Bier: Belgische Schaumschläger

Der Kult um extravagante Biere könnte nicht größer sein: Von Antwerpen bis Brügge toben sich die Braumeister richtig aus.

Man kann natürlich nach Belgien reisen, ohne etwas von der belgischen Bierkultur mitzubekommen. Da kann man dann ein Pils der Marke Jupiler oder Stella Artois trinken, die einem wegen der geringen Bittere eher wie ein Helles als wie ein Pilsner vorkommen, und sich einbilden, man habe ohnehin belgisches Bier gekostet – und nichts Besonderes daran finden können.

Tatsächlich gibt es solche Reisenden, vor allem wohl unter den Konferenztouristen. Und es gibt wohl auch viele Belgier, die eines der geschmacksarmen Massenbiere runterleeren. Aber die Belgier wissen, im Unterschied zu den Konferenztouristen, was ihnen entgeht – es gibt einen Flamen mit Wallonen verbindenden Nationalstolz auf die belgischen Bierspezialitäten. Berühmt sind jene aus Flandern, da hat auch die Tourismuswerbung das Ihre dazu beigetragen, die Bierkultur zu propagieren. So kommen Reisende gern in die Region Brüssel und das Land im Norden und Westen der Hauptstadt: Antwerpen, Gent, Brügge – und in die vielen kleinen (und inzwischen auch zu beachtlicher Größe gewachsenen) Landbrauereien dazwischen. Da lässt sich Sightseeing gut mit dem einen oder anderen Kneipenbesuch verbinden.

Dass die Bierlokale hier Cafés heißen, hat man rasch heraußen. Trinkt eh kein Mensch Kaffee dort. Dafür Biere, die nach dem Teufel heißen. Oder nach einem Kloster – aber die können ähnlich teuflisch wirken, wenn man sie im gewohnten Tempo und in gewohnter Menge trinkt, denn sie haben sieben, acht, manchmal auch zwölf Prozent Alkohol. Es gibt sie aber eh nicht im Halbliterglas, sondern meist aus der 0,3-Liter-Flasche, seltener aus einer mit 0,7 Litern, aber die trinkt man dann auch nicht allein aus.

Betrieb in der Brauerei Kasteelbrouwerij de Dool. / Foto beigestelltUnd es gibt immer ein passendes Glas dazu. Manche davon sehen so exklusiv und teuer aus, dass man sie am liebsten stehlen würde. Nein, darf man nicht (es gibt immerhin Geschäfte wie den Biertempel auf dem Brüsseler Grasmarkt, wo man die schönen Dinge käuflich erwerben kann). Und in manchen Lokalen wird dem Glasdiebstahl auch vorgebeugt, indem ein Pfand auf das Glas verlangt wird – nicht in Form von Geld, sondern in Form eines Schuhs. Der kommt dann in einen Korb und wird erst zurückgegeben, wenn der Gast das Glas retourniert hat. Mit nur einem Schuh und einem erbeuteten Glas läuft kaum einer davon.

Comeback alter Bierstile
Nicht in Flandern, auch nicht in Wallonien: Der französischsprechende Teil Belgiens hat die Neuentdeckung alter Bierstile in den 1960er- und 1970er-Jahren (als die Biervielfalt des Landes längst nicht den heutigen Stand hatte) ebenso mitgemacht, touristisch wird das aber noch nicht so intensiv vermarktet. Dabei haben Städte wie Namur oder Klöster wie Orval durchaus auch ihre touristischen Reize – wer etwa Orval besucht, findet ein Kloster, das in der Französischen Revolution zerstört wurde und aus den Gewinnen einer eigens für diese Finanzierungsmethode gegründeten Brauerei wieder aufgebaut wurde.

Text und Verkostungsnotizen von Conrad Seidl

Aus Falstaff 03/2015

Conrad Seidl
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