Zaubertrank mit Tradition: Ein Blick hinter die Kulissen und in die Saucen-Töpfe der Ochsenbraterei

Es ist die größte Küche des Oktoberfests – und eine der wenigen, in denen noch handwerklich gearbeitet wird. Ein Besuch.

Das Bild eines großen brodelnden Kessels voll mit Zaubertrank drängt sich auf, mitten in der Küche der Ochsenbraterei auf dem Oktoberfest. In der auf der Wiesn proportional größten Küche stehen mehrere überdimensionale Saucentöpfe, die gut und gerne bis zur Dirndlbluse reichen, auf niedrigen Hockerkochern. Die Schöpflöffel fassen mehr Flüssigkeit als die größten Töpfe zu Hause. Und der Inhalt ist wahrlich ein Zaubertrank, wie Küchendirektor Richard Lindermeier erklärt: »Wir sind die Verrücktesten bei der Saucenherstellung. Die Ochsensauce ist die Essenz unseres Klassikers.«

Saucen-Tradition wie in Omas Küche

Schon morgens, weit, bevor die Gäste sich einen Platz am Biertisch suchen, kommt Leben in die Zelt-Küche, in der man auf einem eigens gegossenen Fundament steht und sich so gar nicht wie in einem Zelt fühlt. Die ersten drei Stunden am Tag seien die wichtigsten, sagt der Küchendirektor. Da passierten die essenziellen Dinge. In der Ochsenbraterei wird von Grund auf gekocht. Mark- und Fleischknochen rösten, Wurzelgemüse und Kräuter dazu geben, der Sauce Zeit lassen, »wie die Oma das gemacht hat.« Klingt normal – ist es aber längst nicht überall. Was hier aus Tradition betrieben wird, verursacht Aufwand in Zeit und Personal. Aber es gehört hier zum Selbstverständnis, und auch zum eigenen Anspruch an die Nachhaltigkeit. Das gilt für die Verarbeitung der Ochsenknochen in der Sauce genauso wie die der Ochsenhäute zu Schürzen für die Schankkellner.

 

Tierwohl und Qualität im Fokus

Die Entwicklung der Ochsen-Zucht gemeinsam mit dem städtischen Gut Karlshof zieht sich bereits über Jahrzehnte. Antje Haberl, die das Zelt gemeinsam mit ihrem Sohn Luis als Wirtin leitet, übernahm den Anspruch ihres Vaters an Tierwohl und Qualität und verfolgt in enger Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten jedes Jahr wieder das Ziel, die Grenze von dem, was möglich ist, noch etwas zu erweitern. »Das Tierwohl steht für uns an erster Stelle«, sagt Lindermeier, der als Küchendirektor schon seit 1989 die Geschicke in den Küchen der Haberl-Betriebe führt. »Wir glauben, wenn Tierwohl großgeschrieben ist, ist auch die Ernährung, das Futter ein deutlich besseres. Und am Ende die Gesamt-Qualität.«

Es blubbert und duftet, als eine beträchtliche Menge Wein in einen der Saucen-Töpfe wandert. „Wir haben nicht nur Bier, sondern auch Wein hier im Zelt“, scherzt Lindermeier. Die ca. 2000 Liter Bio-Rotwein, die über die Wiesn zum Saucen-Kochen gebraucht würden, ließen sie extra in der gewünschten Qualität herstellen. Die Logistik und die Mengen, das sei schon etwas ganz anderes als die Arbeit in einer normalen Küche. In der Tat: Aus dem Staunen kommt man hier kaum heraus, selbst wenn man schon viele Küchen von innen gesehen hat.

Über die Lochgitter in der Saucen-Gasse geht es weiter, Richtung Ochsengrill, wo sich rund zehn Leute bewegen und konzentriert ihren Aufgaben nachgehen. Zu den Hauptzeiten mittags und abends geht es hier nicht nur um eine große Schlagzahl, was die Mengen angeht, auch die Optik muss passen und vor allem: Heiß soll es bleiben, bis Ochsenklassiker, Hochrippe oder Lende beim Gast sind. Ein Mitarbeiter kümmert sich akribisch um einen großen Kessel Kartoffelsalat, denn der ist hier nicht nur eine Beilage und kommt schön schlonzig und lauwarm auf den Teller. »Wir alle kochen nur mit Wasser, Salz und Pfeffer«, sagt Lindermeier. »Die Qualität der Grundprodukte macht aber den Unterschied. Auch mit dem Kartoffelbauern gibt es einen sehr engen Kontakt und individuelle Zusammenarbeit. Unser Salat lebt von der Naturbelassenheit und von bester Kartoffelqualität!«

Arbeiten in der größten Wiesn-Küche

An der Kasse für die Ochsensemmeln »to go« ist Rush-Hour. Langsam wollen die Wiesn-Spaziergänger ihren Hunger stillen, mit diesem Klassiker, zu dem die Mutter von Antje Haberl vor 40 Jahren die Idee hatte – zur Weiterverarbeitung der An- und Abschnitte der gegrillten Ochsen. Vorbei an kistenweise Tomaten, Salat und Semmeln bahnt man sich einen Weg durch die Ochsensemmelstraße zur Hendl-Gasse. Hier, zwischen mehreren angeheizten Grills ahnt man, wie anstrengend so eine Wiesn für das Personal hinter dem größten Volksfest der Welt wohl ist. 18 Tage durcharbeiten für das Vergnügen und das leibliche Wohl für Millionen von Gästen zwischen Hitze, Kühlhaus, Hendl und Kaiserschmarrn: klingt hart, hat aber offensichtlich seinen Zauber. Viele der etwa 75 Leute in der Küche sind jedes Jahr dabei und schätzen die Kollegen und die Möglichkeit »richtig« zu kochen, statt Pakete aufzureißen.

Innvoation und Weiterentwicklung

In der nächsten Gasse gibt es eine kulinarische Neuerung: den Ochsenburger. Antje Haberls zweiter Sohn Quirin ist gelernter Koch und verbringt seine zweite Wiesn in der Ochsenbraterei-Küche. In diesem Jahr hat er zum ersten Mal an der Entwicklung der neuen Gerichte mitgearbeitet, auch am Burger und der hausgemachten Sauce. »Die Entwicklung der Rezepte für die Wiesn ist wahnsinnig interessant«, sagt er. Nicht nur, dass beispielsweise der Burger eine Möglichkeit bietet, einen weiteren Schritt zur Komplettverarbeitung der Ochsen zu gehen, »es ist auch eine spannende Herausforderung, ein Rezept zu finden, das in der großen Menge mit unserer Logistik und unserem Qualitätsanspruch umgesetzt werden kann.«

Zwischen Köchen, die Pfannen mit Käsespätzle schwingen, zwischen dem 800 Grad heißen Burger-Grill, aus dem es zischt und dampft, und einer ganzen Badewanne voller siedender Knödel hindurch, fühlt es sich fast an wie bei einem Parcours. Wer hier arbeitet, muss draußen keines der Labyrinthe mehr besuchen! Steffi, die auch schon mehrere Jahre hier in der Küche die Wiesn verbringt, schlägt Eier auf. Viele Eier. Sie sind für den frischen Kaiserschmarrn, der ganz klassisch mit Zucker karamellisiert und mit Preiselbeeren serviert wird – und zum Dirndl-Knöpfe-Sprengen gut ist.

Zwischen den Brotzeitbrettern und dem Fleischwolf, in dem jedes Tatar frisch durchgelassen wird, stellt sich die Frage, wann man wohl mit der Planung für das nächste Jahr anfängt. »Nach der Wiesn ist vor der Wiesn«, sagt Lindermeier. Bereits während des Oktoberfests würden die Planungen und Überlegungen für das kommende Jahr beginnen. Direkt jetzt und hier sind die Eindrücke am frischesten, man sähe am besten, welche Abläufe optimiert werden können und müssen, wo es Potential für Neuerungen und Verbesserungen gäbe.

Und die eigenen Wiesn-Rituale vor und nach der Wiesn? »Die richten sich nach dem Alter«, sagt Lindermeier, schon wieder auf dem Weg zum nächsten Termin. »Physio und Ostehopathie, vor, nach und während der Wiesn. Und man darf nicht vergessen, die top-moderne Technik wie hier bei uns in der Küche hilft uns heute viel: Das hätten wir uns 1989 nicht im Traum vorstellen können

 


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Annette Sandner
Annette Sandner
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