Currywurst: Cash mit Curry

Die ewige Streit­frage um den beliebtesten Imbiss Deutschlands lautet: Isst man Currywurst mit oder ohne Darm? Und was gehört in die Sauce und was nicht? PLUS: Die besten Currywürste Deutschlands

Ein Riss zieht sich durch die Republik, ach was, das ist ein regelrechter Abgrund. Es geht um die Glaubensfrage: Wo gibt’s die beste Currywurst – in Berlin oder im Ruhrpott?

In der Hauptstadt stellt sie sich erst gar nicht, schließlich hat dort eine gewisse Herta Heuwer in der Kantstraße 101 am 4. September 1949 der Deutschen liebsten Imbiss offiziell »erfunden«. Sie mischte in ihrer Imbissbude aus brauner Würzsauce und Currypulver (beides stammte von den britischen Besatzern) sowie Tomatenmark ihre legendäre »Chillup-Sauce«, deren nach wie vor geheime Rezeptur sie sich später patentieren ließ (»Ich habe nie Ketchup reingetan!«).
Dokumentiert wird dies in einem eigenen Raum im Berliner Currywurst Museum nahe dem Checkpoint Charlie. Dort läuft seit der Eröffnung dieser weltweit einzigartigen Sammlung am 12. August 2009 um 12 Uhr ein digitales Zählwerk, das den Verzehr von Currywürsten bundes- und berlinweit erfasst – knapp drei Millionen wurden seither in der Hauptstadt gegessen, dreieinhalb Milliarden in Deutschland. Im Durchschnitt sind das 1500 Currywürste pro Minute und 800 Millionen pro Jahr.

Der Wurstmann lädt ins Currywurst Museum in Berlin / Foto: E.I Edutainment International GmbH / Deutsches Currywurst Museum Berlin

20.000 Euro pro Tag

Das Geschäft brummt. Bei »Curry 36«, dem wohl bekanntesten Berliner Imbiss am U-Bahnhof Mehringdamm in Kreuzberg, steht die Kundschaft täglich von neun Uhr vormittags bis fünf Uhr früh Schlange – geschätzter Umsatz: bis zu 20.000 Euro pro Tag. (»Mustafa’s Gemüse Kebap«, der zum Leidwesen der Wurstverkäufer gleich nebenan eröffnet hat, profitiert offenbar von spontanen Wechselessern …) »Curry 36« gibt es inzwischen auch am Bahnhof Zoo, Chef Lutz-Michael Stenschke sieht noch für drei weitere Filialen Potenzial.

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Die klassische Berliner Currywurst, und das unterscheidet sie von jener im Ruhrpott, wird ohne Darm serviert. Metzger Christian Gottschlich, der etwa »Konnopke’s« – ebenfalls eine bekannte Currywurst-Adresse – beliefert, produziert rund 5000 Würste pro Tag. Aus reinem Schweinefleisch, mit geheimer Gewürzmischung. Sie werden in einem Kunst­stoffdarm 25 Minuten lang bei 72 Grad gebrüht, danach müssen sie per Hand wieder vom Darm befreit werden. Bei »Konnopke’s« kommen sie dann in die Fritteuse, werden zwei Minuten lang gebacken. Es geht aber nicht nur um die Wurst, sondern vor allem um die Sauce. Jeder Imbiss hat sein eigenes Spezialrezept, die Zutaten werden selbstverständlich niemals verraten, auf gar keinen Fall.

Im Currywurst Museum gibt es dafür eine eigene Abteilung. Dort lernt man, dass es allein für das Currypulver 16 wichtige Zutaten gibt – Pfeffer, Fenchel, Gewürznelke, Kreuzkümmel, Koriander, Curryblatt, Chili, Senf, Kurkuma, Piment, Ingwer, Zimt, Kümmel, Muskatnuss, Kardamom und Bockshornklee – viel Spielraum für eigene Mischungen; ferner sind für die Sauce unabdingbar Tomaten, Zwiebeln, Salz, Chili, Zucker, Essig, Öl, Wasser – und der »Faktor X«. Also das, was dann den letzten Kick gibt, zum Beispiel Apfelmark aus Bohnäpfeln oder einfach Apfelmus. Mango-, Bananen- oder Orangensaft wird ebenso verwendet wie, jawohl, eingekochte Coca-Cola.

Imbiss »Curry 36«, Berlin Hardenbergplatz: Wurst und Pommes / Foto: beigestellt

Bochum hat die höchste Dichte an Currywurst­buden im Ruhrgebiet. Von Dönninghaus stammt hier die Wurst, die am häufigsten verwendet wird. Und zwar immer mit Naturdarm. Geschäftsführer Dirk Schulz spricht ebenfalls nicht über die Zusammensetzung der Gewürz­mischung, die in das Brät aus 90 Prozent Schweine- und zehn Prozent Rindfleisch ­hineinkommt (nur soviel: Curry ist nicht drin). Nach dem Brühen müssen die Würste eine Viertelstunde unter die kalte Dusche, damit die Pelle keine Flecken bekommt. Dann werden sie gebraten, bis sie platzen, etwa in Bochums berühmtestem Imbiss, dem »Bratwurst­haus« am Engelbertbrunnen im Zentrum. Auch da bekommt man lediglich die Info, dass in der – tatsächlich sensationellen Sauce – »auch Salz, Senf und Sellerie« drin sind.

Elf Wurststücke mit Sauce
Spätestens seit Herbert Grönemeyers Song »Currywurst« ist der legendäre Imbiss Kult im Pott. »Kommse vonne Schicht, wat Schönres gibt et nich als wie Currywurst«, heißt es da. Und: »Bisse richtig down, brauchse wat zu kaun, ’ne Currywurst.« In der deutschen Kulturlandschaft sind die elf Wurststücke mit Sauce in der Pappschale längst fester Bestandteil. Das aktuelle Programm der Berliner »Stachelschweine« heißt »Kabarett & Currywurst«, Campino von den »Toten Hosen« ist bekennender Fan und Ex-Kanzler Gerhard Schröder ließ sich gern vor laufender Kamera von Ehefrau Doris damit füttern. »Tatort«-Legende Horst Schimanski sagte einst: »Nach einer Woche ohne Currywurst laufe ich blau an.« Jeder TV-Ermittler, der etwas auf sich hält, steht irgendwann mal an der Bude, Freddy Schenk und Max Ballauf in Köln, die von »Polizeiruf 110« sowieso. Die Serie »Drei Damen vom Grill« mit Brigitte Mira erzählte vom Alltag in der Imbissbude, Olli »Ditsche« Dittrich lästert bei TV-Wirt Ingo ab. Ingo heißt Jon Flemming Olsen und hat mit seinem Buch »Fritten-Humboldt« eine wahre Liebeserklärung an die Imbissbude geschrieben. Und der Berliner Autor Jon von Wetzlar hat deren urbanes Erscheinungsbild quasi wissenschaftlich untersucht und drei Formen festgestellt: Die »native Bude«, simpel und würfelförmig, ist nur zum Verkauf gedacht, die »entwickelte Bude« besitzt bereits ein kleines Vordach samt Stand, der »definitive Typ« schließlich verfügt über einen geschlossenen Essbereich. Der ehemalige Sternekoch Raimund Ostendorp führt mit seinem »Profi-Grill« im Bochumer Stadtteil Wattenscheid einen »definitiven Imbissbuden-Typ« und gilt im Pott als einer der Fixsterne im Currywurst-Universum, genauso wie »Curry Heini« in Waltrop, wo inzwischen Ludger Höver die legendäre Bude seines Vaters Heinrich weiterführt.

Vom Sternekoch zum Currywurst-König: Raimund Ostendorp in Bochum-Wattenscheid / Foto: Pressebüro Gerd Tratz

Und der Rest der Republik? Ingo Koopmann hat mit seiner »Scharfrichter-Lounge« in Bremen für Gesprächsstoff gesorgt, als er dort nicht nur Currywurst in zehn verschiedenen Schärfegraden anbot, sondern auch exotische Saucen wie Mango-Marille, die er mit Tofu­wurst und süßer Sahne servierte. Muss man mögen, hat aber mit Currywurst nichts mehr zu tun. Prominente TV-Köche wie Mario ­Kotaska und Frank Rosin haben Currywurst im Programm, Holger Stromberg betreibt mit »Curry 73« in München einen eigenen Imbiss. Seine weiße Wurst enthält Anteile von Kalbfleisch, außerdem bietet er noch eine reine Rindswurst an. Der DFB-Chefkoch stammt aus dem Ruhrpott und ist deshalb festgelegt: »Mit mir können Sie nicht über die Berliner Currywurst reden.« Generell glaubt er, dass die meisten Budenbesitzer die Sauce viel zu intensiv machen, dass sie oft im Grunde nur aus Stärke und Zucker besteht. Sein Saucenrezept – es gibt die drei Schärfegrade »Harmlos«, »Bisschen scharf« und »Scheiße scharf« – verrät er natürlich auch nicht. Nur so viel: Er verwendet passierte Tomaten, Rohrzucker und Essig. Und auf gar keinen Fall Ketchup.

Text von Michael Tempel

Aus Falstaff Deutschland 1/14

Michael Tempel
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