingexperte am Telefon. Dann berichtet er von einem Weingut, das in der Coronazeit begonnen habe, eine KI auf dem Gelände zu nutzen: Die Kamera am Eingangstor des Betriebes sei mit einer Gesichtserkennungs-Software ausgestattet worden, die Kunden wiedererkennt, wenn sie zuvor schon mal auf dem Betrieb waren. Bis die Kundin oder der Kunde den Weg vom Eingang bis zur Vinothek zurückgelegt hat, findet der Verkäufer bereits ein komplettes Dossier über den Gast auf seinem Bildschirm: persönliche Details ebenso wie Informationen über vergangene Käufe und geschmackliche Vorlieben, gleichzeitig empfiehlt die Software Weine, die dem Kunden angeboten werden sollen. Der Umsatz habe sich durch den Einsatz dieser Technologie um 20 Prozent steigern lassen.

Das genannte Beispiel hat sich nicht in der EU zugetragen – hier wäre es auch ganz sicher nicht mit den Regelungen des Datenschutzes konform. Es zeigt aber, was möglich ist. Zum Glück arbeiten nicht alle KI-basierten Angebote dermaßen im Verborgenen – im Internet beispielsweise müsste inzwischen jedem Nutzer klar sein, dass Websites Cookies setzen und Daten sammeln. In vielen Fällen dürfte dies harmlos sein, etwa wenn man sich in einem Webshop in die Hände eines virtuellen Weinberaters begibt. Hier scheinen die Probleme eher bei der Trefferquote zu liegen: So verheißt etwa das kalifornische Start-up Tastry: »Verkaufen Sie mehr Wein mit persönlich angepassten, KI-generierten Weinempfehlungen!«. Im deutschen Sprachraum begann der Schweizer Händler winemaker.com im Jahr 2020, auf Basis des von Tastry bereitgestellten Algorithmus zu arbeiten. Bei einem Test der »NZZ« im Januar 2022 trafen aber nur drei von zwölf vorgeschlagenen Weinen die Präferenz der Sommelière Lisa Bader und der Journalistin Ruth Fulterer. Inzwischen steht die Domain zum Verkauf, der Weinhandel ist offenbar eingestellt.

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Vermutlich können standardisierte Fragen wie »Mögen Sie grüne Paprika?« einfach nicht die Komponente der Menschenkenntnis ersetzen, die einen erfahrenen Weinhändler bei seinen Empfehlungen leitet. Daher verfolgt der Webshop club-of-wine.de des Bremer Weinhändlers Ruyter & Ast einen anderen Ansatz. Der dort zu findende »Wine.Finder« grenzt die Anzahl passender Weine vor allem mit Fragen ein, die auf Situationen und Stimmungen abzielen: In die Empfehlung fließen der Trink- (oder Geschenk-)Anlass ein, die Altersgruppe des oder der Adressaten, der Kenntnisstand, Geschmacksvorlieben, Präferenzen für Länder oder geplante Speisenbegleitung.

Prinzipiell gilt natürlich bei KI-Empfehlungen, dass sie nur so gut sein können wie das Programm, das der KI zugrundeliegt. Manche Beispiele zeigen, dass das Programmieren Fallstricke hat. So empfiehlt etwa die KI der Website vinovoss.com, aufgesetzt immerhin von Datenanalysten der UC Berkeley, als »Schweizer Wein zum Raclette« den Chardonnay von Martha und Daniel Gantenbein: Nicht ausgeschlossen, dass dieser hervorragende Weiße zum Raclette passt, aber will man wirklich eine 300-Euro-Flasche zu Kartoffeln mit geschmolzenem Käse trinken? Bei der Suche nach einem »passenden Wein zu Spaghetti« spuckt das Programm diskutable italienische Weine aus, darunter allerdings auch einen Passito di Pantelleria, einen edelsüßen Muskateller, der ganz sicher nicht zu einem Nudelgericht passt.

KI im Keller...

Wie bei allen Trendthemen finden sich auch beim Thema KI spannende technologische Anwendungen neben viel heißer Luft. So annoncierte beispielsweise ein Weinhändler aus dem Languedoc den »ersten von ChatGPT produzierten« Wein. Der Beitrag von Chat GPT bestand jedoch nur darin, dass das Programm bei der Frage nach einer fruchtbetont vinifizierten südfranzösischen Rotweincuvée einen Blend von 60 Prozent Grenache und 40 Prozent Syrah empfohlen hatte – sowie die Burgunder-Flaschenform für das Packaging. Der Händler hat anschließend Grenache- und Syrah-Grundweine, die er im Keller liegen hatte und für passend erachtete, im Verhältnis 60 zu 40 assembliert und in eine Burgunderflasche gefüllt.

Deutlich substanzreicher – und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie KI-Methoden künftig auch der Kellertechnik helfen könnten – sind die Forschungen eines japanischen Teams (Itto-Nakama und weitere 2021), die Bilddaten von in Gärung befindlichen Hefezellen zur Prognose des weiteren Gärverlaufs verwenden. Dabei kommt die KI bei der Erkennung der Gestalt der Hefezellen zum Einsatz. Dann werden die Rohdaten zur Zellmorphologie und zu den gemessenen Parametern der Gärung einer Datenanalyse unterzogen, wodurch sich im Idealfall wiederkehrende Muster beim Zusammenhang von Zellform und Gärverlauf bestimmen lassen. Mithilfe der mit maschinellem Lernen gewonnenen Modelle ließe sich in Zukunft vielleicht sehr frühzeitig erkennen, ob in einem Gebinde Gärstockungen drohen, oder ob die Alkoholausbeute eher hoch oder gering sein wird.

Bereits Realität sind Kellerverwaltungsprogramme, die alle regelbaren Elemente eines Kellers vom Smartphone aus bedienbar machen: So können Kühl- oder Heizelemente in Tanks oder auch Pumpen ferngesteuert werden. Für große Weinkellereien sind solche Programme und die von ihnen ermöglichten KI-gesteuerten Automatisierungsvorgänge sicher interessant. Dass sie für Spitzenweine eine Rolle spielen könnten, erscheint eher unplausibel. Dafür müsste die KI das Fingerspitzengefühl eines erfahrenen Winzers besitzen, um in Abhängigkeit von sensorischen Eindrücken etwa die Abbeermühle millimetergenau einzustellen oder die Dynamik des Pressvorgangs zu regeln.

Drohneneinsatz: Ganz real im Weinberg von Schloss Proschwitz  in Sachsen stehen Martin Schieck von der Uni Leipzig und Georg Prinz zur Lippe (re.)
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Drohneneinsatz: Ganz real im Weinberg von Schloss Proschwitz in Sachsen stehen Martin Schieck von der Uni Leipzig und Georg Prinz zur Lippe (re.)

...und im Weinberg

Fachleute warnen auch davor, die Fähigkeiten der KI zu überschätzen. »Ich glaube nicht, dass digitale Entwicklungen den Menschen komplett ersetzen«, sagt etwa der Wirtschaftsinformatiker Martin Schieck, der an der Uni Leipzig zum Thema »Einsatz von KI im Weinbau« promoviert. »Gerade im Weinbau ist zu viel Handarbeit vonnöten, als dass alles autonom funktionieren könnte. Auch in unserem Praxisprojekt zur Digitalisierung der Landwirtschaft namens »Experimentierfeld Express« sehen wir die Aufgabe vor allem darin, Entscheidungen zu erleichtern. Aber letztlich trägt der Betrieb die Verantwortung selbst.«

Schieck hält während einer Videokonferenz einen kleinen Ausweis im Scheckkarten-Format in die Kamera, die seine Berechtigung zum Steuern einer Drohne ausweist, eine Art Pilotenschein. Der Einsatz von Drohnen über einem Weinberg kann vor allem zweierlei Zwecken dienen: Zum einen kann der Überflug Daten über den Zustand des Weinbergs sammeln. So können Drohnen ein recht genaues Bild über den Wasserhaushalt in den unterschiedlichen Bereichen des Weinbergs erstellen. Dadurch lässt sich ­Bewässerung, falls sie notwendig werden sollte, so ressourcenschonend wie möglich steuern. Ob der Überflug auch ein taugliches Instrument zur Früherkennung von Krankheiten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander: Die im Blatt sitzenden Sporen einer Infektion mit falschem Mehltau (Peronospora) etwa sind beim Überflug nicht früh genug zu erkennen.

Noch ein Beispiel für die »Fantasie« einer KI-basierten Bilderzeugung: So sieht die KI die Weinbergsarbeit der Zukunft.
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Noch ein Beispiel für die »Fantasie« einer KI-basierten Bilderzeugung: So sieht die KI die Weinbergsarbeit der Zukunft.

»Wenn die Drohne etwas sieht, hab ich schon verloren«, sagt Betriebsleiter Björn Probst vom Weingut Schloss Proschwitz, das bereits seit zehn Jahren mit Drohnen experimentiert. Wenig Dissens herrscht hinsichtlich der zweiten Einsatzmöglichkeit der Drohne: Auch wenn beim Ausbringen des Pflanzenschutzes mit der Drohne außer bei der Vermessung des Einsatzbereiches keine KI zum Einsatz kommt, handelt es sich doch ohne Frage um eine Technologie, der die Zukunft gehören wird: »Die Spritzdrohnen-Technik ist ausgereift«, summiert Schieck. Die Drohnen können mit einer Startmasse von bis zu 76 Kilogramm geflogen werden, neben der Pilotenlizenz muss die beaufsichtigende Person auch einen »Sachkundenachweis Pflanzenschutz« erbringen, um Reben spritzen zu dürfen. Gerade eben wurde von den sächsischen Behörden ein Regelverfahren für die Genehmigung definiert, sodass die bislang erforderlichen Sondergenehmigungen entfallen.

Zustände, von denen Winzer in Österreich derzeit noch weit entfernt sind: »Rechtlich ist es bei uns noch nicht so einfach«, berichtet Robert Bodenstein vom Weingut Prager aus Weißenkirchen. Bodenstein hat bereits den Drohnenflugschein in der Tasche und wäre bereit, sofort loszulegen. Doch bislang kann er nur Versuche durchführen, was er mit Ungeduld kommentiert: »Wir sind in einer Klimakrise, die Spritzfenster werden immer kleiner, wegen der Hitze muss man bis spätestens zehn Uhr fertig sein, sonst verbrenne ich die Blätter.« Bodenstein prognostiziert: »Sobald eine Öffnung stattfindet, wird es eine große Bewegung geben, und das wird auch Schwung bringen für junge Leute.«

Außenbetriebsleiter Till Neumeister vom Sächsischen Staatsweingut Schloss Wackerbarth in Radebeul hat im vergangenen Jahr auf zehn Hektar mit der Drohne gespritzt. »Je nach Startgewicht und überwundenen Höhenmetern muss die Drohne natürlich relativ bald zurück zur Basisstation. Aber es gibt schon einen flüssigen Ablauf, ein Akku lädt immer, während der andere fliegt.« Neumeis­ter hebt auch hervor, wie viel Vorarbeit in den Versuchen steckt: Fluggeschwindigkeit und Flughöhe (»drei bis dreieinhalb Meter über dem Bestand«) sind optimiert, um die Abdrift zu minimieren. »Auch die Sprühdüse ist vorgeschrieben, nach jahrelangen Tests von bundeseinheitlichen Stellen wie dem Julius-Kühn-Institut.« Neumeister begeistert sich dafür: »Wir sparen unglaublich viel Wasser ein, diese Düsen geben ein äußerst präzises Appli­kationsbild ab.« Kein Wunder, dass auch das landwirtschaftliche Dienstleistungszentrum Mosel bereits seit mehr als zehn Jahren mit Drohnen experimentiert. Die Bernkasteler Forscher sind sich sicher, dass sich die umstrittenen Hubschrauberspritzungen an Mosel, Saar und Ruwer schon bald komplett durch Drohnen ersetzen lassen.

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Bessere Arbeit

Martin Junge von Schloss Wackerbarth hebt noch einen weiteren Aspekt hervor: »Das herkömmliche Spritzen mit der Rückenspritze oder Schlauchspritze ist eine große Belas­tung für die Mitarbeiter. Ziel des Einsatzes von Drohnen ist es auch, den Mitarbeitern diesen wahnsinnig schweren Arbeitsgang, wo immer möglich, zu ersparen.« Auch der Arbeitskräftemangel ist ein Treiber für die Entwicklung von weinbaulichen KI-Anwendungen: »Weltweit wachsen 7,3 Millionen Hektar Reben, alleine zum Schneiden dieser Fläche benötigt man eine Million Weinbergsarbeiter«, rechnet Michael De Vivo vom Unternehmen »3D2cut« vor. Das Start-up ist aus dem Beratungsunternehmen Simonit & Sirch hervorgegangen, das seit über 20 Jahren den »sanften Rebschnitt« propagiert – und dabei große Erfolge etwa bei der Vermeidung der Rebenkrankeit Esca vorweisen kann.

Die beiden Firmengründer mussten allerdings erkennen, dass es für sie unmöglich ist, eine ausreichend große Zahl von Weinbergarbeitern in persönlichen Schulungen zu trainieren. Daher ist derzeit eine 3D-Brille in Entwicklung, die es selbst ungelernten Hilfskräften ermöglicht, wie ein Profi zu schneiden: Der Arbeiter stellt sich vor den Rebstock und betrachtet ihn durch die Brille, eine KI erstellt daraufhin einen digitalen Zwilling des betrachteten Rebstocks und markiert dann auf einem in der Brille integrierten Display die Stelle, an welcher der Stock geschnitten werden sollte. »Es dauert weniger als eine Sekunde von der Datensammlung bis zur Schnittempfehlung«, so De Vivo. In der derzeit gerade zu Ende gehenden Schneidesaison wurde der Prototyp der Brille getestet, im Jahr 2025 soll die Produktion in industriellem Maßstab anlaufen.

Auch das DLR Mosel arbeitet mit Partnern an einem ähnlichen Werkzeug. Statt auf einer 3D-Brille soll dieses System auf einem handelsüblichen Smartphone laufen. Fernziel ist die Integration dieses Werkzeugs in einen autonom fahrenden Schneideroboter. Die digitale Revolution im Weinbau nimmt derzeit mächtig Fahrt auf. Möglicherweise ist der Tag gar nicht mehr so fern, an dem Kollege Roboter in Steil­hängen Reben schneidet, den Boden mulcht und Laubarbeiten durchführt.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2024

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
Aakriti Dhawan
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