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Hallo? Ich bin Stammgast!

Unsere Autorin hat ein emotionales Verhältnis zu ihrem Stammlokal, dabei ist das Essen nicht mal besonders gut und auch zu teuer. Was hält sie?

Mein Stammrestaurant hat ein Problem: Das Essen ist nicht so gut. Die Köche wechseln und mit ihnen die Qualität der Pasta. Es ist ein italienisches Restaurant, mit wechselnder Karte. Was gleich bleibt ist, dass die Preise steigen. Und das ziemlich schnell. Der Teller Pasta (keine sehr große Portion) liegt mittlerweile zwischen 20 und 22 Euro. Dabei hatte ich Sand in der Cozze. Ich hatte wässriges Tiefkühl-Octopus-Carpaccio. Ich hatte die langweiligsten Nudeln, die jemals nördlich vom Ätna gekocht wurden. Außerdem gibt es zu den Hauptgerichten immer Polenta und bei Polenta kann man ja eigentlich nicht so viel falsch machen. Außer, man spart an den Fetten. Na ja, ich hatte dort auch schon fantastisches Meeresfrüchte-Ragout, dessen phänomenale orange Soße aus Krustentieren gekocht wurde.

Oder ein ausgezeichnetes Kalbstatar, perfekt geschnitten, überraschend gewürzt. Und bei Tatar bin ich wirklich kritisch. Die Caponata ist immer perfekt süß-sauer. Meist gefällt mir auch der Wein. Weil er manchmal mit einer Salzigkeit oder einer Buttrigkeit um die Ecke kommt, von der ich nicht wusste, dass ich sie in dem Moment brauche.

Selbst schuld

Jetzt könnte man sagen, wer regelmäßig und immer wieder in einem nicht so guten und dabei aber teurem Restaurant isst, der ist doch auch wirklich selbst schuld. Der will doch veräppelt werden. Aber es gibt nun mal etwas, das mich immer wieder hintreibt, und das ist mein Stammgast-Status.

Ende letzten Jahres schloss das Berliner »Einstein« Stammhaus. Ich liebte es, es war mein Stammcafé bevor es schloss. Ich mochte diese prätentiöse Art des Hauses und, dass ich die Gäste an den anderen Tischen belauschen konnte. Die Frauenärztin einer bekannten Politikerin erzählte mit vorgehaltener Hand über Details derer Schwangerschaft; Geschäftsmänner sprachen in dieser Geschäftsmann-eigenen-Sprache, die einfach gut klingt aber keine Bedeutung hat, Künstler spuckten beim Sprechen und Chefredakteure kamen mit viel zu jungen Begleitungen die Tür hinein. Und ich bekam meist meinen Lieblingstisch – mit Blick auf die Tür – wurde mit »Hallo Schätzchen« begrüßt und bekam Komplimente zu neuen Frisuren – natürlich von der Kellnerin.

Schon immer und freiwillig da

Ja, ja, das klingt oberflächlich. Zugegeben. Aber Stammlokale sind nun mal für die niederen Bedürfnisse da. Dafür, einem das Gefühl zu geben, man kommt nach Hause. Nur besser. Und in meinem jetzigen Stammrestaurant ist es eben auch so. Ich werde mit meinem Namen begrüßt, den die italienischen Mitarbeiter viel besser aussprechen können als ich selbst. Sie sagen mir, was ich essen soll. Sie wissen, dass ich noch mehr Wein trinken sollte. Es gibt Kerzen. Es gibt bessere Lichtstimmung als bei mir zuhause. Und ich treffe auch interessantere Menschen als bei mir zuhause. Es läuft gute Musik, die ich nicht aussuchen muss – manchmal werde ich freundlich angeflirtet. Und wenn das Essen schlecht ist, freue ich mich wenigstens etwas, dass die eher unangenehmen Neu-Gäste aus den umliegenden Agenturen, denken, sie gehen hier jetzt mal schön essen und dann schlechtes Essen bekommen. Ich bin ja schließlich schon immer und freiwillig da. Tausche Blicke mit der Kellnerin, wenn ein Tisch besonders nervt. Sitze auf dem Fußweg an den ein bisschen affigen rot-weiß-karierten Tischdecken. Sehe, was in meinem Kiez los ist, darf nach 22 Uhr noch draußen sitzen – und muss das letzte Glas Wein nicht immer bezahlen.

Neulich hat ein neues Restaurant im Kiez aufgemacht. Es hängt schöne Kunst darin, die einem das Gefühl gibt, eine feine Frau von Welt zu sein. Es wachsen Pflanzen davor, die so tun, als gäbe es keine große Straße. Die Gäste kommen aus den reicheren Stadtteilen. Es sind glücklichere Familien, deren Kinder den Artischocken-Boden nicht aufessen. Dabei ist der fantastisch. Es gibt feine Saucen zum Fisch, es gibt ein gutes Tatar. Eine Bistro-Karte, die von besseren Köchen gekocht wird. Es ist eine Freude, es ist das Geld wert.

Zuckerbrot und Peitsche

Ich hatte eine große Motivation. Ein Vorhaben gar: das soll nun mein Stammrestaurant werden, verkündete ich den Freunden. Und es wurde mir geraten, jeden Tag hinzugehen. Eine Woche lang. So würde man sich Stammgast-Status in jedem Lokal erarbeiten können. Doch das war mir weder finanziell noch zeitlich möglich. Ich ging jedoch einmal die Woche. Das Essen blieb konstant gut. Irgendwann wurde ich auch erkannt. Doch mehr als ein »Hallo, wie geht’s?« war nicht drin. Der Kellner vermied immerhin das »Sie« mit einem »Wir«, wenn er mich meinte; seine Kollegin, die ich lieber mochte, erwiderte jedoch keine meiner Blicke. Die Verabschiedung war immer freundlich, aber vor allem professionell zurückhaltend. Sie machten alles richtig, aber ich hatte die Vermutung, dass genau das bedeutete, hier niemals Stammgast werden zu können.

Denn in einem Stammlokal, da gibt es Zuckerbrot und Peitsche. Da muss es menscheln. Da ist nicht alles perfekt – so wie zuhause. Nur besser.

 


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Laura Ewert
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