Dieser gelochte Löffel wurde speziell fürs Absinth-Ritual entwickelt. Er wird mit einem Stück Würfelzucker auf dem Glas platziert, darauf wird Wasser geträufelt. Durch das Zuckerwasser wird der Absinth bekömmlicher.

Dieser gelochte Löffel wurde speziell fürs Absinth-Ritual entwickelt. Er wird mit einem Stück Würfelzucker auf dem Glas platziert, darauf wird Wasser geträufelt. Durch das Zuckerwasser wird der Absinth bekömmlicher.
© Shutterstock

Absinth: Grüne Fee, schwarzer Teufel

Absinth gehört zu den sagenumwobenen Spirituosen der Welt. Sie ist Schweizer Kulturgut, wurde früher als Heilmittel eingesetzt und inspirierte Dichter und Maler. Angeblich trieb »die grüne Fee« aber auch manch einen Menschen in den Wahnsinn und wurde deswegen lange verboten. Heute ist sie wieder legal und so beliebt wie seit Langem nicht mehr.

August 1905 im Dorf Commugny am Ufer des Genfersees: Der Rebbergarbeiter Jean Lanfray wurde soeben verhaftet, weil er im betrunkenen Rausch seine schwangere Frau und zwei Töchter erschossen hatte. Neben literweise Wein und Brandy hatte der Alkoholiker auch zwei Gläser Absinth getrunken – laut seinem Anwalt der Grund für den Wahn, der zur brutalen Tat führte. Trotz dieser Verteidigungsstrategie wurde er wenig später als Mörder verurteilt. Diese tragische Geschichte sollte weitreichende Konsequenzen haben: Sie erschütterte die Schweiz und ihre Nachbarländer und führte zu einem knapp 100-jährigen Verbot der Absinth-Herstellung. 

Schon damals wurde im Val-de-Travers seit rund 150 Jahren Absinth gebrannt. Das malerische Tal liegt im Neuenburger Jura und ist auch heute noch das Zentrum der Schweizer Absinth-Industrie. Die wichtigste Zutat ist das Kraut Echter Wermut (Artemisia absinthum), das seit Jahrtausenden als Heilpflanze eingesetzt wird. Bereits Pythagoras und Hippokrates schätzten es und empfahlen seinen Einsatz unter anderem bei Wehenschmerzen und Rheumatismus. Über die Jahrtausende hinweg wurde Wermut zur Heilung verschiedener weiterer Leiden eingesetzt – von Malaria über Magenverstimmungen bis zu Wurmbefall. Eingenommen wurde das potente und sehr bittere Heilkraut manchmal in Form von Tee, vor allem aber als Tinktur oder vermischt mit Wein – so entstand übrigens auch der Aperitif Wermut. Die Tinkturen hießen bei den Griechen »Absinthion«, davon wurde später das Wort »Absinth« abgeleitet.

Schweizer Original

Auch Absinth wurde ursprünglich als Medikament entwickelt. Er ist ein Kräutergeist: Für seine Herstellung wird Wermut zusammen mit anderen Kräutern in Reinalkohol eingelegt, das Gemisch wird dann nochmals destilliert. So kommen die wertvollen ätherischen Öle in den Absinth, nicht aber seine ausgeprägten Bitterstoffe. Neben Wermut enthält er noch weitere Kräuter wie Anis, Ysop und Zitronenmelisse. Diese werden meist zum Schluss nochmals in den bereits fertigen Kräutergeist eingelegt. Sie geben nicht nur ihre Aromen und Wirkstoffe ab, sondern auch ihre grüne Farbe – so kam Absinth zu seinem Spitznamen »die grüne Fee«. Beim weißen Absinth wird auf diesen letzten Schritt verzichtet.

Wie genau es zur Erfindung des Absinths im Val-de-Travers kam, ist heute umstritten. Es waren aber wohl zwei Personen daran beteiligt: der vor politischer Verfolgung in Frankreich geflohene Arzt Dr. Pierre Ordinaire und die lokale Heilerin Henriette Henriod. Zeitgenössischen Quellen zufolge verabreichte Ordinaire seinen Patienten ein »Élixir d’Absinthe«. Die Frage, ob er dieses erfunden oder lediglich ein Rezept von Henriod abgeändert hatte, scheidet die Geister. Es ist aber erwiesen, dass sowohl die Henriods als auch Dr. Ordinaire Absinth destillierten, wobei Henriod das Rezept für ihr Elixir 1797 an einen Major Dubied verkaufte. Dieser eröffnete zusammen mit seinem Sohn Marcellin und seinem Schwiegersohn Henri-Louis Pernod eine Absinth-Destillerie im Städtchen Couvet. Dank ihres großen Erfolgs beschlossen sie 1805, einen Produktionsstandort unter dem Namen »Maison Pernod Fils« im französischen Pontarlier zu eröffnen – 1975 wurde daraus nach dem Zusammenschluss mit dem Pastis-Produzenten Ricard der berühmte Spirituosenkonzern Pernod Ricard. In den nächsten hundert Jahren eroberte Absinth die Welt, machte sich aber auch viele Feinde.

Louche-Effekt: Nicht wasserlösliche ätherische Öle bilden unter Wasserzugabe kleine Tröpfchen, weswegen der Absinth milchig erscheint.
© Shutterstock
Louche-Effekt: Nicht wasserlösliche ätherische Öle bilden unter Wasserzugabe kleine Tröpfchen, weswegen der Absinth milchig erscheint.

Inspiration und Wahnsinn

Der Grundstein für den großen Erfolg des Kräutergeists legte das französische Militär, als es 1830 Algerien besetzte. Wegen mangelndem Trinkwasser und schlechten hygienischen Bedingungen in den Militärlagern breiteten sich ständig Krankheiten unter den Soldaten aus, als Gegenmittel wurde ihnen Absinth verabreicht. Nach Ende des Kriegs hatten sich die Heimkehrer an ihre tägliche Absinth-Ration gewöhnt und tranken diese auch zu Hause in Frankreich weiter. Besonders beliebt war Absinth als Aperitif, so sehr, dass Absinth in der Zeit zwischen 17 und 19 Uhr »l’heure verte«, die grüne Stunde, genannt wurde.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten auch Künstler das berauschende Getränk. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass man, wenn man genug Absinth tränke, anfange zu halluzinieren. Außerdem war das Getränk mit einem Alkoholgehalt von 50 bis 70 Volumenprozent äußerst ergiebig – man bestellte einen Absinth und verdünnte ihn mit etwas Wasser. Davon hatte man mehr als von einem Glas Wein oder Wermut. Zur »l’heure verte« gehörte ein besonderes Ritual: Man legte einen gelochten Absinthlöffel mit einem Stück Zucker aufs Glas und ließ aus einem großen, mit Wasserhähnen versehenen Behälter in der Mitte des Tischs Wasser darüber laufen. Das Getränk im Glas wurde langsam milchig und süßlich: Wenn es die gewünschte Stärke erreicht hatte, stellte man den Hahn ab. Unzählige Künstler malten Absinth, schrieben Gedichte über ihn oder schwärmten in ihren Erzählungen von seinen Tugenden: Édouard Manet, Oscar Wilde und Charles Baudelaire waren Fans. Van Goghs gelbe Phase soll auch vom Konsum großer Mengen Absinth inspiriert worden sein – so wie seine psychischen Probleme, wie manche Zeitgenossen behaupteten.  

Ursprünglich stammt Absinth aus dem Schweizer Val-de-Travers. Er ist heute auch eine beliebte Cocktailzutat.
© Shutterstock
Ursprünglich stammt Absinth aus dem Schweizer Val-de-Travers. Er ist heute auch eine beliebte Cocktailzutat.

Die angebliche berauschende Wirkung, die so viele Künstler inspirierte, war vielen Prohibitionisten ein Dorn im Auge. Sie waren der Überzeugung, dass Absinth nicht nur Wahnvorstellungen hervorrufen könne, sondern auch Blindheit, Krämpfe und Depressionen. So gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts viele Stimmen, die sich für ein Verbot von Absinth aussprachen. Der von Jean Lanfray begangene Familienmord bestärkte diese Prohibitionisten. Eine Volksabstimmung aus dem Jahr 1908 führte zum Schweizer Absinth-Verbot, wenig später folgten auch Frankreich und die USA. In Europa blieb seine Herstellung nur in Portugal, Großbritannien, Schweden und Spanien erlaubt. Viele Hersteller zogen nach Katalonien, das zur Absinth-Hochburg des 20. Jahrhunderts wurde.

In Frankreich wurde der Kräutergeist nach dem Verbot weitgehend durch Pastis ersetzt, auf dessen Produktion auch Pernod setzte. Im Val-de-Travers aber brannten lokale Familien trotz des Verbots unbekümmert weiter Absinth. Allerdings dürfen sie ihn erst seit 2005 wieder legal verkaufen: In diesem Jahr wurde das Verbot aufgehoben.

Heute ist Absinth wieder ein populärer Aperitif. Ebenfalls beliebt ist er in der Cocktailszene, wo er in klassischen Cocktails wie dem Sazerac oder dem Corpse Reviver No. 2 zum Einsatz kommt – allerdings nur zur Parfümierung des Glases. Es entstehen aber auch immer wieder neue Kreationen, in denen Absinth wie ein Bitter eingesetzt wird, manchmal aber auch die Hauptrolle spielt. Zum Beispiel beim »The Green Beast«: Dieser Drink wurde 2010 vom Barkeeper Charles Vexenat erfunden und enthält ganze dreißig Milliliter Absinth, der mit Gurke und Limette vermischt wird. So wird »die grüne Fee« zum erfrischenden Biest.

Feen sehen


Absinth wurde 1908 verboten, weil behauptet wurde, dass der Konsum zu Wahnzuständen, Schwindel und sogar Blindheit führe. Diese Wirkung wurde dem Nervengift Thujon zugeschrieben, das in der Wermutspflanze enthalten ist. In sehr hohen Dosierungen kann Thujon tatsächlich Halluzinationen, Krämpfe und Konvulsionen auslösen. Man müsste für einen Thujon-Rausch allerdings so viel Absinth trinken, dass man vorher an einer Alkoholvergiftung sterben würde. Der erlaubte Thujon-Höchstwert wurde nach dem Aufheben des Absinth-Verbots auf 35 Milligramm pro Kilogramm festgelegt. Es ist heute aber erwiesen, dass auch historische Absinthe in der Regel keinen höheren Thujon-Gehalt aufwiesen. Die beschriebenen Absinth-Nebenwirkungen waren eher auf seinen hohen Alkoholgehalt und Verunreinigungen mit Methanol zurückzuführen.


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Spirits Special 2023

Zum Magazin

Larissa Graf
Larissa Graf
Mehr zum Thema