Stefan Iseli war Gastgeber im «Café Boy» bevo er sich der sozialen Gastronomie zuwandte

Stefan Iseli war Gastgeber im «Café Boy» bevo er sich der sozialen Gastronomie zuwandte
© Stiftung Arbeitskette

Von der Sterneküche zum Social Food

Warum treten prominente Gastronomen freiwillig aus dem Rampenlicht und schliessen sich einer sozialen Einrichtung an? Wir haben nachgefragt.

David Martinez Salvany zählte viele Jahre lang zu den angesehensten Protagonisten der Zürcher Fine-Dining-Szene, erkochte sich erst im «Hotel Greulich» und dann im «Clouds» einen Michelin-Stern. Nach dem Pächterwechsel im obersten Stock des Prime Towers schloss er sich im Sommer 2016 als Executive Küchenchef der Stiftung Arbeitskette an. Die Stadt staunte, doch Martinez Salvany war überzeugt, das Richtige zu tun. Seither geht es für ihn nicht mehr um Punkte und Sterne, sondern darum, psychisch beeinträchtigten Menschen über die Arbeit in der Küche Halt und neues Selbstbewusstsein zu vermitteln.

«Der Arbeitskette war ich schon zu ‹Greulich›-Zeiten verbunden und kannte einen ihrer Betriebe von Engagements als Gastkoch. Als das alte «Clouds» Geschichte war, fragten mich die Verantwortlichen der Stiftung, ob ich nicht Lust hätte, ihnen eine Weile unter die Arme zu greifen und das Profil der einzelnen Restaurants zu schärfen», erinnert sich der 50-Jährige.

Er hatte Lust und schlug der Arbeitskette zwei Monate später eine langfristige Zusammenarbeit vor, worauf diese für ihn die Position des Executive Küchenchefs schuf. «Meine Lebensqualität hat sich extrem verbessert – auch wenn es anfangs nicht einfach war und ich zwei Jahre brauchte, um mich ganz an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen», bilanziert Martinez Salvany, inzwischen zweifacher Vater.

Anspruchsvoll ist die Arbeit allerdings noch immer. «Obschon alle Mitarbeitenden ihr Bestes geben, bleibt zunächst selten viel hängen, wenn ich ihnen etwas erkläre. Ich habe aber gemerkt, dass sie sich mit der Zeit einzelne Dinge zu Herzen nehmen und diese dann auch überaus gewissenhaft umsetzen. Das finde ich sehr schön.» Es sei ein Lernprozess auf beiden Seiten: «Ich selbst musste erkennen, dass es nichts bringt, immer sofort zur Sache zu kommen und schnelle Resultate zu erwarten, wie ich mir das aus meinem vorherigen Berufsleben gewohnt war.

Hier geht es darum, zunächst einmal auf den Menschen einzugehen. Erst wenn man Vertrauen und eine gewisse Verbindung geschaffen hat, sollte man auf das Fachliche umschwenkenTrotz der nicht immer einfachen Bedingungen muss Martinez Salvany natürlich auch sicherstellen, dass die Qualität des gas­tronomischen Angebots stimmt. Die Stiftung ist auf die Einnahmen aus den Restaurants angewiesen, sie machen rund 40 Prozent des Budgets aus. Und nur wenn das Essen schmeckt, kommt Kundschaft.

Besonders beliebt sind die Themenabende, an denen der frühere Sternekoch eine zentrale Rolle in der Küche einnimmt. Sein Name hat in Zürich noch immer einen ausgezeichneten Klang und lockt zahlreiche Gäste an. Das Gleiche gilt für die Kochkurse, die jeweils innert kürzester Zeit ausverkauft sind.

Sinnstiftende Gastronomie

David Martinez Salvany ist der prominenteste Vertreter der Zürcher Gastroszene, der heute für eine soziale Einrichtung arbeitet – aber längst nicht der einzige. Alleine bei der Stiftung Arbeitskette sind mehr als ein halbes Dutzend Berufsleute beschäftigt, die früher in einem der ambitioniertesten Lokale der Stadt tätig waren.

So auch Stefan Iseli. Lange Jahre Sommelier und Gastgeber im «Café Boy», füllt er diese Position nun im «Limmathof» aus und spricht von einem «Konzept, das mich menschlich berührt und meiner Arbeit einen neuen, tieferen Sinn gibt.» Klar, dass er mit seiner Bekanntheit nebenher dafür sorgt, dass der eine oder andere Gast mehr ins Restaurant kommt. Wer in einem Integrationsbetrieb arbeitet, müsse immer mit Überraschungen rechnen, betont David Martinez Salvany. Es könne durchaus sein, dass von einer zehnköpfigen Brigade an einem Tag nur zwei Personen oder im schlimmsten Fall gar niemand zur Schicht erscheine.

Umso erfreulicher sei es, wenn es gelinge, jemanden durch die Lehrabschlussprüfung zu bringen oder auf dem offenen Arbeitsmarkt unterzubringen. «Ein früherer Mitarbeiter der Arbeitskette hat es zum Beispiel geschafft, eine Anstellung im ‹Restaurant Löweneck› zu bekommen und entwickelt sich dort seit Jahren sukzessive weiter.» Lokale wie der ‹Limmathof›, im internen Sprachgebrauch der Stiftung ‹Comeback-Betriebe› genannt, sind das Sprungbrett für eine solche Anstellung.

Für Martinez Salvany haben aber auch die sogenannten Integrationsbetriebe – darunter das «Restaurant Media Campus» beim Letzigrund – eine ganz grosse Bedeutung: «Sie geben den Menschen Struktur und einen Grund, jeden Tag aufzustehen.»


Alex Kühn
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