© deMayda/Shutterstock

Bellini: Ein Bild von einem Drink

Was wäre ein Sommer ohne Bellini? Die Farbe, die spritzige Leichtigkeit, das Aroma haben ihn nicht umsonst zum Klassiker gemacht. Dabei ist er moderner denn je – steht er doch für den Genuss, der aus kreativem Umgang mit regionalen und nachhaltigen Produkten entstehen kann.

Serendipität. So nennt man in der Wissenschaft die Fähigkeit, aus Zufällen Erkenntnisse zu gewinnen. Wie beim Penicillin, das die Welt einer schlampig angelegten Bakterienkultur verdankt. Oder wie bei Superkleber, der fast als gescheiterte Formel für Kunststoffglas – niemand konnte die Klebrigkeit loswerden – entsorgt worden wäre. Oder wie beim »Bellini«, der nur entstehen konnte, weil norditalienische Winzer nicht wussten, wohin mit den vielen Weingartenpfirsichen – bis Giuseppe Cipriani in seiner »Harry’s Bar« 1948 in Venedig eins und eins zusammenzählte. Oder besser gesagt, eins und drei: Ein Viertel frisch pürierter Weingartenpfirsich, drei Viertel Prosecco, fertig war der klassische Sommer-Aperitivo.

Es gehört sicher zum Zauber des Bellini, dass es ihn in seiner Urform nicht immer gibt, sondern eben nur, wenn im Spätsommer die Weinbergpfirsiche reif sind. Sogar die Ciprianis raten dann vom Kauf des eigenen Bellini in Flaschen ab und laden lieber zum Mitmachen ein, Originalrezept inklusive: Pfirsiche kalt abwaschen und, etwa mit einem Kartoffelstampfer, mitsamt der Haut zu Püree zerdrücken. Von der Verwendung eines Mixers ist beim klassischen Rezept abzuraten, der würde Luft in das Pfirsichmus schlagen, die später Rache an der Spritzigkeit des Prosecco nähme.

Klassischer wird’s nicht mehr: Arrigo Cipriani hinter dem Tresen von «Harry’s Bar» in Venedig bei der Zubereitung jenes Drink-Klassikers, den sein Vater erfunden hat.
© Arrigo PR
Klassischer wird’s nicht mehr: Arrigo Cipriani hinter dem Tresen von «Harry’s Bar» in Venedig bei der Zubereitung jenes Drink-Klassikers, den sein Vater erfunden hat.

Wenn Bellini flöten geht

Sind die Pfirsiche einmal zermantscht, geht alles ganz schnell: Das Püree in gut gekühlte Gläser füllen, Prosecco langsam darüber leeren, wenig und vorsichtig rühren, genießen, und zwar laut den Ciprianis auf bodenständige Art: Denn auch wenn die International Bartenders Association und mit ihr der Rest der Welt den Bellini in Sektflöten verabreicht wissen will – in »Harry’s Bar« sucht man vergeblich danach. Dort wird der Bellini seit 74 Jahren unverändert in einfachen Trinkgläsern serviert, und man ist stolz darauf: »Das perfekte Glas, um einen Bellini zu servieren, sollte einem keine unangenehmen Posen oder Gesten beim Trinken aufzwingen, sondern erlauben, den lebendigen Geschmack der weißen Pfirsiche auszukosten«, so die Ciprianis mit einem Seitenhieb auf flöten gegangene Bellinis.

Auch Ausnahmebarkeeper Kan Zuo – in seiner Wiener »Sign Lounge« immer für das kreative Aufbrechen von Drink-Dogmen gut – sieht das mit den Gläsern nicht so eng. Das sei eher »Kopfsache«, man solle das Glas einfach so wählen, dass man sich »körpersprachlich schön und wohl fühlt« – und allenfalls auf Champagnerschalen verzichten, wenn man wackelige Hände habe, so der augenzwinkernde Zusatz. Seine Bellini-Variation macht jedenfalls keine Probleme mit Pfirsichstückchen, die man nicht aus der Flöte bekommt: In seinem »Miso Peach Bellini« (siehe Rezept) arbeitet er mit fermentiertem Pfirsichpüree, Angostura und Miso-Paste. So hat er zugleich einen Weg gefunden, wie Champagner und Frucht zueinander finden können. (Der bloße Austausch von Prosecco durch Champagner beim originalen Bellini-Rezept macht den zwar zum nobel klingenden »Bellini royal«, allerdings ist das Ganze da oft weniger wert als die Summe der Teile.)

Ebenfalls mit raffiniertem Pfirsich-Twist, um dem Champagner entgegenzukommen, serviert Dirk Hany in der Zürcher »Bar am Wasser« seinen »Bellini 2.0«. Die Pfirsiche werden da mit einem Schuss Amaretto zum luftigen Espuma (siehe Rezept unten), der sanft auf den Champagner gesetzt wird. Was die Pfirsiche angeht, ist Hany allerdings so kompromisslos wie die Ciprianis: Bellini sollte demnach eigentlich nur im August und September gemixt werden.

Kan Zuo («The Sign Lounge», Wien) ist bekannt für Neuinterpretationen klassischer Drinks. Sein fermentierter Miso-Pfirsich-Cordial (Rezept rechts unten) sorgt für Bellini-Genuss im Handumdrehen.
© Thomas Dröszler
Kan Zuo («The Sign Lounge», Wien) ist bekannt für Neuinterpretationen klassischer Drinks. Sein fermentierter Miso-Pfirsich-Cordial (Rezept rechts unten) sorgt für Bellini-Genuss im Handumdrehen.

Venezianisches Farbenspiel

Von den weißen Weinbergpfirsichen eignen sich laut Arrigo Cipriani im Übrigen am besten die »kleinen mit rosafarbener Schale«, allein schon, damit man den typischen Farbton hinbekommt – und erst damit letztlich einen echten Bellini zubereitet hat: Angeblich fand Giuseppe Cipriani den Namen für seinen Drink durch den identen gelb-rosa Farbton auf einem Bild des Renaissancemalers Giovanni Bellini – und hatte ab da obendrein einen jederzeit wiederholbaren Kniff für die Benennung seiner Kreationen. Das tiefe Rot eines später erfundenen Gerichts aus rohem Rindfleisch etwa wollte er in den Gemälden von Vittore Carpaccio wiedergefunden haben.

Auch Jörg Meyer – Bartender des Jahres im deutschen Falstaff-Barguide 2022 – unterstreicht, dass es für einen guten Bellini die richtigen Pfirsiche, den richtigen Prosecco und vor allem die richtige Einstellung braucht: »Das Problem an Drinks mit zwei Zutaten ist oft, das man sich ob der Simplizität nicht die Mühe gibt, den Drink anständig zuzubereiten.« Meyer findet auch Ciprianis Gläser-Credo richtig: »Ein Bellini ist ein Drink und kein Schaumwein mit Schuss.« Sein Profi-Tipp: Zuerst ein wenig vom Prosecco mit dem Pfirsichpüree schaumig aufrühren und erst dann mit Prosecco aufgießen, immer wieder neu in kleinen Gläsern. Damit bleibt der Schaum kompakt und der Drink kühl, bedeutet: »viele kleine perfekte Bellinis mit Wow-Effekt statt langweiliger Schaumwein-Aperitive«.

Pfirsich mit Terroir

Die Zeiten für Bellini sind jedenfalls durch eine nie dagewesene Vielfalt an Pfirsichsorten besser denn je, dank der Winzer, die sich zusehends der alten Tugend besinnen, Weingärten durch Pfirsichbäume auf natürliche Art zu beleben und zu schützen. Und weil Weingartenpfirsich aus Kernen, und nicht wie Tafelpfirsich durch Veredelung vermehrt wird, bekommt die Frucht mit der Zeit auch ihr eigenes »Terroir«. Die neue Diversität im Weingarten, bei Pfirsichen wie bei Schaumweinen, bietet so endlose Inspiration für Bellini-Varianten, ganz im Sinne des Erfinders: Hätte Giuseppe Cipriani nicht unbekümmert mit Zutaten aus seinem Lebensumfeld experimentiert, es gäbe bis heute keinen Bellini. Die Philosophie hinter dem Drink – regional und nachhaltig – macht den Klassiker damit moderner denn je, »nose to tail« zum Trinken quasi. Nicht umsonst punktet Bartender Jörg Meyer derzeit mit Bellini mit Pulpe aus der Kakao-frucht, als bisher ungenutztem Bestandteil der Kakaoproduktion. Und wer weiß: Mit ein wenig Serendipität kommt beim nächsten geglückten Experiment ja vielleicht ein Farbton heraus, den man in keinem venezianischen, sondern einem heimischen Museum findet.


Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2022

Zum Magazin

Lukas Zimmer
Autor
Mehr zum Thema
Rezept
Smoky Lake
Die Bar »Tür 7« verrät ein Cocktail-Rezept, das für die neue Sommerkarte des »Schloss...
Von Geri Tsai
Cocktail
Fire & Desire
Der Falstaff Barkeeper des Jahres 2023, Glenn Estrada, serviert uns an dieser Stelle in jeder...
Von Redaktion