100 Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg, Teil 3.

100 Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg, Teil 3.
© Matthias Neske

100mal Assmannshäuser Höllenberg, Teil III

Assmannshäuser Höllenberg – über viele Jahrzehnte war das die erste Adresse für Rotweine in Deutschland. 100 Höllenberg-Spätburgunder von 1882 bis 2020 standen bei einem spektakulären Tasting in Schloss Biebrich auf dem Tisch. Dies ist der dritte und letzte Teil der großen Verkostung.

Einhundert Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg von 1882 bis 2020 – das bedeutet eine Jahrgangstiefe, die man in Deutschland vermutlich nirgendwo finden kann. Die Organisatoren hatten eine unglaubliche Fülle an Schätzen zusammengetragen. Gab es für die kleine Runde an Weinfachleuten in den ersten Flights zunächst die jüngeren Rotweine aus dem Höllenberg zu probieren, folgte mit den ungeheuer lebendigen Süßweinen ein echtes Kontrastprogramm. Eines der Highlights war ganz sicher die Rot-Weiß Edelbeeren-Auslese des Jahrgangs 1917, die sich in hervorragender Form präsentierte. Im dritten und letzten Teil der Verkostungsserie soll es nun zunächst um die ältesten trockenen Höllenberg-Spätburgunder gehen.

Flight 8 – Höllenberg, 1931-1882

Der Vorteil von Blindproben liegt unzweifelhaft darin, ohne (positive oder negative) Vorurteile an die zu verkostenden Weine herangehen zu können. Eine anschließende Bewertung erfolgt dann ausschließlich nach den geschmacklichen Eindrücken, suggeriert also eine höchstmögliche Objektivität. Was einer Blindprobe jedoch fehlt, das ist das Magische, wenn man weiß, welcher Wein vor einem steht. Denn dieser Flight hatte etwas Magisches in sich. Fast alle Weine wirkten kaum älter als die Exemplare aus den 1960er Jahren, besaßen die gleiche Amberfarbe, die gleichen Eindrücke von Süßkirsche, (trockener) Cassonade, Küchenkräutern und eine lebendige Säure. Aber sie waren in Wahrheit 100 Jahre alt.

In den Bewertungen der Blindprobe lag die Runde relativ weit auseinander, wobei der eine oder die andere später um ein paar Pünktchen nachjustiert haben mag, nachdem die Jahrgänge aufgedeckt wurden.

Ein Favorit und zwei Legenden

Am haltbarsten, stoffigsten präsentierte sich der Spätburgunder des Jahres 1926. Nicht mit dem Zusatz »Natur« auf dem Etikett ausgestattet, kann es dennoch sein, dass er – wie bis 1931 in der Domäne Assmannshausen üblich – nicht chaptalisiert worden war. In der Nase gibt es eine immer noch präsente Himbeerfrucht, anders als bei den meist eher kräuterig gehaltenen Dekadenbrüdern. Dazu kommt ein rauchig-lederiger Touch und die mit Abstand dichteste, fruchtbestimmteste Materie, der längste Abgang. Dies ist vielleicht nicht der eleganteste aller Weine, aber er wirkt kaum gezehrt.

Der Spätburgunder aus dem legendären Jahrgang 1921 konnte zunächst blind nicht ganz mithalten. Die Gerbstoffstruktur muss einstmals ungeheuer mächtig gewesen sein, denn auch jetzt noch zeigten sich die Tannine leicht austrocknend am Gaumen. Die spürbare Reife, das glycerinhafte Gefühl an der Zungenspitze, der eindeutige Rotweincharakter, alles musste sich erst finden. Und es veränderte sich im Glas zunehmend – nicht zu seinem Nachteil übrigens.

Der letzte Wein des Flights stand farblich in seinem hellen Gelb als Kontrastprogramm zum fuchsroten 1921er. Frisch im Glas war er von deutlich flüchtigen Noten geprägt, die sich auch beim ersten Probieren noch unerfreulich stark nach vorn drängten. Erst nach zehn Minuten begann er sich freundlicher zu zeigen (oder die Papillen toleranter). Eine schöne Lebendigkeit ließ sich dem Wein jedenfalls nicht absprechen, nach und nach fanden auch reife Reneklodennoten ihren Weg in den Mund. Es handelte sich um den Höllenberg des Jahrgangs 1882. Blind zunächst in den Notizen unter ferner liefen eingeordnet, ist sie dann auf einmal da, die Magie. Vielleicht doch noch einmal nachprobieren, vielleicht doch noch eine Nuance finden, die man zunächst nicht gespürt hat. Ein Erlebnis in jedem Fall.

Flight 9 – Höllenberg, 1938-1932

Nachdem das für das persönliche Mindset überragende Highlight der Probe vorbei war, musste es ja jetzt wieder in gewöhnliche Gefilde gehen. Tatsächlich jedoch sind bei 100 Höllenbergs noch einige altehrwürdige Jahrgänge offen, und so präsentierte sich der neunte Flight wiederum alles andere als gewöhnlich. Die kulinarische Begleitung durch Günter Gollner hatte für die Weine der 1930er Jahre ein Risotto von Weißem und Grünen Spargel ausgewählt, ergänzt mit Kalbsbries-Röschen. Eine ausgezeichnete Kombination, die fast an die bislang favorisierte Begleitung des 1961ers mit geschmortem Ochsenschwanz heranreichte.

Ein Top-Favorit und zwei schöne Begleiter

Mittlerweile hatten sich in der Runde der Testerinnen und Tester gewisse Vorlieben herauskristallisiert. Vor allem die Fraktion der skandinavischen Sommelièren favorisierte den feinen, frischen, eleganten Typus, während die alterfahrene männliche Fraktion den kräftigeren, reiferen Weinen positiver gegenüber stand. Ein Wein, der eher der zarten Interpretation folgte, erwies sich in diesem Flight allerdings als gemeinsamer Liebling. Es handelte sich um den 1935er. Zunächst mit einer vergleichsweise milderen Säure ausgestattet, stach der Wein im weiteren Verlauf mit seinem ungemein eleganten Fluss heraus. Eher leise, aber auf eine unnachahmliche Weise.

Zeitgenössische Favoriten dieser Epoche waren die Jahrgänge 1934 und 1937 – wie üblich die reifsten Jahrgänge. Schließlich befinden wir uns in der nördlich geprägten Diktion der Jahrgangsqualität, die lange Jahrzehnte vom Kampf um Reife beeinflusst wurde. Der 1937er enthielt dann auch Feuer, Würze und einen fast likörigen Anklang, der nicht recht zum klassischen Idealbild eines Pinots passte. 1934 hingegen konnte neben der zweifellos vorhandenen Kraft noch mehr Noten von Haselnuss und Cassis in die Waagschale werfen. Als Gegenentwurf präsentierte sich die feiner gehaltene Ausgabe von 1933 mit ihren Aromen nach Liebstöckel, Kirschenschale und verblühten Rosenblättern.

Flight 10 – Höllenberg fruchtsüß, 1980-1964

Mit dem Jahrgang 1964 beschloss man auf der Domäne Assmannshausen, dem damaligen Zeitgeist zu folgen und auch die »gewöhnlichen« Spätburgunder mit Restsüße auszustatten. Man glaubte, so trug Gutsdirektor Dieter Greiner aus den Archiven vor, einfach nicht mehr daran, mit trockenen Weinen auf dem Markt reüssieren zu können. Tatsächlich zeigten sich in diesem Flight die Weine, die mit ein wenig Restsüße »aufgehübscht« waren, eher unerquicklich mit bitteren Kräutertönen. Diejenigen jedoch, die die Schwelle zu etwas mehr Süße übersprangen (und dadurch in einen anderen Typus kamen), waren durchaus erfreulich.

Drei Favoriten

Aus dem Jahrgang 1966 wurde der Weißherbst Eiswein präsentiert, der Dörrfrüchte am Gaumen zeigte, ein wenig Rauch und insgesamt eher wie eine Beerenauslese der 1980er Jahre wirkte. Aus jenem Jahrzehnt stammte in Wirklichkeit die Nr. 87 der Probe, die 1980er Spätlese aus dem Höllenberg ohne weiteren Namenszusatz. Stark geprägt von seiner Aprikosenfrucht, ist dies ein dichter Wein mit einer ungeheuer stark präsenten Säure, enorm frisch, aber gleichzeitig mit wesentlich mehr Gehalt, als man dies bei einer »einfachen« Spätlese erwarten würde.

In einer eigenen Liga unterwegs war schließlich die Trockenbeerenauslese des Jahrgangs 1969. Farblich in Mahagoni-Braun gehalten, sind in der Nase zunächst eher pflanzliche Töne wie Blockmalz und ein wenig kandierter Chicorée zu spüren. Am Gaumen zeigte sich der Wein wenig überraschend enorm viskos mit einem nussigen, dörrbirnigen Karamell. Ein dichtes und gewissermaßen ultimatives Produkt.

Flight 11 – Höllenberg süß, 1987-1972

Der letzte Flight war ebenfalls den süßen Weinen gewidmet, hier allerdings ausschließlich den bewusst süßen Weißherbsten, nämlich neun Eisweinen, einer Eiswein-Auslese und einer Beerenauslese. Zugegeben, 20 Süßweine am Ende eines Tages, der mit den zarten Nuancen hundertjähriger Kreszenzen begann, sind auch für erfahrene Verkoster »a mountain to climb«. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass auch dieser Flight die Attraktivität (wirklich) süßer Rosé-Spätburgunder unterstrich. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgängen waren dabei überraschend groß. Das Aromenspektrum erstreckte sich dementsprechend von Noten wie Honig und gebrannter Mandel über Rosenblüten bis zu Kamillenauszug.

Drei Favoriten

Dicht und fruchtreich zeigte sich der 1987er Eiswein. Das Exemplar aus dem Jahrgang 1979 bot mehr Pikanz und aprikosige Spitze, während die 1978er Version feiner und leichter daherkam. Alle drei Weine harmonierten übrigens ausgezeichnet mit dem Dessert, das auch Rohmilch-Comté mit Nussbrot bestand.

Obgleich der letzte Flight wahrhaftig nicht aus den ältesten bei dieser fulminanten Probe vorgestellten Weinen bestand, erlaubte er einen gleich doppelten Blick in die Vergangenheit. Die Weine hatten nicht nur mehrere Jahrzehnte in guter Form überstanden, sie stellten auch einen Typus dar, der in Assmannshausen heute nicht mehr produziert wird. Zumindest auf dem europäischen Markt kann der Eiswein als eine relativ kurzlebige Erscheinung gelten.

Was bleibt

Was bleibt als Erkenntnis nach 100 Weinen aus dem Assmannshäuser Höllenberg – oder, um genau zu sein, nach insgesamt 91 Höllenbergs und zwölf Berg Schlossbergs?

Zum einen bleibt natürlich die Einmaligkeit des Erlebnisses. Derartig viele derartig spektakuläre deutsche Rot- und Halbrot-Weine von 1882 bis heute hat es in einer einzelnen Verkostung möglicherweise noch nie gegeben.

Es bleibt aber auch ein nicht nur ausschließlich weinbasierter Rückblick auf 140 Jahre Zeitgeschichte. In den Weinen vom Höllenberg überlagern sich nämlich zwei Elemente. Eines davon ist die Kontinuität des Terroirs. Der Höllenberg bleibt immer der Höllenberg, schiefer-phyllit-dominiert am Hang, stärker lössgeprägt in Ortsnähe. Die einzelnen Jahrgänge mit ihren warmen oder kühlen Charakteristika geben dabei das Spektrum der natürlichen Varianz vor.

Das zweite Element betrifft den Einfluss des Menschen. Darunter kann man den ganz persönlichen Einfluss der verschiedenen Kellermeister verstehen, vor allem aber denjenigen des Zeitkolorits, der geschmacklichen Moden. Manches davon erzeugt eine gewisse Verblüffung aus dem heutigen Blickwinkel heraus. Aber diese beiden prägenden Elemente verweben sich immer miteinander, sie widersprechen sich nicht. Und so erweist sich der Spätburgunder aus dem Höllenberg auch nach 140 Jahren erlebter Weingeschichte als eine Art lebendiger Beständigkeit, als ein Gigant am Rhein mit tausend verschiedenen Nuancen.

Dr. Matthias Neske
Falstaff Scout
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