Im Berliner »Le Balto« stehen die Zeichen auf Wein. 

Im Berliner »Le Balto« stehen die Zeichen auf Wein. 
© Le Balto

Berlin: Neue kulinarische Geheimtipps in Neukölln

In Berlin-Neukölln hat sich gastronomisch so Einiges getan. Falstaff verrät Top-Lokale für feine Weine und Kulinarik.

Neukölln, der ewige Kiez kulinarischer Neuanfänge zwischen Tradition und Innovation, kommt bisweilen mit so viel Aufgebot an Eröffnungen daher, dass man meinen könnte, es würde langweilig. »Lokal, regional, saisonal«, es ist deutlich geworden. Nach etlichen Schließungen aus den gängigen Gründen der vergangenen beiden Jahren, hat sich der Kiez neu aufgestellt; aber er tut es auf die neuköllnische Tour: bunt, wild kuratiert, Standort egal.  

»Ezsra«

Zwischen der Sonnenallee gen Norden und dem Amtsgericht Neukölln im Süden, liegt das Weinbistro »Ezsra«. Mit zwei langen Tresen, derer man von einem direkten Blick auf das Koch-Geschehen hat, überzeugt der lichte Laden mit einem ständig wechselnden Menü von rund 10 Gängen, perfekt zum Teilen – oder eben auch nicht. Bei alleinigem Speisen wäre man bei rund 55 Euro pro Person dabei, wobei alle Produkte aus lokalem Anbau kommen oder wild geerntet werden. Dieser Tage etwa mit Chicorée, Schwarzer Mole – eine ursprünglich mexikanische Paste, die in diesem Falle nach passiert-gewürzter Pumpernickel schmeckt – und  japanischer Quitte (11 Euro) oder auch Herzberg-Poulet, Fenchel und Dahlienwurzel (15 Euro), dazu europäische Weine und Craft Beer. Dass Falstaff im Bar Guide das »Ezsra« in diesem Jahr zur besten Weinbar-Eröffnung des Jahres gekürt hat, spricht ja nun auch für sich. 

INFO

Ezsra
Schönstedtstraße 14
12043 Berlin
ezsra-berlin.com/

»Le Balto«

Nun ist es nicht so, dass diese Gegend zwingend und händeringend nach einem weiteren Ort für Naturwein verlangt hätte. Um die Ecke wäre beispielsweise »The Rad«, nebst deliziöser Tapas und Tartines außerdem ein hervorragender Ort für serbischen Naturwein und Livemusik, und da wäre das »Jaja«, eine der ersten Etablissements für »Naked Wine« in der Gegend, oder »Motif Wein«, dem Laden für ein Gläschen Orange Wine auf dem Gehweg im Sommer. Die gemütlichen beiden Zimmer um den Tresen bei Laurel Kratochvilas »Le Balto« indes machen nicht den Eindruck, als gäbe es eine Übersättigung. Sie hat die Zeichen der Stunde richtig gelesen, erlesene Weine wie Bücher kuratiert, und steht höchstselbst hinter der ockerbraun gefliesten Bar. Seit der Eröffnung im Frühjahr empfiehlt sie dort gemeinsam mit Bar-Inhaberin Aishah Bennett, wo die liquide Reise hingehen kann. Ab sofort gibt es übrigens einen hauseigenen Pet Nat, also einem »Petillant Nature«, dem natürlich perlenden Schaumwein und Favoriten vieler Naturweinliebhaber. Dazu unbedingt Pickles bestellen, den mit ihnen schmeckt es noch länger noch besser. 

INFO

Le Balto
Hobrechtstraße 28
12047 Berlin
instagram.com/lebalto_berlin

© Le Balto

»Wax On«

Auch die Weserstraße ist nicht unbedingt eine Straße, von der man geglaubt hätte, hier mit einer weiteren Cocktailbar auftrumpfen zu müssen. Zwischen »Thelonious« zur rechten und »Truffle Pig« zur linken, ist der Kiez in wirklich alle Himmelsrichtungen voll von Kneipen, Bars und High-End-Cocktaildomizilen. Doch in der Tat ist es mehr ein Auftragen als Auftrumpfen; denn wer bei »Wax On« nicht instinktiv schaltet, dass es sich hier um ein Zitat aus dem Film »Karate Kid« handelt, muss einiges nachholen. Abgesehen von Bar-Betreiber Sam Orrocks Liebe zum Film, hat der Name der Bar vor allem mit der ganzheitlichen Zirkulation von Getränken zu tun, zwischen On-Trade, also der Gastronomie, und Off-Trade, so wie Supermärkten. Obwohl das »Wax On« sichtlich zu ersterem Teil besteht, kann man dort durchaus ein übergeordnetes System an bedachter Herstellung sowie Genuss von Zutaten inhalieren. Das Tüfteln am Detail findet im Keller statt, der Schlagabtausch am Tresen und das Training in der freien Natur. Wax on – Wax off: ein Ort der Getränke-Spiritualität

INFO

Wax On
Weserstr. 208
12047 Berlin
 

»Orangerie«

Im Körnerpark wiederum weht ein ganz anderer Wind als etwa in der Weserstraße. In dem neobarocken Park sprühen die Fontänen auf dem Weg zu den den geschwungenen Treppenaufgang ziert eine von Palmen gesäumte Anhöhe: der Eingang zur »Orangerie«. Dieser Wind kommt eher aus der Toskana denn aus den Straßen der in Berlin so gängigen wie geliebten Spätkaufs – 24/7 geöffnet, eine tolle Sache, aber eben nicht besonders mediterran. Mit den diesjährig neuen Pächtern Max Geroldstein und Simon Braus hat dieser ohnehin bereits von südlichem Charme umspielte Ort eine zusätzliche Spur Schliff erhalten – an den Wänden sowie auf dem Menü. Mit Ausstellungen wie etwa »Tief verwurzelt – Natur als Archiv und Träger von Erinnerungen« wird eine Brücke zum Menü geschaffen, derer selbst das Spritz-Angebot saisonal wechselt, quasi vom »Venetian Spritz« bis zum »Winter Spritz«, letzterem mit Artischockenlikör, dazu derzeit Marinierter Tempeh mit gegrilltem Kohl, Roggen mit Portulak Sauce und Anisöl.

INFO

Orangerie
Schierker Str. 8
12051 Berlin
orangerie-nk.de/

»Midye 47«

Miesmuscheln passen nicht in das Bild des von türkischen Marktständen, Kebab-Buden, Köfte und Gözleme geprägten Hermannplatzes im Herzen des pulsierenden Überganges zwischen Neukölln und Kreuzberg? Selbst schuld, wer so denkt. Denn im Sommer diesen Jahres eröffneten Battal Chuchek und Hüseyin Sanci den Gegenbeweis: die sogenannten »Midye Dolma« sind mit Reis, Gemüse und natürlich Muschelfleisch gefüllte Miesmuscheln, nach Familienrezept gewürzt, dann kalt und mit einem Zitronenschnitz serviert. Mehr Street Food als im urbanen Charme eines Matratzenmoguls geht es kaum. Für Vegetarier gibt es außerdem Çigköfte, also vegane Frikadellen auf Bulgur-Basis. Zumindest am Hermannplatz kommt man dem Bosporus nicht näher, nicht in einem Happen und nicht mit einer solchen Geling-Garantie. Denn das weltweite Patentrezept von Street Food ist: Wer lediglich ein bis zwei Gerichte anbietet, weiß sehr genau, was er tut. Und er tut es mehrere hunderte Male am Tag. 

INFO

Midye47
Kottbusser Damm 36
10967 Berlin
instagram.com/m47berlin

»Marc.Patisserie«

Aus dem französischen Lothringen kommend, hat Mark Thiebaut nach seiner Ausbildung zum Konditor in diesem Herbst seine eigene Patisserie gegründet: Sie heißt »Marc.Patisserie«. Wer einmal Juliette Binoches Leidenschaft für die filigran-süßen Dinge des Lebens in dem Lasse Hallström-Film »Chocolat« gesehen hat, mag sich vorstellen, welche enorme Anziehungskraft etwa eine Birnen-Schokoladen-Pavlova auszuüben vermag. Pavlova, das ist nicht nur eine mit Sahne und Frucht gefüllte Torte aus Baiser, das ist nicht nur ein in Australien und Neuseeland gehegtes Nationalgericht, sondern auch eine Signature-Süßigkeit von Marc. Wobei seine Süßspeisen – trotz der famosen Pistazien-Variationen – keineswegs auf den Süßegrad der kiezheimischen Baklava kommen. Es stellt sich hier heraus, dass auch Pralinen und Pavlova absolut saisonal möglich sind: Dieser Tage daher einmal Pavlova mit Kürbiscreme, Kürbiskernpraline, Kürbiswürfeln und kandierter Pekannuss, dazu ein Glas Glühwein, und die Sache sitzt; französischer wird der Berliner Winter keinesfalls. 

INFO

Marc.Patisserie
Reuterstraße 53
12047 Berlin
instagram.com/marc.patisserie

»Sway«

Und endlich: ein planmäßiger Ort für die entsprechende Location. Geplant, ungeplant, könnte man das (Un-) Konzept der Weinbar nennen. Die vier Gründer, nämlich Jamie Tiller, zuständig für den Wein, Rohan Bell-Towers, verantwortlich für die Snacks, Hayley Morgan, Alphatier der Ausstattung, und Tasya Kudryk, das Spirit Animal, haben in der Pannierstraße einen Ort geschaffen, an dem Naturwein zelebriert, aber nicht fetischisiert wird. Ein Grilled Cheese Sandwich dazu ist erlaubt, Dosensardinen auch, und Jausenplatten von Deutschland bis zum Mittelmeer sowieso. Beim »Sway« handelt es sich zu hundert Prozent um eine Naturweinbar, also Wein ohne Zusätze. Generell ist die Pannierstraße für Menschen, die derzeit den kulinarischen Kiezpuls pochen fühlen wollen, eine gute Straße. Für Naturweine bei ganztägigem Essensangebot aus bedachten Gefilden ist das »Sorrel« die Hausnummer der Wahl, für den besten Burger der »Berlin Burger International« und für die Bewegung hinterher das »Soulcat«.
À propos Musik: Zuletzt ist der Plattenspieler des »Sway« ein ausgezeichneter Grund, nach einem Abend hier mit einem Ohrwurm heimzugehen, wie etwa mit dem von Singer-Songwriterin Bic Runga: »Sway my way | Yeah I need to know | All about you.« Zwar sind es pro Besuch bloß acht Weine, aber diese rotieren. Um also alles über diesen schaukelnden Ort herauszufinden, muss man mehrmals hin. 

INFO

Sway
Pannierstraße 29
12047 Berlin
instagram.com/bar____sway

Juliane Eva Reichert
Autor
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