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Der Sommelier mit den zwei Leben

Von »Aggro-Berlin« zum Sommelier und noch viel weiter. So oder so ähnlich könnte man den Lebensweg von Tony D beschreiben – zumindest, wenn man sich keine Mühe macht, hinter die Fassade zu schauen. Die Geschichte eines Mannes, dessen Lebenswandel man lieber nicht auf zwei Punkte reduzieren sollte.

»Oh fuck«. Es ist die Antwort auf eine Nachricht, die den Interviewtermin in wenigen Stunden nochmal verifizieren soll. Zwei, drei Nachrichten später ist aber alles geklärt. Eine Stunde später wird es am Ende – extrem unkompliziert und entspannt wirkt der ehemalige Rapper aber auch schon bei den ersten Nachrichten, die vor dem Gespräch auf WhatsApp ausgetauscht werden. Irgendwie viel entspannter, als man ihn aus seiner Zeit bei Aggro-Berlin noch im Kopf hat. »Hundert Metaz« ist aber auch schon weit über zehn Jahre her. Im Februar ist der Damager 40 geworden. »Ich bin schon immer noch eine eher chaotische Person, aber auch erwachsener geworden. Nur nicht zu erwachsen«, schmunzelt Tony. Aber wer ist eigentlich dieser Mann, der vor sehr orangener Kulisse aus dem MacBook-Bildschirm grinst? Gestatten: Mohamed Ayad alias Tony Damager. 2001 Gründungsmitglied des legendären Berliner Hip-Hip-Labels »Aggro Berlin«. Also quasi einer derer, die Rap in Deutschland überhaupt erst möglich gemacht haben. Nur mit Musik hat Tony heute im Grunde nicht mehr viel am Hut. Stattdessen ist er einen Weg gegangen, der ihn heute glücklich zu machen scheint. Und über den er trotzdem selbst ein bisschen schmunzeln muss.

Der Weg zu seinem neuen Leben begann etwa 2010. Da lernte er seine heutige Freundin kennen. Sie stammt aus dem Badischen Land, bringt dem Rapper Wein und Genuss näher. »Bis dahin habe ich eher so Sachen gegessen, die man eben isst, wenn man sich nicht für Essen interessiert«, blickt Tony zurück. Geschenkt. In der Musik sieht sich der gebürtige Berliner zu dieser Zeit nicht mehr und schwenkt um. Eine Ausbildung zum Eventkaufmann, einige Stationen in der Gastro, bei einem Weinfachhandel und schließlich die Ausbildung zum Sommelier. Mit Auszeichnung abgeschlossen. Das spielt für den Berliner aber gar keine so große Rolle. Am Anfang habe er sich an das Thema Wein »gar nicht so rangetraut. Du weißt ja gar nicht, wo du anfangen sollst, wenn du niemanden kennst«.

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Das mit dem Leute kennen, ist inzwischen nicht mehr das Problem. Und wen Tony nicht kennt, der oder die kennt dann eben Tony. »Es kommen immer wieder Leute zu mir in den Laden und zeigen mir ihr Zeug.« Wählerisch sei er deswegen inzwischen geworden. Was dem Laden aber in jedem Fall zu Gute kommt, wenn man sich die Stahlregale anschaut, die Tony bei einem Gang mit seinem Handy durch den Laden in Berlin-Mitte für den in Wien sitzenden Autor dieses Textes festhält. Knapp 100 Positionen listet er aktuell. Das variiert aber. Natürlich. Eine nach der anderen Flasche fängt er mit seiner Kamera ein. Da geht es von Frankreich über Italien und Deutschland sogar zu einer feinen Auswahl aus Österreich. Viele davon in Berlin exklusiv im »Wine Damager«. Hier ist jeder Wein ein persönlicher Liebling des Chefs – und ja, darunter auch ein paar Naturals. Von denen ist Tony zwar nicht per se Fan, abgeneigt ist er aber auch nicht. 

»Das ist ein geiler Wein«, »Das ist aktuell der geilste Saufwein«. Das Funkeln in den Augen ist echt – das sieht man auch über das kleine Videofenster auf dem Bildschirm. Allgemein spricht dieser Mann in einer Sprache, die fernab eines vermeintlich versnobten Weingames auch zu existieren scheint. Willi Schlögl, Curly und Tonys Namesvetter Askitis wären da nur ein paar weitere Beispiele. Sprechen sie eine ganz neue Zielgruppe an? Tony grübelt, fährt mit seiner Hand durch den ergrauten Bart und lehnt sich im Sessel ein Stück zurück. Eigentlich will er das gar nicht. »Ich bin ja froh, dass ich von der Straße weg bin. Da sehe ich mich weniger als Sommelier der Straße.« Man hat den Eindruck da ist jemand angekommen. Angekommen in einer Welt, in die er vor über zehn Jahren einen Schritt setze und noch mit großen Augen ehrfürchtig da stand.

© Tony D

Heute ist es eher andersherum. Auf der Straße wird er zwar noch immer eher wegen seiner Musik – also quasi seinem alten Leben – erkannt, aber gerade in seiner ehemaligen Bubble hat sich das mit dem Wein rumgesprochen. »Ich bin ganz froh, dass ich mir etwas ausgesucht habe, was man nicht dissen kann. Zumindest habe ich noch nicht mitbekommen, dass mich jemand deswegen gedisst hätte. Eigentlich finden es alle ganz cool, glaube ich«. Und auch unter den Kolleg:innen in seinem »neuen Leben« kommt Tony gut an. Die spannende, untypische Vergangenheit und vor allem seine Expertise haben ihm auch über Berlin hinaus zu einer gewissen Bekanntheit verholfen.

Seine Story: Der Wandel vom Rapper, den von seinen Gegnern »nur noch hundert Metaz« trennen, zum Sommelier mit Auszeichung, dem eigenen Laden und den Schulterkopfern von allen Seiten. Jetzt dann doch dem Teaser widersprechend in der Kurzfassung, aber eben seine Story. Da stellt sich abschließend nur noch die Frage, was jemand noch für Ziele hat, der es geschafft zu haben scheint. »Wenn mir jetzt jemand sagen würde, es bleibt für immer so und ich hab einen Job, der mir Spaß macht, würde ich wahrscheinlich ja sagen«, überlegt der Berliner, fährt sich wieder durch den Bart und setzt dann doch nochmal an: »Aber natürlich bin ich auch Unternehmer und möchte eine Entwicklung sehen. Schade eigentlich, dass man so getrieben ist.« Stimmt schon, schade – aber gegen einen zweiten Laden des »Wine Damagers« wird sicher auch niemand auf der Straße gehen.


Tonys Weinempfehlung

Die Frage nach dem Liebslingswein haben wir Tony D erspart. Die nach der liebsten Rebsorte aber nicht und die Antwort kam inklusive eines verschmitzen Lächelns: Chardonnay. »Früher war ich da ein bisschen vorsichtig. Habe mich eher an Riesling gehalten. Bei Chardonnay gibt es natürlich viel Schrott, aber auch richtig gutes Zeug.« Die Weinempfehlung, von der nach dem Gespräch direkt eine Kiste nach Wien bestellt wurde, kommt dennoch ohne die verbreitetste Rebsorte des Burgund aus: Nero Rosso Rotwein Cuvée 2022 vom Weingut Seckinger aus der Pfalz. Das ist laut Damager der »aktuell geilste Saufwein«. Cheers.


Info

Wine Damager Berlin
Brunnenstrasse 7
10119 Berlin
winedamager.de

Felix Moßmeier
Felix Moßmeier
Digitalredakteur
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