Falstaff-Spitzengespräch beim »Hausmair«: Bürgermeister Michael Ludwig (r.) und Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck.

Falstaff-Spitzengespräch beim »Hausmair«: Bürgermeister Michael Ludwig (r.) und Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck.
© Xenia Trampusch

»Ich bin ein starker Esser, kein Koch«: Michael Ludwig und Walter Ruck im Falstaff Talk

Was macht die Wiener Küche so besonders? Wohin mit den Touristen in der Stadt? Und in welchen Branchen muss man noch zulegen, um bei der Lebensqualität weiter an der Spitze zu bleiben? Bürgermeister Michael Ludwig und Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck im Gespräch über Hendl mit Rahmfisolen, günstige Märkte und die Zukunft der Innenstadt.

Sobald man »Hausmair’s Gaststätte» auf der Lerchenfelder Straße betritt, ist es unübersehbar: Man ist hier in einem echten Wiener Wirtshaus gelandet. Am großen Stammtisch (direkt unter einem ausgestopften Wildschwein) werden zu Mittag die ersten Biere serviert und auch sonst herrscht reger Betrieb: Wirt Herbert Hausmair oszilliert zwischen Küche (wo er selbst kocht) und Stube, um die Gäste mit der einen oder anderen wohlplatzierten Pointe zu unterhalten. Serviert werden – saisongemäß – Gansl, Beuscherl und andere Klassiker, aber auch Rares wie Feldhasenlauf im Gemüserahmsaftl.

Falstaff: Herr Bürgermeister, Sie haben als Treffpunkt heute »Hausmair’s Gaststätte« gewählt. Ist das ein Ort, der für Sie die Wiener Kulinarik repräsentiert?

Michael Ludwig: Es ist aus mehreren Gründen ein typisches Wiener Wirtshaus. Weil es nämlich explizit kein Gasthaus, sondern ein Wirtshaus ist – und das heißt, dass hier der Wirt bestimmt. Solche Wirtshäuser sind ein wichtiges Kommunikationszentrum für das Grätzel. Und es werden sehr nachhaltige biologische Produkte präsentiert wie beispielsweise Wildspezialitäten. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Wiener Küche ganz besondere Delikatessen zu bieten hat. Immerhin ist sie meines Wissens die einzige weltweit, die tatsächlich nach einer Stadt benannt ist, nicht nach einem Land. Es gibt keine Pariser Küche, es gibt keine Berliner Küche, keine Londoner Küche. Aber es gibt eine Wiener Küche, die sich aus Einflüssen verschiedenster Regionen entwickelt hat und zeigt, dass Wien eine internationale, historisch gewachsene Stadt ist, die Einflüssen von außen gegenüber immer sehr offen war.

Walter Ruck: Das Schöne an der Wiener Gastronomie ist, dass wir heute in einer Stube sitzen können, in der es gemütlich ist und in der die Wände holzvertäfelt sind, wie sie es vor 30 Jahren wohl auch schon waren. Man hat ein bisschen das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Das entspricht ja durchaus der Wiener Mentalität. Zeitlos – und zugleich erleben wir auf den Tellern die moderne Ausprägung der Wiener Küche. Der Wirt ist nachhaltig unterwegs, kocht regional und saisonal. Und da sehen wir gleich die volle Breite der Wiener Kulinarik, die in unserer Stadt zu so einer lebendigen Gastroszene führt. Vom Würstelstand bis zum hoch dekorierten Betrieb, da ist für jeden Geschmack was dabei. Und auch für jedes Budget.

Ludwig: Mir gefällt, dass hier ganz viele Produkte auf den Tisch kommen, für die Wien wirklich steht. Etwa der Wiener Wein. Es gibt keine andere Metropole, in der am Stadtrand nennenswerter Weinbau stattfindet. Unser Gemischter Satz ist sogar DAC-geregelt und international stark nachgefragt. Wir sind erst unlängst Biostadt Nummer eins geworden in Europa, weil wir mit »Wiener Gusto« eine stadteigene Marke kreiert haben, mit der wir tolle Produkte, von der Bioberglinse bis zu Wild, vermarkten. Bedenken Sie, dass mehr als 50 Prozent der Grundfläche in Wien Grünland sind, 14 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt. Wir ernten 260 Prozent des Gurkenbedarfs der Wiener Bevölkerung und können Gemüse sogar von der Metropole in andere Bundesländer exportieren. Wir produzieren mehr Brotgetreide als die drei Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg zusammen. Das ist eine Besonderheit, die wir pflegen müssen.

© Xenia Trampusch

Die Gastronomie hat mit der Coronapandemie dennoch eine schwierige Zeit hinter sich. Die Stadt hat kreative, aber auch umstrittene Maßnahmen gesetzt – vom sogenannten Schnitzelgutschein bis hin zur »Stolz auf Wien«-GmbH, die Betriebe vor der Insolvenz retten sollte. Wie ist die Branche durch die Krise gekommen?

Ludwig: Wir haben gemeinsam – die Stadt und die Wirtschaftskammer – alles getan, um der Gastronomie unter die Arme zu greifen. Mit gezielten Maßnahmen, nicht mit der Gießkanne. Da war der Gastrogutschein ein sehr gutes Beispiel. Wir haben 950.000 Haushalte dazu animiert, die Wiener Gastronomie zu besuchen. Dafür haben wir 30 Millionen Euro investiert. Zugegeben, das war teuer. Aber es ist ein Vielfaches an die Gastronomen gegangen, weil die Menschen dort ja mehr ausgegeben haben als den bloßen Wert des Gutscheins. Für die Zusammenarbeit bin ich Walter Ruck dankbar.

Ruck: Die Gastronomen waren sehr tapfer. Die Krise hat die Betriebe bis an die Grenze belastet. Nicht nur finanziell, sondern auch psychisch. Diese Zeit so positiv zu schultern, zeichnet die Wiener Gastronomen aus. Da waren die Hilfsleistungen natürlich eine schöne Anerkennung und Unterstützung. Das Wichtigste ist aber, dass das Geschäft nun wieder läuft. Und wir sehen es, während wir hier sitzen: Die Gaststuben und Schanigärten sind wieder voll. Kulinarik zu erleben, steht bei den Wienern ganz hoch im Kurs.

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die viel beklagte Teuerung ist bei den Wienern noch gar nicht wirklich angekommen.

Ruck: Nein, das sehe ich anders. Es zeigt, dass man preiswert ist. Das muss jeder Unternehmer anstreben: Der Preis, den man verlangt, soll dem Wert entsprechen. Und bei unseren Gastronomen sind Preis und Wert im Einklang.

Kochen Sie auch manchmal selbst?

Ludwig: Ich bin ein starker Esser, nicht unbedingt ein Koch.

Ruck: Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Wir gehen lieber gemeinsam essen.

Ludwig: Aber all jenen, die selbst kochen wollen, denen beweisen die Wiener Märkte, dass man in unserer Stadt ganz einfach nachhaltig und biologisch für eine ganze Familie einkaufen kann – und das mit geringem finanziellem Aufwand.

© Xenia Trampusch

Kulinarische Spar-Tipps von Politikern sind ja derzeit in Mode. Was empfehlen Sie einer Familie, die mit kleinem Budget etwas Warmes auf den Tisch bringen will?

Ludwig: Ich habe – zufällig gemeinsam mit Herbert Hausmair – schon mehrere dreigängige Menüs präsentiert, bei denen unser Budget stark limitiert war. Von Grießnockerln über Hendl mit Rahmfisolen bis zu Marillenknödeln ist da alles dabei. Das von uns selbst gesetzte Haushaltsbudget von 70 Euro pro Woche für eine vierköpfige Familie konnten wir einhalten. Wir haben am Brunnenmarkt alles bekommen. Auch wenn wir – zugegebenermaßen – etwas beim Preis verhandeln mussten.

Sie hatten keine Angst am Brunnenmarkt?

Ludwig: Nein, im Gegenteil. Es freut mich sehr, dass auf den Wiener Märkten 4.000 Menschen beschäftigt sind, und zwar Menschen mit ganz unterschiedlichem migrantischem Hintergrund, aber auch österreichische Familien, die seit Generationen ihre Produkte anbieten. Das ist überhaupt eine Besonderheit: Es gibt in Wien 17 ständige Märkte, dazu kommen neun Wochenmärkte. Während in anderen Metropolen das Angebot sinkt, sperren wir in Wien sogar laufend neue Märkte auf, weil das Interesse der Menschen so groß ist.

Welchen der Märkte empfiehlt der Bürgermeister besonders?

Ludwig: Das ist schwer zu beantworten, weil alle Märkte ihre eigene Atmosphäre haben. Darum ist es uns auch wichtig, gemeinsam jene Märkte gezielt zu entwickeln, die eine Zeit lang nicht im Fokus standen. Der Kutschkermarkt in Währing war knapp vor dem Zusperren, jetzt floriert er wieder. In meiner Heimat Floridsdorf hat sich der Schlingermarkt etwa gut erholt. Jeder hat sein eigenes Flair. Das lockt übrigens auch Touristen an.

Die Gäste kehren nach Corona zurück nach Wien. Das ist erfreulich, so mancher hat aber Angst vor dem sogenannten »Overtourism«. Wie kann man sicherstellen, dass das Zusammenleben von Gästen und Wienern weiter gut funktioniert?

Ruck: Ich halte »Overtourism« ja bloß für einen aus Salzburg importierten Begriff. Für Wien sehe ich dieses Problem nicht. Wir hatten in Wien im Jahr 2019 rund 19 Millionen Nächtigungen und es war immer unser Ziel, die 20 Millionen zu knacken. Wir sind auf einem guten Weg dahin. Und das ist gut so. Wien ist eine riesige Stadt und hat vieles zu bieten. Die Tourismusstrategie sieht die sogenannte Entzerrung der Touristenströme vor, um etwaigen Problemen vorzubeugen. Das bedeutet, dass wir Attraktionen abseits des Zentrums stärker bewerben.

Ludwig und Ruck im Gespräch mit Falstaff-Chefredakteur Christoph Schwarz.
© Xenia Trampusch
Ludwig und Ruck im Gespräch mit Falstaff-Chefredakteur Christoph Schwarz.

Wo würden Sie Gäste denn abseits der City hinschicken?

Ruck: Da gibt es Orte, die traditionell für Wien stehen, etwa Schloss Schönbrunn. Aber auch so manche Sehenswürdigkeiten, die noch im Verborgenen liegen – da könnte man sich etwa das Schloss Neugebäude in Simmering vornehmen, das touristisch brachliegt. Derartige Beispiele gibt es viele. Und dann gibt es neue Attraktionen, an denen derzeit noch gearbeitet wird, wie etwa eine Markthalle. Ich bin der Meinung, dass ein derartiges Angebot der Stadt guttäte.

Ludwig: Wir müssen uns immer die Frage stellen: Was kann der Tourismus für Wien tun? Nicht umgekehrt. Das gelingt uns gut. Neun von zehn Wienern haben ein sehr gutes Verhältnis zum Tourismus, es gibt keine ablehnende Haltung gegenüber Gästen. Die Bevölkerung erkennt den hohen wirtschaftlichen Wert der Branche. Wir haben sehr früh auf hochwertigen, qualitätsvollen Tourismus gesetzt. Drei Viertel der Gäste kommen wegen der Kultur, zudem legen wir den Fokus sehr erfolgreich auf den Konferenztourismus, den wir international bewerben. So geben Kongressgäste etwa zwei bis dreimal so viel aus wie der Durchschnitt aller Wien-Reisenden.

Gerade der Inneren Stadt, dem Herzen Wiens, stehen große Veränderungen bevor. Nach langem Hin und Her soll es nun eine Verkehrsberuhigung geben. Das bedeutet große Veränderungen für Bewohner, Touristen und Händler. Herr Bürgermeister, wird das neue Konzept noch vor 2025 umgesetzt, also noch in dieser Legislaturperiode?

Ludwig: Ja, ich gehe davon aus. Das ist realistisch. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass die Innenstadt nicht autofrei, sondern verkehrsberuhigt wird. Wien hat im Gegensatz zu anderen Städten ein belebtes Zen­trum. Hier leben Menschen, hier findet Unternehmertum statt, die Innere Stadt ist ein Ort der Kultur. Da soll die Verkehrsberuhigung für mehr Lebensqualität sorgen. Aber wir werden auch sicherstellen, dass der stationäre Handel nicht darunter leidet und sich weiter in seiner hervorragenden Qualität präsentieren kann. Er hat es im Wettkampf mit dem Onlinehandel ohnehin schon schwer genug.

Ruck: Einkaufen muss ein Erlebnis sein, das ist wichtig für den stationären Handel. Strandeln gehen, in die Auslagen schauen. Dafür benötige ich aber einen attraktiven Standort. Wenn es gelingt, die Innere Stadt für Besucher sogar noch angenehmer und spannender zu gestalten, dann wird auch der Handel davon profitieren. Davon bin ich überzeugt.

In einem echten Wiener Wirtshaus »gibt der Wirt den Ton an«, meint Bürgermeister Ludwig. Gastgeber Herbert Hausmair (Mitte) lässt sich das nicht zweimal sagen – und serviert Bier, Innereien und Wild. Der passionierte Jäger bringt in seinem Lokal in der Lerchenfelder Straße ganzjährig deftige regionale Hausmannskost auf den Tisch.
© Xenia Trampusch
In einem echten Wiener Wirtshaus »gibt der Wirt den Ton an«, meint Bürgermeister Ludwig. Gastgeber Herbert Hausmair (Mitte) lässt sich das nicht zweimal sagen – und serviert Bier, Innereien und Wild. Der passionierte Jäger bringt in seinem Lokal in der Lerchenfelder Straße ganzjährig deftige regionale Hausmannskost auf den Tisch.

Wien holt regelmäßig Spitzenplatzierungen in internationalen Rankings und rühmt sich, eine der lebenswertesten Städte der Welt zu sein. Drehen wir den Spieß dennoch um: Wo muss sich Wien anstrengen, damit es weiter an der Spitze bleibt?

Ruck: Mir fällt ein Bereich ein, in dem wir sehr gut sind, von dem ich mir aber noch mehr erhoffe. Das ist jener der Life Sciences. Wir haben da mit der »Wiener Medizinischen Schule« eine große Tradition, an die wir anknüpfen können. Das ist ein Zukunftsthema – und ein Wirtschaftsfaktor.

Ludwig: Es ist wichtig, dass wir uns stetig weiterentwickeln. Wir liegen in drei großen internationalen Rankings, in denen Wien mit hunderten anderen Städten verglichen wird, immer wieder auf dem ersten Platz. Mittlerweile wären wir schon betrübt, wenn es nur der zweite oder dritte Platz wird. Diesen Erfolg aufrechtzuerhalten, erfordert, dass wir uns mit Zukunftsthemen beschäftigen. Dazu zählt jedenfalls das Thema künstliche Intelligenz. Wir sind gut beraten, uns auf diese Entwicklungen vorzubereiten. Da hat Österreich insgesamt Aufholbedarf. Wien muss hier vorangehen und beweisen, dass wir zu Recht der Wirtschaftsmotor dieses Landes sind. Daher arbeiten wir derzeit daran, wissenschaftliche Expertinnen und Experten im Bereich der KI nach Wien zu holen.

Ruck: Die Stärke dieser Stadt, die mit ihrem Umland der dominante Wirtschaftsraum Österreichs ist, war immer schon ihre Heterogenität. Wir sind gut aufgestellt in vielen Branchen – von der Produktion bis zur Dienstleistung, von kleinen Betrieben bis zu großen Unternehmen. In diese Richtung soll der Geist der Weiterentwicklung gehen.


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Christoph Schwarz
Christoph Schwarz
Chefredakteur
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