Im Ofen des »Botín« glüht die Kohle seit fast 300 Jahren. Er darf auch nachts nicht auskühlen, denn schon morgens werden die ersten Spanferkel gebraten.

Im Ofen des »Botín« glüht die Kohle seit fast 300 Jahren. Er darf auch nachts nicht auskühlen, denn schon morgens werden die ersten Spanferkel gebraten.
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Restaurant-Legenden: Fiesta mit Ferkel im »Botin«

Das Restaurant »Botín« in Madrid besteht seit dem Jahr 1725 und gilt als älteste noch betriebene Gaststätte der Welt. Aus dem historischen Ofen, der nie ausgehen darf, kommt das berühmteste Gericht des Lokals: »Cochinillo asado« vulgo Spanferkel. An den üppigen Portionen haben sich auch schon Ernest Hemingway und Woody Allen gestärkt.

Glaubt man dem Guinness Buch der Rekorde, gibt es auf der Welt kein Restaurant, das länger durchgehend und an derselben Adresse betrieben wurde als das »Sobrino de Botín« im Zentrum der spanischen Hauptstadt Madrid. Es wurde bereits im Jahr 1725 eröffnet und hatte sogar während des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er-Jahren geöffnet. Im Laufe von drei Jahrhunderten hat sich das einfache Gasthaus zu einem weltbekannten Mekka für »Comfort Food« entwickelt. Hier wird leistbare Hausmannskost nach alten Rezepten in einem stilvoll-rustikalen Ambiente gereicht.

Geschmackvolle Familienangelegenheit

Für die Zuerkennung des Rekords im Jahr 1987 galt als drittes Kriterium der konsequent verwendete Namen – doch das kommt aufmerksamen Gästen spanisch vor: Denn das ursprüngliche Gasthaus des Franzosen Jean Botin und seiner spanischen Frau haben einige Autoren als »Hostería Botín« bezeichnet. Nachdem das Paar kinderlos gestorben und das Restaurant 1753 an einen Verwandten übergegangen war, benannte dieser es folgerichtig in »Sobrino de Botín« um: Botins Neffe. Bis heute sind außerdem die Namen »Casa Botín« und »Restaurante Botín« im Umlauf. Für die meisten Gäste – Madrilener wie Touristen – ist es jedoch schlicht das »Botín«.

In dieser langen Zeit hat das Restaurant bisher erst ein einziges Mal die Besitzerfamilie gewechselt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernahmen Emilio González und seine Frau, die Vorfahren der heutigen Betreiber, das »Botín«, das damals nur ein kleiner Familienbetrieb war. Das Lokal beschränkte sich auf den Eingangsbereich und den ersten Stock. Der Weinkeller – ein faszinierendes Gewölbe aus dem Jahr  1590 – diente als Lagerraum, in den oberen Stockwerken wohnte die Familie. 

Der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) zerstörte vorerst den Traum von einem florierenden Gasthaus, doch zugesperrt wurde nicht: Während sich seine Frau und die Kinder aufs Land zurückzogen, versorgte der Inhaber vorübergehend Soldaten. In der Hand der beiden Söhne entwickelte sich das »Botín« später weiter und wurde langsam zu dem bekannten Kultlokal, das es heute ist.

Mittlerweile hat die dritte Generation die Führung übernommen, und die Speisesäle belegen vier Stockwerke eines unscheinbaren Stadthauses in der von breiten Gehsteigen gesäumten Einbahnstraße Calle de Cuchilleros. Niedrige Decken, sichtbare Balken, bunte Fenster, blau-weiße Fliesen, gerahmte Gemälde und viel dunkles Holz sorgen für eine Atmosphäre wie in einer landestypischen Taverne. 

Wo der Ofen seit drei Jahrhunderten heiß ist

Vor dieser urigen Kulisse schmeckt die deftige Spezialität des Hauses besonders gut: das Spanferkel, auf Spanisch »Cochinillo asado«, serviert mit Erdäpfeln und vorzugsweise begleitet von einem Schoppen Rioja. Außen knusprige Haut, innen zartes Fleisch und die Würze von süßem Pfeffer, Estragon und Weißwein, dazu das Aroma von den Scheiten aus Steineichenholz: kein Wunder, dass die Delikatesse täglich bis zu 70 Mal bestellt wird. Sie kommt nach wie vor aus dem originalen Ofen aus dem 18. Jahrhundert. Die Flamme darin brennt seit dem Gründungsjahr ununterbrochen – also fast 300 Jahre. Der »Horno« muss nachts heiß bleiben, damit am nächsten Morgen die ersten Ferkel gebraten werden können.

Aber wussten Sie, dass die Vorsilbe »Span-« nicht etwa auf die Holzspäne verweist, über denen das Schweinchen gegrillt wird, sondern auf sein geringes Alter? Sie geht nämlich auf den althochdeutschen Begriff für »Zitze« zurück und bedeutet, dass das Ferkel zum Zeitpunkt des Schlachtens noch gesäugt wurde. Sein Fleisch ist besonders hell, zart und mild im Geschmack.

Mit 26,15 Euro ist das legendäre Gericht nicht einmal der teuerste Posten auf der Speisekarte. Es wird von allerlei Fischgerichten sowie vom ebenfalls höchst beliebten Lammbraten »Cordero asado« getoppt, wobei die meisten Hauptgerichte zwischen 20 und 30 Euro liegen. Wer sowohl preislich als auch geschmacklich aus der Reihe tanzen will, bestellt für über 122 Euro die Glasaale (»Angulas«) – die teuerste Delikatesse des Landes.

Kulinarische Zeitkapsel: Seit dem Jahr 1753 verweist die Aufschrift »Sobrino de Botín« darauf, dass der Neffe des Gründers das Lokal übernommen hatte. Und »Horno de Asar« bewirbt den Ofen mit Grillfunktion. Ursprünglich wurden darin nur jene Zutaten zubereitet, die die Gäste selbst mitbrachten.
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Kulinarische Zeitkapsel: Seit dem Jahr 1753 verweist die Aufschrift »Sobrino de Botín« darauf, dass der Neffe des Gründers das Lokal übernommen hatte. Und »Horno de Asar« bewirbt den Ofen mit Grillfunktion. Ursprünglich wurden darin nur jene Zutaten zubereitet, die die Gäste selbst mitbrachten.

Damals und heute ein Ort der Wärme

Die geschichtsträchtige Gaststätte liegt einen Steinwurf von der Plaza Mayor entfernt und damit im Stadtteil namens El Madrid de los Austrias – »das Madrid der Österreicher«. Dabei handelt es sich um das alte Zentrum der Stadt, das im 16. und 17. Jahrhundert unter den Habsburgern angelegt wurde. Als 1606 der spanische Königshof nach Madrid verlegt wurde, entstand rund um den »großen Platz« ein wichtiges Handelsviertel. Die Namen der Gassen erinnern an die dort ansässigen Handwerker, unter anderem die Messerschmiede in der Calle Cuchilleros.

Um den anderen Zünften das Geschäft nicht zu ruinieren, durften die Gastronomen ursprünglich weder Essen noch Wein verkaufen, sondern nur jene Zutaten zubereiten, die die Gäste selbst mitbrachten. In diesem Sinne hat das Gasthaus damals der lokalen Gemeinde gedient, indem es jenen eine Küche bot, die selbst keine hatten. Das hat sich mittlerweile selbstverständlich längst geändert, doch die Funktion als Treffpunkt und Ort der Wärme erfüllt das »Botín« noch immer. 

Obwohl Genusstouristen in Scharen vorbeiziehen und einkehren, gönnen sich ebenso viele Locals eine Auszeit an diesem Ort des »Comfort Food«. Und wenn spätabends die einheimischen Nachtschwärmer einfallen (das »Botín« hat täglich bis Mitternacht geöffnet), steht die »Sopa de ajo« besonders hoch im Kurs: Hühnersuppe mit einem pochierten Ei, Sherry und Knoblauch.

Natürlich kann man Klassiker wie Kalbsfilet, Lendensteak und Brathähnchen in der eigenen Küche zubereiten, aber kann man sie auch perfektionieren? Die Erfahrung aus drei Jahrhunderten macht sich bemerkbar, wenn diese ach so simple Hausmannskost auf der Zunge zergeht. Gekocht wird nach den etwa hundertjährigen Rezepten der Großeltern González. Rund 70 Mitarbeiter sorgen dafür, dass im »Botín« mittags und abends jeweils bis zu 200 Gäste in den Genuss der ofenfrischen Ferkel, Lammbraten und sonstigen Spezialitäten kommen. 

Im Laufe der Zeit hat das »Botín« auch zahlreiche Berühmtheiten bewirtet, darunter Woody Allen sowie die spanische Königin Sofia zusammen mit der ehemaligen amerikanischen First Lady Nancy Reagan. Weltbekannte Schriftsteller wie Truman Capote und F. Scott Fitzgerald haben das Restaurant in ihren Romanen erwähnt und damit zusätzlich zur Bekanntheit beigetragen. »Wir saßen oben im ersten Stock bei Botín«, heißt es etwa am Ende von Ernest Hemingways Roman »Fiesta«. »Es ist eines der besten Restaurants der Welt. Ich aß eine Riesenmahlzeit und trank drei Flaschen Rioja Alta.«

Das »Botín« ist eine lohnende Adresse für Fans von Fisch und Fleisch. Die Gerichte kommen ohne Dekoration, in ihrer Deftigkeit und Schnörkellosigkeit erinnern sie an eine Zeit, in der Fleisch ein Luxusgut war und ganz selbstverständlich die Hauptrolle auf dem Teller spielte. Und so schmecken Spanferkel, Lammbraten, Garnelen und Fischeintopf im »Botín« zeitlos köstlich.

Zu Gast im »Sobrino de Botín«
Kulinarische Zeitreise Calle Cuchilleros 17, 28005 Madrid T: +34 91 3664217, botin.es Seit fast 300 Jahren steht das »Botín« für authentische spanische Gastfreundschaft. In den urigen, mit antiken Gegenständen dekorierten Speisesälen scheint die Zeit stillzustehen. Trends gehen an diesem einmaligen Lokal spurlos vorbei, vielmehr setzt das Team unter der Leitung der Familie González auf Hausmannskost nach alten Rezepten. Bei den deftigen Gerichten stehen Fleisch und Fisch im Mittelpunkt.

 

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2023

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Lisa Arnold
Autor
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