Im Wiener Untergrund wird im »Krypt« hinter unscheinbaren Türen bis in die Morgenstunden gefeiert und hochstehende Cocktail-Kultur genossen.

Im Wiener Untergrund wird im »Krypt« hinter unscheinbaren Türen bis in die Morgenstunden gefeiert und hochstehende Cocktail-Kultur genossen.
© MATOJOHANNIK

Nachtschicht in Wien: Der Bar-Report

Die Wiener Barszene ist so lebendig wie noch nie. Fast im Monatstakt eröffnen neue Bars, und dennoch ist das Verhältnis unter den Mitbewerbern so freundlich, dass es beinahe wie in einer großen Familie ist.

Es ist ein Museum, das Drinks serviert«. So beschreibt Mari­anne Kohn, die Doyenne der Wiener Nacht, ihre Loosbar. Benannt nach dem legendären Jahrhundertwende-Architekten Adolf Loos, der die American Bar im Jahr 1908 entworfen hat. Die Loosbar ist seit Jahrzehnten ein Fixstern am Wiener Barhimmel und hat den Weg für eine lebendige Szene geebnet. Jene Menschen, die früher in Clubs und Discotheken pilgerten, sind erwachsener und anspruchsvoller geworden und lassen sich nicht mehr mit banalen Longdrinks abspeisen, um die man an überfüllten Bars kämpfen muss. Zur heutigen Barkultur gehört ein gepflegtes Ambiente, eine gewisse Original-ität und hochwertige Cocktailqualität.
Wenn es um die qualitative Entwicklung der Wiener Barszene geht, dann muss man einerseits den viel zu früh verstorbenen Mario Castillo und sein Barfly’s er-wähnen, das seit 1989 klassische Barkultur in Wien eta-blierte. Andererseits liegt es wohl an der Schöpfungskraft der einzelnen Protagonisten, die freundschaftlich zusammenarbeiten. Im Netzwerk der Vienna Barcommunity treffen sich wirtschaftliche Konkurrenten regelmäßig, um zusammen zu verkosten, Erfahrungen auszutauschen und Ideen weiterzuentwickeln. Als Treffpunkte werden gerne neue Bars ausgewählt, die aus den eigenen Reihen entstanden sind, wenn sich ein Barkeeper selbstständig gemacht hat. Diese Übereinkünfte sind wie Familientreffen: Man kennt einander, es wird geplaudert, geblödelt und viel gelacht.
Eine der Schlüsselfiguren der Vienna Barcommunity ist Gerhard Kozbach-Tsai, der sich vor wenigen Jahren mit der Speakeasy Bar »Tür 7« selbstständig ge-macht hat. Wie es sich für eine Bar dieses Schlages gehört, ist der Eingang unscheinbar und nicht als Bar zu erkennen. Wer die genaue Adresse kennt, läutet an der Türklingel und wird von einem der Barkeeper persönlich empfangen. Das Interieur ist wie eine Privatwohnung gestaltet, es gibt ein Vorzimmer, eine Garderobe, ein Wohnzimmer und ein Badezimmer, sogar mit dekorativer Badewanne. Entsprechend persönlich sind auch die Betreuung und Beratung, jeder Drink wird für die Vorlieben des jeweiligen Gastes maßgeschneidert. Das Konzept funktioniert so gut, dass die »Tür 7« von Falstaff bereits viermal in Folge als American Bar des Jahres ausgezeichnet wurde.

Kreative Cocktails mit Gemüse gibt es in der Szene-Bar »Krypt«.
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Kreative Cocktails mit Gemüse gibt es in der Szene-Bar »Krypt«.

Urgesteine und Wegbereiter

Zentrale Figuren und so etwas wie Urgesteine der Wiener Barszene sind außerdem Erich Wassicek und Heinz Kaiser. Beide sind durch ihre internationalen Erfolge und Jury-Tätigkeiten bei Cocktail-Wettbewerben große Vorbilder für den Nachwuchs hinter den Tresen. Wassicek betreibt seine Boutique-Bar »Halbestadt« in den Wiener Stadtbahnbögen am Gürtel, und Kaiser – in der Branche liebevoll »die Kaiserin« genannt – ist Barchef in der »Sky Bar« am Dach des Kaufhauses Steffl und überblickt von dort ganz Wien. »Die Sky« ist im Moment wohl die am hochkarätigsten besetzte Bar der Stadt. Neben Kaiser haken und rühren dort mehrfach prämierte Bargranden wie Marcus Philipp und Deni »Flair« Dumancic.
Von der »Sky Bar« ist es nur ein Katzensprung zu einem jungen Phänomen der Wiener Nächte, zum »Kleinod«. Erst vor drei Jahren eröffnet, hat es sich sofort einen Fixplatz im Barleben der Hauptstadt erobert und ist mit erstaunlicher Regelmäßigkeit stets bis in die Morgenstunden rammelvoll. Die Freunde dieser Szenebar freuen sich schon auf »Kleinod 2« in der nahe gelegenen Bäckerstraße, das im Moment als Pop-up betrieben wird und im Herbst 2019 eröffnen soll. Über eine ähnlich phänomenale Frequenz wie im »Kleinod« freut sich der charismatische Roberto Pavlovic-Hariwijadi, der in der Wiener City seine zwei »Roberto American Bars« betreibt.
Für einen weiteren erfreulichen Bar-Zuwachs in der Wiener Innenstadt sorgten vor knapp zwei Jahren Philipp Ernst und Andrea Hörzer, die am Rande des Lokal-Viertels Bermuda-Dreieck eine charmante Bar mit höchster Cocktail-Qualität eröffneten, das »Josef«.

Hotelbars

Weitere Impulse in der ohnehin schon lebendigen Barkultur setzte die junge Luxushotellerie der Stadt. Das »Ritz-Carlton Vienna« er-öffnete mit der Rooftop-Bar »Atmosphere« neue Perspektiven auf die Donaumetropole, und in der »D-bar« im selben Haus sorgt der aktuelle Falstaff-Gastgeber des Jahres, Lukas Hochmuth, für höchste Drink-Qualität.
»The Bank«, die Bar in der Edelherberge Park Hyatt am Hof, befindet sich in der historischen Länderbank-Kassenhalle und zählt wohl zu den schönsten Bars Europas. Kreativ setzt sich das Barteam mit der Geschichte des Hauses auseinander und spielt bei der Cocktail-Kreation mit Bezügen zum Themenbogen Geld und Bank. Zur Falstaff Hotelbar des Jahres wurde aber das »26°EAST« im Palais Hansen Kempinski gekürt. Die Bar wurde erst vor Kurzem vom neuen Barchef David Penker neu konzeptioniert und legt ihre inhaltlichen Schwerpunkte auf Länder, die auf dem 26. Längengrad liegen.

Die »D-bar« im Ritz-Carlton Vienna ist eines Grand Hotels würdig: klassisch und elegant.
© Nadine Studeny Photography
Die »D-bar« im Ritz-Carlton Vienna ist eines Grand Hotels würdig: klassisch und elegant.

Die Spezialisten

Mit der Größe des Angebots ist auch die Vielfalt gewachsen, viele Barkeeper haben sich auf ein Herzensthema spezialisiert. Falstaff Bartender des Jahres Sammy Walfisch setzt sich in seinem »Botanical Garden« intensiv mit der Gin-Kultur aus-einander. Walfisch, der mit dem »Moby Dick« ein zweites Projekt vorantreibt, lobt ebenso das freundschaftliche Miteinander in der Branche.
Noch vor dem immer noch anhaltenden Gin-Boom beschäftigte sich Nikolaus Slupetzky alias Mr. Gin mit der Wacholder-Spirituose. In seiner »SLUbar« hat er mittlerweile 282 Gins und 44 Tonics angesammelt und bietet rein rechnerisch mehr als 12.000 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten. Der gebürtige Chinese Kan Zuo gilt als der Kreativkopf der Wiener Barszene.
In seiner »The Sign Lounge« serviert er so-wohl Drinks mit Tiefgang als auch mit einer gewissen Verspieltheit. Die bunte Exotik der Tiki-Drinks spiegelt sich nicht nur in den fruchtigen Cocktails des »Matiki« wider, man findet sie auch stilecht auf den Hawaii-Hemden der Betreiber Arik und Matty Vinnitski. Ihre Bar wurde von der Falstaff-Community zur Neueröffnung des Jahres gewählt. Bunt und lebendig geht es auch im »BirdYard« zu, wo es neben ernsthafter Cocktailkultur auf drei Etagen auch eine sehr empfehlenswerte Küche gibt. Nicht umsonst wurde sie zur Restaurantbar des Jahres gekürt. Eine Mischung aus Club und Bar ist das geheimnisvolle »Krypt«, dessen unscheinbarer Eingang die Speak-easy-Geschichte zitiert. Die unterirdischen Kellergewölbe sind weitläufig, der Boden besteht aus Marmor-Platten und das kühle Design würde auch inManhattan nicht fehl am Platze wirken. Barfrauen sind zwar auch in Wien in der Minderheit, Persönlichkeiten wie Sigrid Schot haben sich durch Können und Beständigkeit aber einen Logenplatz in der Wiener Barszene erobert. Mit ihrer wunderbaren »Hammond Bar« schafft sie es, in einer nicht gerade bevorzugten Lage anspruchsvolle Cocktail-Kultur zu leben. Viel Talent hat auch schon Katharina Schwaller bewiesen, die nun die Gäste im »Heuer am Karlsplatz« verwöhnt. Die Bar befindet sich wie das dazugehörige Restaurant im selben Gebäude wie das Kunsthaus am Karlsplatz und verbindet wie die eingangs erwähnte Loosbar Kunst mit Genuss und Bar mit Kultur.

Falstaff Bar- & Spiritsguide 2019

Im Falstaff Bar- & Spiritsguide 2019 wurden zahlreiche Wiener Bars und die dazugehörenden Persönlichkeiten geehrt:
Lebenswerk: Marianne Kohn, Loosbar
Barfrau des Jahres:
Katharina Schwaller, Heuer am Karlsplatz
Bartender des Jahres: Sammy Walfisch, Botanical Garden
Barteam des Jahres: Kleinod, Wien
Gastgeber des Jahres: Lukas Hochmuth, D-bar
Hotelbar des Jahres: 26°EAST, Wien
Restaurantbar des Jahres: The BirdYard, Wien
Neueröffnung des Jahres: Matiki, Wien
American Bar des Jahres: Tür 7, Wien

Erschienen in
Falstaff Spezial »Kulinarisches Wien« 2018

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Bernhard Degen
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