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Die Kunst, die aus dem Keller stieg

Eine verlassene Kellergasse. Zwei junge Winzer. Und die Lust, sich ausgerechnet im konservativen Weinland Österreich mit Naturals durchsetzen zu wollen. Die Geschichte zweier Männer, die keiner Winzer:innenfamilie entstammen und vielleicht genau deshalb die Richtigen für frischen Wind sind.

»Mmmmmwwwh« - der Wein rinnt aus der Pipette in Marcus Bülows Hand - direkt in den Mund von Michael Lutschounig. Hier sind zwei Winzer am Werk – zwei, die sich selbst nicht so ernst nehmen. Ihre Weine aber schon. Es sind nur ein paar schmale Stufen. Raus aus der gleisenden Sonne auf der kleinen Seitenstraße. Ein paar Stufen, die einen vor der Hitze draußen retten und in eine angenehme Kühle eintauchen lassen. In dem kleinen Keller in Arbesthal, in unmittelbarer Nähe zum Wiener Flughafen, riecht es modrig, das spärliche Licht spiegelt sich im feucht glänzenden Boden wider – das ganz hinten »hat der Keller bereits vereinnahmt« grinst Lutschounig und blickt ins tiefschwarze Ende des Kellers, in dem sich bei genauem Hinsehen doch die Umrisse einiger großer Holzfässer abzeichnen. Aber von Anfang an: In diesem kleinen Keller, der als einziger in der Kellergasse noch bewirtschaftet wird, stehen zwei Quereinsteiger. Ein Kärntner. Ein Wiener. Zwei Absolventen des Weinbau-Studiums an der BOKU. Zwei Künstler.

Die beiden Künstler aus dem Keller-Atelier: Marcus Bülow (l.) und Michael Lutschounig.
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Die beiden Künstler aus dem Keller-Atelier: Marcus Bülow (l.) und Michael Lutschounig.

Start unmittelbar vor der Pandemie

»Wir haben uns im Studium kennengelernt und für verschiedene Winzer:innen gearbeitet. Da bist du zwar immer dabei, aber die Stilistik der Weine bestimmen am Ende andere und deshalb haben wir schon früh überlegt, wie schön es wäre, eigenen Wein zu machen«, erklärt Bülow an einem der großen Stahltanks lehnend, die in dem über 170 Jahre alten Keller ein bisschen wie Raumschiffe wirken. »Die sind aber eigentlich der einzige Unterschied zu früher«, meint Lutschounig. 2019 starteten die beiden ihren gemeinsamen Betrieb im Ursprungskeller des Weingut Böheim, das inzwischen in deutlich größeren Räumlichkeiten umgezogen ist. Die Keller links und rechts entlang der Straße sind inzwischen alle aufgegeben – in den meisten Fällen zu Ferienwohnungen umgebaut. Dementsprechend groß war die Freude und Neugier im Dorf, als die beiden jungen Winzer vor knapp vier Jahren zumindest einen Keller mit neuem Leben füllten. 

Natürliches Risiko

»In der Nachbarschaft sind wir extrem gut aufgenommen worden, das war wirklich schön zu sehen«, lächelt Lutschounig. Wie gut der Integrationsprozess in den letzten Jahren vorangeschritten ist, lässt sich an einer Tatsache wohl am besten ablesen: In diesem Jahr schenken die »Kellerkünstler« am Feuerwehrfest aus. Ein viel größeres Zeichen der Akzeptanz seitens der heimischen Bevölkerung scheint nur schwer vorstellbar. Die beiden sind angekommen. Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass es keine Zweifel gab und der Weg leicht gewesen wäre, wie beide betonen. Die Aufbauphase mitten in der Corona-Pandemie ist da vielleicht der naheliegendste, aber nur ein Aspekt. Ausschließlich mit Naturweinen in Österreich an den Start zu gehen ist auch 2023 noch immer ein Risiko. Kleine Zielgruppe und der Fokus auf den klassischen Weinbau sind keine idealen Startvoraussetzungen. »Da ist man beispielsweise in Skandinavien deutlich offener. Wir haben dort mit einer alten Dame gesprochen, die leidenschaftlich gern Orangeweine trinkt«, erklärt Lutschounig, über den Besuch eines neuen Händlers in Dänemark, den er vor kurzem mit Bülow antrat.

Bei der Zweigelt-Lese helfen Freunde und Familie.
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Bei der Zweigelt-Lese helfen Freunde und Familie.

Am Ende eines Feldwegs

Dass die Zielgruppe zwar deutlich kleiner, aber schon existent ist, stellten die beiden Jungwinzer zuletzt auch beim Kulinarikfest »mit alles« fest: »Spannende Community«, fasst Bülow zusammen. Der anschließende Weg in den Weingarten fällt freilich deutlich leichter, wenn man seine Zielgruppe kennt und von ihr positives Feedback erhält. Das positive Feedback ist da, also geht es einige Minuten mit dem weißen Lieferwagen über Schotterwege, die in jeder Situation vermitteln, dass sie der letzte Streckenabschnitt jeder Route sein müssen. Danach kann einfach keine befestigte Straße mehr kommen. Wer sich das Geholper antut, wird allerdings mit einem wunderschönen Blick belohnt. Einer der Weingärten liegt direkt am Hang, mit Blick über das benachbarte Fischamend und die umliegende Gegend. Etwa ein halber Hektar der insgesamt drei, die die »Kellerkünstler« bewirtschaften. Und das zu zweit, ab und zu mit Freunden. Ab und zu mit Hilfskräften aus Ungarn – das allerdings zu fairen Löhnen, wie beide mehrfach betonen. 

Von einem der Weingärten hat man einen phantastischen Blick über die umliegende Landschaft.
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Von einem der Weingärten hat man einen phantastischen Blick über die umliegende Landschaft.

Jede Flasche ein Kunstwerk

Welche Liebe zum Detail in diesem Weingut liegt, sieht man schon daran, wie die beiden Winzer ihre Reben ansehen. Findet man im Leben jemanden, der:die einen so ansieht, sollte man bei dieser Person bleiben. Optional auch heiraten. Wirklich. Worin sich die Liebe zum Detail aber auch ausdrückt sind die Etiketten. Den Anfang nahm die Geschichte auf Instagram. Dort entdeckte Bülow ein Kunstwerk, das ihn überzeugte. Und wenn einen heute etwas überzeugt, schreibt man die Künstler:in einfach an. So kam das erste Kunstwerk auf die Flasche. Inzwischen sind viele weitere Künstler:innen dazugekommen, einige Werke haben die beiden gekauft, bei anderen haben sie eine Lizenz. Schaut man heute in das kleine Weinregal, das direkt im Eingangsbereich des Kellers steht, hat man ein wenig den Eindruck in einem Wein-Store in Neubau zu stehen, der sich auf Naturals spezialisiert hat. Da wären wir wieder bei der Zielgruppe. Kunst ist subjektiv, das ist Wein auch – aber dass die »Kellerkünstler« den Nerv der Zeit treffen, scheint kaum von der Hand zu weisen. Und sind vielleicht ausgerechnet zwei, die ohne familiären Hintergrund in die Branche kamen, wichtiger Teil einer Bewegung, die den klassischen Weinbau nicht verdrängen, aber ergänzen möchte. Es ist also die Kunst, die aus dem Keller stieg und nicht verschwand.


Info

Weingut Kellerkünstler
In der Kellergasse 36
2464 Arbesthal
kellerkuenstler.at

Felix Moßmeier
Felix Moßmeier
Digitalredakteur
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