Annette Sander

Die Geschwister Portenlänger: Vom Glück ein Wiesnkellner zu sein

Eigentlich haben sie in ihren Wirtshäusern »Xaver's« und »Alter Wirt« genug zu tun. Aber jedes Jahr nehmen sich zwei der drei Geschwister Urlaub, um Maßkrüge auf dem Oktoberfest zu schleppen. Warum?

Wir sitzen zu dritt im Wirtshaus »Xaver‘s« an einem der Hochtische, 21 Stunden vor dem Anstich des 188. Oktoberfests. 18 Tage wird es in diesem Jahr dauern und Theresa und Xaver Portenlänger, die Wirte des »Xaver‘s«, werden ihr Wirtshaus für diese Zeit nicht betreten. Sie arbeiten beide auf der Wiesn, als Kellner im Biergarten der Augustiner Festhalle. Freiwillig, »als Urlaub«, wie sie voll Vorfreude verraten. Die Faszination muss groß sein.

Drei Geschwister, drei Betriebe, eine Wiesn-Familie

Ein Sprung zum Wiesn Tag 4, die Sonne scheint, die Stimmung ist bestens und Theresa bringt einen »Schnitt« im Maßkrug. Ich sitze mit ihrem älteren Bruder und damit dem Dritten im Geschwister-Bund der Portenlängers hier: Jakob. Er ist dieses Jahr »in Zivil« auf der Wiesn. Auch er ist Wirt, nämlich im »Alten Wirt« in Grünwald, den er mittlerweile von seinem Vater übernommen hat. Er war der erste der drei, der auf der Wiesn arbeiten wollte. Dieses Jahr ist er aber »die Notfallnummer für alles, wenn wir nicht da sind«, sagt Xaver.

Schon als er noch im väterlichen Betrieb angestellt gewesen ist, war »auf der Wiesn arbeiten« Jakobs großer Traum. »Mein Vater hat zu mir gesagt, Jakob, das können wir schon organisieren. Aber du gehst so gerne als Gast – das wird es dir verderben und du wirst die Wiesn nicht mehr schön finden, sie verliert dann ihren Zauber.« Gerade das Gegenteil war der Fall. Oktoberfest 2010 und die erste Woche, die Jakobs Vater ihm »gegeben hat«, musste gar nicht abgewartet werden. Um acht Uhr morgens am ersten Samstag ist noch alles neu und ungewohnt, »learning by doing«, die Abläufe, die Wege, der körperliche Stress. Und trotzdem: als der Vater mittags ins Zelt kommt, sagt Jakob ihm »Papa, du hast unrecht – ich kann’s dir jetzt schon sagen.«

»Der Zauber der Wiesn ist als Feuer übergesprungen«, beschreibt es Jakob, der ein bisschen traurig ist, dass er hier heuer nur als Gast sitzt. Das Wiesn-Feuer zündete so heftig, dass er auch seinen jüngeren Geschwistern vorschwärmt.

Theresa arbeitet 2015 zum ersten Mal als Wiesnkellnerin, weil sie es ausprobieren und sich selbst auf die Probe stellen will. Testen, wo ihre Belastungsgrenze liegt. Denn intensiv sind diese 14-Stunden-Tage allemal.

Die Faszination des großen Bruders nachvollziehen zu können, das war auch Xavers Motivation. Seine erste Wiesn ist 2017, ein Jahr bevor das eigene Wirtshaus Xaver‘s eröffnet. »Jakob kam immer nach Hause und hat gesagt, das ist das Schönste und Beste überhaupt, das konnte ich nicht nachvollziehen bis ich es ausprobiert habe.« Heute handhaben die drei es so, dass immer einer eine Wiesn aussetzt. Die anderen beiden arbeiten im Team.

Denn: Ganz allein können sie die drei Betriebe nicht lassen. »So weit sind wir noch nicht«, sagt Jakob. »Und wir wollen es auch nicht. In unseren eigenen Wirtshäusern gehört es auch dazu, dass der Wirt ab und zu da ist und Grüß Gott sagt.« Neben dem »Xaver‘s« und dem »Alten Wirt« gibt es seit dem letzten Jahr nämlich auch noch eine Bar. Das »Mr. B’s« liegt praktischerweise nur einen Katzensprung – oder nach der Wiesn quasi »zwei Mal Umfallen« – von der Theresienwiese entfernt und hat letztes Jahr am mittleren Wiesn-Wochenende eröffnet.

Biergarten versus Bierzelt

Tag acht, es regnet den zweiten Tag, nicht gerade, was man als »Biergartenwetter« bezeichnen würde. Stammgäste, Freunde und ganz viele neue Gäste, Touristen und Erst-Wiesn-Gänger empfinden den gekiesten Biergarten an der »Hauswand« der Festhalle beim Eingang S7 aber trotzdem als himmlisch (und machen in den Sozialen Medien den Hashtag #S7isheaven daraus). Als Gast, schön und gut – aber wie fühlt sich das Biergarten-Arbeiten für die an, die die Maßen und Hendl schleppen?

Theresa hat im Gegensatz zu Jakob im Zelt-inneren angefangen, nicht im Biergarten. An Tag fünf kommt sie zu ihrem Bruder, kann nicht mehr und möchte hinschmeißen. Sie versteht nicht, was er so großartig findet. Mit Glück und Zufall wird draußen im Garten eine Position frei. Sie bleibt, lernt es lieben und seitdem teilen sich die Geschwister die zwei Kellner-Plätze draußen.

Die Lärmkulisse, die Luft, auch die Gästestruktur ist im Garten ganz anders als drinnen. Draußen wird weniger eskalativ getrunken, es sind mehr Familien, man freut sich auch mal über einen Ratsch. Wie im Wirtshaus eben. Und das »Gut mit Gästen können«, das haben die drei ja praktisch schon von zu Hause im Gepäck.

Gastronomischer Zusammenhalt – auf der Wiesn und im eigenen Betrieb

18 Tage seinen eigenen Betrieb allein lassen, das erfordert Kraft und Vorbereitung. Und es schlaucht. Anders, als die Verantwortung und Arbeit in der eigenen Wirtschaft, aber doch so, dass das Kellnergehalt (wenn die Geschäfte im Biergarten gut laufen), es nicht aufwiegt.

»Die Faszination Oktoberfest an sich ist etwas ganz anderes als unser normaler Alltags-Wirtshausbetrieb«, erklärt Jakob.

»Spaß haben ist wichtig«, sagt Theresa. Anders geht es nicht und man hält es auch nicht durch. »Und nett zu den Gästen sein. Ich liebe es, auch internationale Gäste zu haben. Deren Traum ist es oft, einmal auf das Oktoberfest zu fahren, und denen will man ein positives Erlebnis schenken – die wollen keine grantige Wiesn-Kellnerin.«

Schon vom ersten Kennenlernen weg war die Wiesn und das Team im Zelt »eine Familie« für Jakob – auch als »Neuer«. »Man fühlt sich aufgehoben«, sagt er. Klar gehe es ums Geld verdienen, aber nicht um jeden Preis. »Das familiäre, die Gäste – alles ist sehr angenehm.«

Den Zusammenhalt untereinander gibt es in der Gastronomie idealerweise sowieso. Auf der Wiesn ist es aber besonders komprimiert. »Hier ist es wie ein langes Wochenende im Schullandheim. Man sitzt eine intensive Zeit aufeinander, und das verbindet. Und das ist über die 18 Tage natürlich extrem.«

Eben diesen Zusammenhalt braucht es in den eigenen Wirtschaften auch. Wechselgeld, Kasse, Abrechnung, Büro – Theresa und Xaver kommen knapp drei Wochen wirklich gar nicht in den Betrieb. Das ginge auch nicht, bei Wiesn-Schichten von morgens bis nachts. Auf ihre Abteilungsleiter vertrauen sie voll, und es sei extrem schön zu sehen, dass es auch ohne sie läuft. Ein Vertrauensbeweis in alle Richtungen.

Die ersten paar Tage bis zum ersten Wochenende wird die Euphorie einen antreiben, sagen Theresa und Xaver. Dann könne es zum Anfang der zweiten Woche hin schon mal einen Durchhänger geben. Umso schöner ist es aber dann, wenn man sich gegenseitig unterstützt und motiviert. »Wir sind einfach ein großes Team und jeder hilft jedem«, sagt Theresa.

Und untereinander, so als Geschwister? Natürlich wird gezankt, sagen sie. »Es gibt niemanden sonst, den wir so gut kennen und mit dem wir so eine Vertrauensbasis haben.« Blind die Kasse teilen, streiten können und sich nie lange böse sein – das sei schon sehr viel wert im Team. »Und wenn ich mich mal unter aller Sau verhalten hab, dann bring ich der Theresa ein Herz und Mandeln mit«, sagt Jakob mit einem Seitenblick auf seine Schwester. Das Geschwister-Dasein mache das Arbeiten eigentlich sogar noch umso schöner.

Die Logistik hinter dem Wiesn-Urlaub

Die letzten Vorbereitungen laufen während unseres Interviews im Betrieb, aber auch zu Hause. Apothekeneinkäufe, Immun-Mittelchen, Tapes, Sonnencreme. Blusen, Hemden, Socken – alles liegt bereit, denn mehr als eine halbe Stunde wach verbringt in der Wiesn-Zeit zu Hause niemand. Vor lauter Vorfreude hat Xaver sogar alles ungewohnt strukturiert vorbereitet, wie Theresa mit geschwisterlichem Augenzwinkern bemerkt. »Ich kann seit zwei Tagen nicht mehr richtig schlafen«, gibt er zu.

Die Belastung auf dem Oktoberfest ist körperlich und psychisch eine ganz andere als im eigentlichen Leben als Selbstständiger. »Ich freue mich so auf diesen Urlaub für den Kopf«, sagt Xaver am Nachmittag vorm Anstich. »Wir sind dort so im Stress, dass wir nicht dazu kommen darüber nachzudenken, was zu Hause im Betrieb gerade los ist. Und gleichzeitig machen wir das, was wir lieben: Gäste betreuen. Zugleich ist es eine relativ stumpfe Arbeit: Bestellungen aufnehmen, raustragen, kassieren. Jeden Tag zur gleichen Zeit im Zelt sein.«

Jakob muss dafür jetzt gerade für drei Betriebe den Kopf haben. Eine andere Aufgabe als »Wiesn-Urlaub«, wo der Kopf mal nur bei den Gästen beiben kann. Sich in das »Xaver’s« wieder hineindenken, wo er eigentlich nicht mehr operativ aktiv ist, den »Alten Wirt« führen, die Bar weiter aufbauen, eine ganze Reihe neue Auszubildende anleiten. »Hätten wir in den Betrieben nicht so tolle Teams, könnten wir uns das aber natürlich nicht erlauben«, sagt er. Jakob muss jetzt dann auch gleich los, nach dem Rechten schauen. Man sieht ihm an, dass er die sonnige Hauswand an der Festhalle nicht gerne verlässt. Nächstes Jahr darf er dann wieder Wiesn-Urlaub machen.


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