Er ist ein Wegbereiter der modernen Aperitif-Kultur, zugleich ein verlässlicher Begleiter durch die Nacht und seine kantige, manchmal fordernde und bissige Art konterkariert er mit einnehmender Eleganz. Kein Wunder, denn in seiner über 100-jährigen Geschichte ist der Negroni immer flexibel und wandlungsfähig geblieben.

Er ist ein Wegbereiter der modernen Aperitif-Kultur, zugleich ein verlässlicher Begleiter durch die Nacht und seine kantige, manchmal fordernde und bissige Art konterkariert er mit einnehmender Eleganz. Kein Wunder, denn in seiner über 100-jährigen Geschichte ist der Negroni immer flexibel und wandlungsfähig geblieben.
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Negroni: Ein grandioser Dreiteiler

Wie könnte die Geschichte eines Cocktailklassikers besser beginnen als mit den Vorlieben eines durstigen Grafen? Seinen weltweiten Erfolg verdankt der Negroni aber nicht seiner blaublütigen Abstammung, sondern seiner Simplizität und seinem Variantenreichtum.

Florenz ist seit jeher die Heimat großer Geister, war sie doch nicht nur das Zentrum der Renaissance, die Wirkstätte eines Leonardo da Vinci oder die Wiege des Fortepianos, dem Vorläufer des heutigen Klaviers. Nein, sie ist zu unserem Glück auch der Geburtsort eines der größten Drink-Klassiker der Geschichte: des Negroni. Und wie sollte es in einer solch geschichtsträchtigen Umgebung anders sein, als dass ein Herr von Adel die Rolle des Geburtshelfers übernimmt – auch wenn es einer von zweifelhaftem Ruf war. Die Rede ist von Graf Camillo Luigi Manfredo Negroni, seines Zeichens Rodeo-Reiter, Kartenspieler, Lebemann und Viehzüchter in den USA des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Nachdem dieser seine jugendlichen Reitstiefel zwischenzeitlich gegen die High Society New Yorks getauscht hatte, kehrte er 1912 in seine italienische Heimat zurück und wurde dort unter anderem Stammgast im florentinischen »Caffè Casoni«, wo er wiederum regelmäßig dem ebenso populären wie erfrischenden Americano (Bitter, süßer Wermut, Soda) zusprach – bis dem alten Abenteurer eines Tages – es war wohl um 1919 – der Sinn nach etwas Stärkerem stand. Der geneigte Bartender seines Vertrauens erfüllte den Wunsch des Grafen, fügte dem Americano einige Tropfen Gin hinzu und kreierte damit die Urform des Negroni. Diese unterschied sich noch recht deutlich von der heutigen Rezeptur, war der Drink in der Regel doch wesentlich kleiner und wurde noch immer mit Soda und sehr wahrscheinlich auch ohne Eis serviert. Zwar hält sich die Legende hartnäckig, dass viele Gäste dem Beispiel des Grafen folgten und ebenfalls Gefallen an der neuen Kreation fanden, aber der ganz große Durchbruch blieb zunächst aus. Zwar verbreitete sich der Negroni langsam in Europa, aber tatsächlich finden sich die ersten dokumentierten Rezepte erst auf der Menükarte der legendären kubanischen Bar »El Floridita«, als sich Anfang der 1930er-Jahre die amerikanische Prohibition zwar schon dem Ende zuneigte, Kuba aber noch immer ein Mekka für trinkfreudige Amerikaner war.

Klassisch wird der Negroni direkt im Tumbler kaltgerührt. Will man aber gleich mehrere zubereiten, empfiehlt sich der Griff zum Rührglas. So genießen mehrere Personen die gleiche Komposition.
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Klassisch wird der Negroni direkt im Tumbler kaltgerührt. Will man aber gleich mehrere zubereiten, empfiehlt sich der Griff zum Rührglas. So genießen mehrere Personen die gleiche Komposition.

Am Anfang stand der Americano

Den Vorläufer des Negroni bildete der in den 1860er-Jahren in Gaspare Camparis Bar in Mailand entstandene Americano, damals auch als »Milano-Torino« bekannt, da seine beiden zentralen Zutaten (Campari und süßer Wermut) aus diesen beiden Städten stammten. Der Name Americano geht dabei auf die Ableitung des italienischen Begriffs »amaricante« zurück, womit bittere Substanzen bezeichnet werden. Die Geschichte, dass er seinen Namen seiner damaligen Popularität unter amerikanischen Touristen verdanke, ist hingegen mehr Legende als Tatsache.

Der moderne Negroni

Heute kennen wir den Negroni, den man rückblickend sicherlich als bitter-süßen Vorfahren vieler moderner Aperitivos bezeichnen kann, natürlich in anderer Form, als ihn Graf Camillo seinerzeit mit ziemlicher Sicherheit genossen hat. Stark, kantig und hocharomatisch, beim Erstkontakt geradezu anstrengend bis an die Grenze des Abschreckenden, aber dennoch so fesselnd und mit jedem Schluck mehr begeisternd, dass er einem nur schwerlich nicht ans Herz wachsen kann.  Dass das so ist, verdankt der Negroni dem Umstand, dass er in seiner über 100-jährigen Geschichte mehrere drastische Rezepturänderungen durchlaufen hat. Die erste sorgte nicht nur für den schlussendlichen Durchbruch des Drinks, sondern zementierte auch das Grundkonzept dreier gleich gewichteter, auf Eis servierter Zutaten. Campari beispielsweise begann in den frühen 1950er-Jahren, in den USA mit dem »Negroni Cocktail« zu werben und passte ihn hierfür an die damaligen Trinkgewohnheiten der Amerikaner an, die zu dieser Zeit kräftigere Drinks bevorzugten. Auch dem Regisseur Orson Welles wird eine gewisse Begeisterung für den Negroni nachgesagt, und man schreibt ihm den Satz zu, dass die Bitterstoffe hervorragend für die Leber seien, der Gin hingegen schlecht. Doch zusammen glichen sie sich aus.

Mit der wachsenden Popularität des Negroni ging auch die Entstehung diverser Variationen einher. So nahm er in den 1970er-Jahren mit dem Negroni Sbagliato (ital. für »vermasselt«) wieder eine etwas moderatere Form an, in der der Gin durch Schaumwein, vorzugsweise Prosecco, ersetzt wird. Weitere Varianten, die im Laufe seiner Geschichte entstanden, ersetzten den Gin etwa durch Bourbon oder Rye, was ihn zum »Boulevardier« mutiert. Ebenfalls eine Sünde wert ist die Abwandlung »Agavoni« oder »Teqroni« mit wahlweise Mezcal oder Tequila, was dem Drink eine fruchtig-rauchige Dimension verleiht.

Selbst vor der eigentlich für einen Grundpfeiler gehaltenen, rubinroten Farbe machten die modernen Mixologen nicht halt. Mit dem White Negroni betrat Anfang der Nullerjahre ein neuer Protagonist die Bildfläche, der aufgrund der Tatsache, dass er gleich zwei Zutaten austauscht, eher als ein Verwandter statt als eine Variante des Negroni anzusehen ist, aber dennoch eine echte Bereicherung des Negroni-­Kosmos darstellt. Sein Geheimnis? Lillet Blanc anstelle süßen Wermuts, und der kräftige französische Enzianlikör Suze anstatt ­Campari, abgerundet durch einen Spritzer Orange Bitters. Auch das zeigt, dass wohl kaum ein anderer Drink so wandelbar ist wie der in Florenz aus einer adeligen Laune heraus geborene Negroni.

In Sachen Dekoration braucht der Negroni nicht viel. Meist reicht eine Zeste, die man zuvor zum Abspritzen benutzt hat, aus. Aber: Auch gedörrte Orangenscheiben eignen sich als aromatischer Hingucker.
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In Sachen Dekoration braucht der Negroni nicht viel. Meist reicht eine Zeste, die man zuvor zum Abspritzen benutzt hat, aus. Aber: Auch gedörrte Orangenscheiben eignen sich als aromatischer Hingucker.

REZEPT: NEGRONI

REZEPT: BARREL AGED NEGRONI

REZEPT: WHITE NEGRONI


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Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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Alexander Thürer
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