Annette Sander

Vom Küchenchef zum Mentor: Wie zwei Generationen in der Ochsenbraterei die Wiesn-Tradition weiterentwickeln

Qualität und Modernität: Das Wiesn-Traditionszelt »Ochsenbraterei« setzt auf Nachhaltigkeit und neuerdings auch auf rein pflanzliche Gerichte. Ein Besuch vor dem Fassanstich.

Das Klirren von Bierkrügen, die in die Schänken eingeräumt werden, hier und da eine Kreissäge für die kleinen Schreinerarbeiten, das Hämmern der letzten Bildernägel in die Zeltwände – die Geräuschkulisse verrät: Vier Tage vor der Wiesn ist die Ochsenbraterei so gut wie fertig, das Bau-Team ist eingespielt. 1980 hat die Familie Haberl das Zelt übernommen. Richard Lindermeier, mit dem ich auf der Galerie West an einem der Tische sitze, auf dem ab Samstag Ochsenfleisch, Kartoffelsalat, Bier und Kaiserschmarren serviert wird, ist schon seit 1989 dabei. Erst Küchenchef, dann Küchendirektor. »Mittlerweile mache ich das als Teilzeit-Rentner aus Passion«, sagt er, denn »wenn man den Wiesnvirus einmal eingefangen hat, kann man nicht mehr so leicht loslassen.«

Zwei Generationen Wiesn-Küche

Mit uns am Tisch sitzt Quirin, der zweite Sohn von Wirtin Antje Haberl. Er ist noch weit von der Teilzeit-Rente entfernt – es ist seine zweite komplette Wiesn. Der ausgebildete Koch war letztes Jahr zum ersten Mal dabei, hat jede Station in der Küche für drei Tage durchlaufen. »Diese Wiesn lerne ich das zweite Jahr von unserem Küchendirektor und durfte auch das erste Mal maßgeblich an der Entwicklung neuer Gerichte teilnehmen – und mich ein bisschen austoben.«

Dazu gehörte zum Beispiel der neue Ochsenburger und dessen eigens entwickelte Sauce, aber auch die neue vegane Bayrisch Creme, eine Ergänzung im pflanzlichen Sortiment, das letztes Jahr schon etabliert worden ist. Dazu kommt enorm viel Administratives, Spezifizierungen, wie die »Qualität aus Bayern« Zertifizierung, die Teil-Bio-Zertifizierung, Allergene von den Zutatenlisten für die Speisekarte. »Ich habe definitiv gemerkt, dass diese Aufgabe viel mehr ist, als nur Kochen!«

Qualitätsbewusstsein als Leitsatz

Rund 42 Tonnen Ochsenfleisch und 6 Tonnen Schweinefleisch braucht die Küche der Ochsenbraterei während der Wiesn, neben Hendln, Wurst, Brotzeiten, Gemüse, Knödeln und Co. Lindermeier spricht von insgesamt acht- bis zwölftausend Gerichten pro Tag.

»Letztes Jahr hatte ich großen Respekt vor dem ersten Jahr in der Zusammenarbeit mit dem Küchenteam und den ganzen neuen Abläufen und den Mengen. Dieses Jahr bin ich schon deutlich entspannter und freue mich wieder auf die Arbeit. Jeder verfolgt dieselbe Passion und alle nehmen ihre Arbeit sehr ernst, sind sehr motiviert, um die Qualität zu gewährleisten, die wir bieten möchten.«

 

In wenigen Tagen wird die »Ochsenbraterei« wieder so aussehen
In wenigen Tagen wird die »Ochsenbraterei« wieder so aussehen

Qualität ist ein Schlagwort, das sich im Gespräch durchzieht. Sie ist eng verbunden mit dem Tierwohl und engen Lieferantenbeziehungen. Schon Herman Haberl war erpicht darauf, nachhaltig zu arbeiten. Unter dem Aspekt entstand auch die Ochsensemmel, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. Die »Abschnitte und Anschnitte« der Edelstücke vom gebratenen Ochs wanderten schon seit Anfang der 80er Jahre in die Semmel. »Weil’s viel zu gut ist, zum Wegwerfen.« Die nächste Generation um Antje Haberl und ihre Söhne geht mittlerweile mit dem städtischen Gut Karlshof weiter in diese Richtung. Nachhaltigkeit ist für Lindermeier mittlerweile aber ein eher überstrapaziertes Wort.

Nachhaltigkeit und Fleischkonsum im gesellschaftlichen Kontext

Das Wichtigste, um Nachhaltigkeit in der Gastronomie dauerhaft umsetzen zu können, »das ist nicht nur drüber reden«, sagt Lindermeier, »das ist vor allem auch tun.« Es gehöre ein permanenter Kontakt zum Hersteller dazu, gewisse Lieferanten und Produkte. Es sei wichtig, nicht auf den allerletzten Preispunkt zu bestehen, sondern auf ein gemeinsames und ehrliches Ergebnis. »Wir arbeiten zum Beispiel seit Jahren daran, die Grillhendl in einer noch besseren Tierwohl-Stufe zu bekommen. Wir sind jetzt gerade dabei zu eruieren, ob wir mittelfristig etwas bekommen, was in Bio-Qualität unseren Anforderungen an die Gewichtsklasse und Qualität genügt.«

Mir kommt der Gedanke, dass die Fleischqualität hier im Zelt wahrscheinlich höher, kontrollierter und nachverfolgbarer ist, als beim Großteil der Konsumenten zu Hause.

»Hier setzen zwei gesamt-gesellschaftliche Probleme an«, sagt Lindermeier dazu. »Jeder spricht von Tierwohl und Nachhaltigkeit, aber der Konsument nimmt beim Einkaufen dann oft doch das Günstigste.« Bei der großen Schere in den Lohnstrukturen verständlich – aber »wir wurden auch viel zu lange falsch erzogen, dass wir sieben Tage die Woche Fleisch brauchen. Und das am liebsten drei Mal am Tag. Das passt nicht! Wenn ich an meine Kindheit denke, da gab es einen Braten-Tag – den Rest der Woche gab es Mehlspeisen und Gemüse.«

In Relation zu Qualität und logistischem Aufwand gesetzt, ist das Essen auf der Wiesn vielleicht doch gar nicht mehr so überteuert, wie es gerne dargestellt wird. Sieht sich ein Betrieb wie die Ochsenbraterei auch in gewisser gesellschaftlicher Verantwortung und als Vorreiter für einen nachhaltigen Konsum, gerade wegen der enormen Mengen, die hier in 18 Tagen über den Küchenpass gehen?

»Ja«, sagt Lindermeier. »Das ist genau, was Antje Haberl in all ihren Betrieben, nicht nur auf der Wiesn, so sieht: Dass sie da eine gewisse Vorbildfunktion leben muss. Das, was wir uns hier kalkulatorisch an Produkten leisten – das dürfte ich als wirtschaftlich arbeitender Küchendirektor oft so nicht durchwinken. Da wird der ein oder andere Prozentpunkt pro Gericht praktisch subventioniert. Es ist eine bewusste politische Entscheidung

»Auch wenn unsere veganen und vegetarischen Gerichte super angenommen werden, wir sind noch ganz weit weg davon, wo wir früher einmal waren. Es wird gesamtgesellschaftlich immer noch viel zu viel Wurst und Fleisch konsumiert.«

Die Rolle von vegetarischen und veganen Gerichten im Zelt, das für Ochsen steht

Ebenfalls eine bewusste Entscheidung ist die Entwicklung der Speisekarte mit einem relevanten Portfolio vegetarischer und veganer Gerichte – mit fünf veganen und drei vegetarischen herzhaften Speisen und einem veganen Dessert – weit über das hinaus, was gemeinhin als notwendig erachtet wird.

In der großen Ausführung gibt es die vegane Karte seit letztem Jahr. Man hatte sich Sebastian Copien an Bord geholt, um die vegane Küche von Grund auf zu verstehen und sie sich anzueignen. Denn der Anspruch daran sei genauso hoch, wie an die Klassiker.

 

»Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen da zukunftsweisend sein und zeigen, dass man auch sehr gut in diesen großen Mengen frisch vegan kochen und eigene Gerichte kreieren kann – ohne Fertigprodukte verwenden zu müssen.«

Lindermeier sagt, »für mich war wichtig, jetzt im zweiten Jahr das alte Pferd nicht nur weiterzureiten, sondern zu verfeinern und zu ergänzen. Produkte, mit denen die Gäste zufrieden waren, muss es dieses Jahr natürlich wieder geben, wie unsere Pflanzerl. Hier fließt genauso viel Engagement und Sachverhalt hinein wie in unsere Klassiker. Auch das wird das ganze Jahr über geplant – jetzt auch von Quirin. Wir wollen da dahinterstehen.«

Schon im letzten Jahr hat Quirin die Arbeit im veganen Bereich fasziniert. »Auch wenn man bei der Ochsenbraterei vielleicht nicht als erstes an vegane Gerichte denkt«, sagt er. »Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen da zukunftsweisend sein und zeigen, dass man auch sehr gut in diesen großen Mengen frisch vegan kochen und eigene Gerichte kreieren kann – ohne Fertigprodukte verwenden zu müssen. Als Koch kann man in diesem Bereich Neues schaffen, sich verwirklichen, und damit an einer großen und wichtigen Bewegung teilhaben.« 

Lernen und Wissen Weitergeben

»Es ist eine große Ehre für mich, dass Richard das alles mit mir teilt und mir damit auch ein gewisses Vertrauen entgegenbringt, dass es das wert ist, mir das alles zu vermitteln. Ich möchte lernen und dieses Jahr viel Erfahrung dazu gewinnen kann, dass ich wirklich alle Gerichte zu 100 Prozent kenne. Richard schmeckt z.B. bei den Saucen ganz andere Dinge als ich und da kann ich noch sehr viel dazu lernen.«

Lindermeier findet es optimal, dass er sein Wissen jetzt in der Küche an ein Familienmitglied der Haberls weitergeben kann. »Einer muss es aufsagen und irgendwo muss es weiter gehen. Meine Zeit ist endlich.«

Die letzten Tage vor dem großen Festauftakt

Heute kommen nochmal die letzten 600 Kilo Ochsenbacken, die in der Produktion vorbereitet werden müssen. Und dann ist es fast schon soweit: Mitte der Woche wird noch die Technik geprüft, alles wird abgenommen und die Elektrik einem Härtetest unterzogen. Fehlt nur noch das Team, die Trockenware, der Feinschliff. Alles wird dann auf Hochglanz geputzt, die frischen Lebensmittel kommen erst ganz zum Schluss. Und Samstag, da geht es endlich los.

Quirin freut sich bei dieser Wiesn auf das gute Wetter im Gegensatz zum letzten Jahr, auf die Stimmung, das Team – und »ich freue mich unfassbar auf die ganzen Leute und unsere Gäste.«

Und Lindermeier? Auf alles, auf das »Virus, das ihn packt«. Und auf den neuen veganen Feinkostsalat wie Fleischsalat nach Lyoner Art. »Davon bin ich mega begeistert, damit kann ich sicher viele aufs Eis führen, die meinen Fleischsalat loben werden«, scherzt er.

 


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