Die Gemeinde Fleurie ist einer der Orte, an denen das Beaujolais nicht nur landschaftlich besonders malerisch ist, sondern auch Spitzenweine hervorbringen kann.

Die Gemeinde Fleurie ist einer der Orte, an denen das Beaujolais nicht nur landschaftlich besonders malerisch ist, sondern auch Spitzenweine hervorbringen kann.
© Vins du Beaujolais / ETIENNE RAMOUSSE IMAGES

Beaujolais: Die besten AOCs streben nach einer Klassifikation und machen Burgund Konkurrenz

Lange verkaufte sich das Beaujolais unter Wert. Doch jetzt streben die besten AOCs nach einer Klassifikation – und machen nicht nur im Gasthaus Burgund Konkurrenz.

Das Weinbaugebiet des Beaujolais liegt zwischen dem südlichen Burgund und der – innerhalb Frankreichs – nördlichen Rhône. Da es fast bis in die Vororte der Stadt Lyon reicht, ist es kein Wunder, dass die Verbindung der kulinarischen Metropole mit den Weinen der Region schon immer eng war. In den Büchern des großen Paul Bocuse etwa tauchen die Weine aus den sogenannten Cru-Gemeinden, also den zehn angesehensten Appellationen des Gebiets, immer wieder auf: So verlangt sein Rezept für einen Coq au Vin von fünf Kilo Lebendgewicht drei Flaschen Juliénas für die Sauce, und auf das Foto zum »Bœuf à la ficelle«, einem in Brühe gekochten Rinderfilet, stellt der Jahrhundertkoch eine Flasche Morgon als Weinempfehlung neben den Teller.

Bei seiner Promotion des Beaujolais band sich Bocuse allerdings an einen Erzeuger, der damals gerade dabei war, die Weinwelt mit einer eher banalen Form des Beaujolais zu erobern: Denn seit dem Herbst 1951 war es den Winzern der einfachen AOC Beaujolais (ohne Gemeindenamen) erlaubt worden, ihre Weine bereits vor dem 15. Dezember zu vermarkten. Das Haus Georges Dubœuf, in seiner heutigen Form 1964 gegründet, exportierte den Hype um den »Beaujolais Primeur«, der bereits am dritten Donnerstag des November in den Regalen steht, in alle Welt. Dabei kam es der Marketing-Maschine, in der nicht nur Bocuse eine öffentlichkeitswirksame Rolle spielte, sehr zupass, dass die damals moderne Kellertechnik mit Verfahren wie Maischeerhitzung, Enzymbehandlungen und Kaltvergärung die Fruchtigkeit der Rebsorte Gamay enorm zu steigern vermochte. Dies zudem in einem solchen Rekordtempo, dass die Weine tatsächlich sechs, sieben Wochen nach der Lese bereits strahlend kirschfruchtig und mild schmeckten – freilich um den Preis ihrer Haltbarkeit.

DIE BESTEN WEINE DES BEAUJOLAIS

Im Beaujolais ist die Gobelet- (Becher-)Erziehung vorgeschrieben. Um die Buschreben zu bearbeiten – wie hier auf Château Thivin – muss man sich bücken oder in die Knie gehen.
© FUSINA Dominik
Im Beaujolais ist die Gobelet- (Becher-)Erziehung vorgeschrieben. Um die Buschreben zu bearbeiten – wie hier auf Château Thivin – muss man sich bücken oder in die Knie gehen.

Für den hochwertigen Teil der Weine aus dem Beaujolais war die Popularität des Beaujolais Primeur (oder auch Nouveau) eine Katastrophe: Denn die Kunden in Tokio, New York und selbst in Paris lernten während der 1970er- und 1980er-Jahre, dass der Beaujolais ein billiger Wein sei, den man Mitte November einkaufte, um ihn spätestens zu Silvester ­auszutrinken.

Dabei ist die Reifebeständigkeit der Beau­jolais Crus seit Jahrhunderten bekannt und beschrieben. Es ist ja auch gar nicht einzusehen, warum Trauben, die mit weinbaulicher Sorgfalt auf gesunden, hochwertigen Böden erzeugt und danach einer klassischen Maischegärung unterzogen wurden, nicht einen lager- und entwicklungsfähigen Rotwein ergeben sollten, nur weil die Rebsorte statt Syrah oder Pinot Noir in diesem Fall Gamay heißt. Sicher, der Gamay hat etwas größere (und also etwas weniger konzentrierte) Beeren als Pinot Noir und Syrah. Doch auch die Reben der beiden Nachbarregionen neigen durchaus zu hohen Erträgen, während der Gamay ebenso gut auf Ertragsbeschränkung reagiert.

Den wirklich guten Weinen fehlt es jedenfalls nicht an Dichte. Bei Verkostungen in Burgund begegnet man zuweilen erstaunlichen Beaujolais Crus aus den 1950er- und 1960er-Jahren, und die Winzerin Marie-Elodie Zighera Confuron berichtet gar, dass am Beginn ihrer Winzerlaufbahn ein Pirat bei einer blind probierten Clos-de-Vougeot-Vertikalen stand: ein sensationeller Morgon, Jahrgang 1911.

© Lena Staal

Neubesinnung

Nachdem die Beaujolais-Primeur-Mode abebbte, stellten die Winzer der Gegend erschrocken fest, dass es nun praktisch gar keinen Markt mehr für Beaujolais gab. Wie so oft war die Reaktion heftig und gesund, denn die an wahrem Handwerk Interessierten begannen sich zu formieren. Der Urvater der Renaissance des Beaujolais hieß Jules Chauvet und war Weinhändler und Önologe in La Chapelle-de-Guinchay. Schon in den 1970er-Jahren hatte Chauvet den Einsatz der damals gerade in Mode gekommenen Herbizide verurteilt, er warnte auch vor dem übermäßigen Chaptalisieren der Weine und versuchte sich an Vinifikationen mit geringem oder ganz ohne Schwefeleinsatz.

Aus den Schülern, die sich um ihn scharten – die bekanntesten von ihnen waren wohl Marcel Lapierre und Jean Foillard aus Morgon – entstand die Vin-Nature-Bewegung, die heute unter den Top-Winzern des Beaujolais so viele Anhänger besitzt, dass man ihr in diesem Segment vielleicht ein Drittel der Produzenten zurechnen kann. Wie gut sich übrigens die Weine ohne Schwefelzusatz halten, wenn sie korrekt gelagert werden, zeigten bei der Verkostung zu dieser Geschichte zwei Flaschen des 2022er-Morgon von Marcel Lapierres Kindern Camille und Mathieu: Die Unterschiede zwischen den Weinen einer im April 23 und einer im August 23 abgefüllten Charge des Jahrgangs 2022 waren minim.

Alte Reben der Domaine Lafarge Vial.
Foto beigestellt
Alte Reben der Domaine Lafarge Vial.

In den Nullerjahren setzte zudem ein Zufluss von außen ein: Von der Côte d’Or kamen etwa Thibault Liger-Belair aus Vosne-Romanée und Nicolas Rossignol aus Beaune, von der Nordrhône Alain Graillot und Michel Chapoutier. Auch ein Broker aus Burgund kam ins Beaujolais: Fabien Duperry gründete die Domaine mit dem Phantasienamen Jules Desjourneys – »Jules« wie Jules Chauvet. Er begann – eine größere Trotzreaktion zur Primeur-Welle ist kaum denkbar – ein »Late Release«-Projekt zu starten: Aktuell verkauft er gerade die Weine des Jahrgangs 2013.

Die in Südkorea geborene und in Frankreich aufgewachsene Mee Godard ließ sich nach einem in den USA absolvierten Biochemiestudium in Morgon nieder, wo sie subtile, in sich ruhende Weine und burgunderhaft differenzierte Weine keltert. In Fleurie begann Alexandra de Vazeilles, Gräfin aus einem provenzalischen Adelsgeschlecht, Wein zu machen. Nach einer Karriere in der Finanzwelt hatte sie Weinbau studiert und sich unter anderem auf Château Latour ausbilden lassen. Nachdem sie das Château des Bachelards – das ehemalige Gut der Mönche von Cluny in Fleurie – erworben hatte, füllte de Vazeilles ihre Weine anfangs sogar in die Bordeaux-Flaschenform: Biodynamisch erzeugte Trauben, lange Maischegärungen, so die Botschaft, bringen Stoffigkeit und Reifevermögen.

Klassifikation in Planung

Die Redeweise von den Crus war natürlich schon immer eine Anspielung auf die Güte der Terroirs in den besten Ortschaften. Eingebürgert hat sie sich spätestens Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem der Autor Antoine Budker im Jahr 1874 eine Klassifikation des Beaujolais vorgelegt hatte. Sein Buch hebt – wenig überraschend – fast eins zu eins diejenigen Lagen hervor, die auch jetzt wieder im Fokus stehen: Denn nach ausführlichen geologischen Studien wollen einige Appellationen bei der zuständigen Behörde INAO die Klassifikation von Premiers Crus beantragen – also vom burgundischen System aus gedacht der zweitobersten Klassifikationsstufe.

Brouilly und Côte de Brouilly sowie Fleurie stehen unmittelbar davor, ihr Dossier bei der INAO einzureichen, Moulin-à-Vent und Juliénas sind in ihren Planungen weit vorangeschritten, während die Winzer in Morgon momentan noch zögern, denn sie befürchten Nachteile, wenn ihre relativ große Spitzenlage Côte du Py nicht in ihrer Gesamtheit klassifiziert würde. Insider attestieren den Klassifikationsanträgen aus dem Beaujolais im Grundsatz jedoch durchaus Aussicht auf Erfolg: Denn auch in Pouilly-Fuissé, der bekanntesten Gemeinde des benachbarten Mâconnais, wurden jüngst von der INAO Premiers Crus anerkannt.

Eher umstritten ist, ob das Beaujolais wirklich als ein Teil Burgunds anzusprechen ist. Die alte Literatur lässt darüber keinen Zweifel, so sagt beispielsweise das »Dictionnaire universel de cuisine pratique« von 1894 kurz und bündig zum Stichwort Fleurie: »Der Landstrich dieses Namens produziert einen der renommiertesten Weine Burgunds«. Der jungen Winzergeneration hingegen ist an Abgrenzung gelegen: So wird etwa Laura Lardy aus Fleurie sehr lebhaft bei der Frage, ob das Beaujolais zu Burgund gehöre oder etwas Eigenes sei: »Etwas Eigenes! Natürlich etwas Eigenes!«. Marie-Élodie Zighera Confuron vom Weingut Clos de Mez meint, sie habe ja auch schon bei den Schwiegereltern in Vosne-Romanée gearbeitet, und die Extraktionen seien in Fleurie doch ganz anders, man müsse die Maische viel sanfter unterstoßen, sonst bekomme man zu harte Gerbstoffe. Louis-Benoît Desvignes aus Morgon ist hin- und hergerissen: »Natürlich haben wir kulturelle Gemeinsamkeiten, aber das Beaujolais ist doch ländlicher.«

Alexandra de Vazeilles, die ihr Weingut in Fleurie inzwischen wieder verkauft hat, schlägt eine andere Brücke: »In warmen Jahren ähneln die Weine aus Fleurie eher den Weinen der nördlichen Rhône oder einigen Pommards, in kalten Jahrgängen wie 2021 kann man sie mit einem Cotes de Nuits verwechseln.« Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig, wo man das Beaujolais wein­geo­grafisch verortet. Wichtig ist, wohin die Zukunft das Gebiet führt. Und die Perspektiven sind für die guten Winzer nicht so schlecht: »Die steigenden Preise für die Weine der Cote d’Or«, sagt Alexandra de Vazeilles, »haben für die qualitativen Erzeuger ein unverhofftes Fenster geöffnet«. – »Ich bin jetzt 32«, sagt Laura Lardy, »und habe viele Freunde in meinem Alter. Die arbeiten alle am selben Ziel: die Persönlichkeiten ihrer Terroirs herauszu­arbeiten.«


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Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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