Tommaso Cecca, Global Head von »Camparino«.

Tommaso Cecca, Global Head von »Camparino«.
© Kristina Mitrovic

Tommaso Cecca: »Die neue Generation sucht immer mehr das 360-Grad-Erlebnis«

Die Bar-Szene steht im Wandel: Noch nie war das Erlebnis von Cocktails so wichtig wie heute. Tommaso Cecca, Global Head von »Camparino«, im Interview über die Relevanz innovativer Cocktails, den Alkoholfrei-Trend sowie die Mailänder Ikone »Camparino«.

Wer kennt sie nicht? Camparino in Galleria, die legendäre und historische Mailänder Bar in der Galleria Vittorio Emanuele II. Direkt gegenüber: der Dom in Mailand. Als Ikone und Symbol des Aperitifs schlechthin ist sie sowohl mit der Stadt Mailand als auch mit dem künstlerischen und kulturellen Kontext des 20. Jahrhunderts tief verbunden.

Tommaso Cecca unterstützt als Global Head von »Camparino« internationale Camparino-Standorte weltweit, die auf den Mailand Standort ausgerichtet sind. Anlässlich des Falstaff Vienna Bar- & Spirits Festival 2023  ist er zu Besuch in Wien und fördert auch hier die immer stärker werdende Zusammenarbeit zwischen Camparino in Mailand und dem österreichischen Standort, der Bar Campari.

Falstaff hat ihn zum exklusiven Interview getroffen und mit ihm unter anderem über die aktuellen Cocktail-Trends und die innovativen Visionen Camparinos gesprochen.

Falstaff: Warum ist Wien gerade so interessant für »Camparino«?

Tommaso Cecca: Die Unternehmensgeschichte von Camparino ist ziemlich ähnlich zur Bar Campari in Wien, Camparino existiert seit 1915. Die beiden Städte Mailand und Wien haben eine gemeinsame Tradition in Bezug auf Bars. Ich liebe es, durch Wien zu spazieren und diese wunderschöne Kulisse von Cafés und Bars zu sehen. Deshalb denke ich, dass Bar Campari in Wien in Bezug auf Lifestyle, Cocktails, Essen und Campari insgesamt sehr gut funktioniert. Es ist ein erstaunlicher Ort für uns. Wir sind aus verschiedenen Gründen hier. Auf dem Bar- & Spirits-Festival hatten wir die Möglichkeit, Masterclasses und Guest Shifts anzubieten, um mehr den italienischen Camparino-Flair nach Wien zu bringen. Es ist auch für uns wichtig, umgekehrt zu verstehen, wo wir uns befinden und wie hier das Publikum denkt. Der kühne Stil klassischer Cocktails passt sehr gut zu Wien und Mailand, aber auch die Signature-Cocktails. Der Negroni erzählt einen wichtigen Teil der Geschichte, noch von 1927, und viele andere Cocktails erzählen sie weiter und wie sie auch in Zukunft erzählt wird.

Was macht die Bar Camparino zu einer Ikone?

Camparino ist aus vielen Gründen ikonisch. Der Hauptgrund ist, dass die Bar 1915 von Davide Campari in der Galleria gegründet wurde. Hinter Camparino gibt es viele Aspekte, der erste ist die Architektur und die Lage. Es befindet sich in bester Lage in der Stadt, im Herzen der Stadt, in der Nähe der Galleria Vittorio Emanuele II, mit Blick auf den Dom. Jetzt feiern wir 108 Jahre am 13. November. Wir haben viele Ereignisse durchgemacht, wir haben all diese Dinge bewältigt, die sich durch den Wandel der Gesellschaft ergeben. Mit Camparino und dem Ausprobieren von Cocktails haben wir auch die Wahrnehmung von Camparino viele Male verändert. Man kann auch sagen, dass sich vieles gegenseitig beeinflusst, zum Beispiel die Kultur der Mode, die Kultur der Designs, die Lifestyle-Momente. Auch berühmte Künstler seit 1915 sind immer wieder in der Camparino-Bar und beeinflussen unsere Marke ebenso, genauso wie wir die Künstler beeinflussen und inspirieren. Wenn man mehr als hundert Jahre lang konstant agiert, wird man in Bezug auf den Lebensstil zu einem Status. Und was in der normalen Kultur als Status gilt, wird zur Ikone.

Welche neuen Trends oder Getränke haben Sie in letzter Zeit bemerkt?

Viele Trends passieren heutzutage, grundsätzlich kann man aber sagen, dass die klassischen Cocktails gekommen sind, um zu bleiben, auch aus historischen Gründen. Der Negroni zum Beispiel ist der meistverkaufte Cocktail. Der Cocktail wurde vor mehr als 100 Jahren geboren. Und heute ist er immer noch die Nummer eins. Vintage ist gerade sehr im Trend. Vintage bezieht sich aber nicht auf das Alter des Likörs, sondern beschreibt die Reifung in Eichenfässern, meist für ein oder zwei Jahre. Und man kann sagen, dass der Negroni sehr gut in verschiedenen Eichenfässern reift. Und er kann auch noch in einigen Jahren konsumiert werden, das ist meiner Meinung nach ein großer Trend. Es ist auch wichtig, sich auf lokale Produkte zu konzentrieren und die Campari-Kultur und die Cocktails auf lokale Weise neu zu interpretieren. Das ist der wichtigste Teil des Erlebnisses. Wenn jeder Barkeeper die italienische Flüssigkeit auf der ganzen Welt anders interpretieren würde, könnte das viele verschiedene Konsumwege eröffnen.

Was macht den Aperitiv-Cocktail so populär, vor allem auch außerhalb Italiens?

Es ist wie bei der Mode. Warum tragen Menschen weltweit den italienischen Stil? Italienische Anzüge oder Schuhe? Weil sie erkennen, dass es etwas Innovatives ist und etwas sehr Bequemes, sie fühlen sich in dieser Art und Weise wohl. Und sie nutzen es und zeigen es allen und sprechen mit Freunden darüber. Diese Art von Weitergabe ist das Ergebnis von guter Arbeit. Wenn man diese Strategie bei Cocktails anwendet, dann funktioniert es ähnlich. Man kann sich durch das pure Probieren eines Getränkes vielleicht eine simple Meinung bilden. Aber wenn wir über das gesamte Erlebnis sprechen, dann bleibt es besser in Erinnerung, wenn man das Drumherum auch mitbedenkt. Wir reisen viel um die Welt, um die italienischen Cocktails von Camparino jedem näher zu bringen. Wir bringen die Gastfreundschaft und wir bringen unseren Stil näher. Kleine Details machen große Unterschiede. Und das ist der wichtigste Berührungspunkt, den wir in unserer Strategie verbreiten möchten.

Welche neuen Trends bemerken Sie in Mailand?

Grundsätzlich fällt auf, dass die Barszene in Mailand und auch an anderen Orten der Welt sehr schnell wächst. Sie wächst schnell in Bezug auf Kreativität und neue Bars mit neuen Konzepten entstehen, nicht nur mit neuen Cocktails. Es geht ja nicht nur um das Mixen von Cocktails, es geht um mehr als das. Schließlich suchen die heutigen Barkeeper und die neue Generation nach einem 360-Grad-Erlebnis, was ich sehr gut finde. Und das ist der wichtigste Teil der neuen Trends, der sich auf die Kunden konzentrieren sollte. Es geht insgesamt um die Erfahrung und um die Erklärung, um den Content. Deshalb pflege ich zu sagen, dass die Arten von Cocktails, die wir zubereiten, nicht mehr ausreichen. Sie können einen Cocktail in San Francisco auf Social Media sehen und ihn leicht nachmachen. Aber wenn Sie denselben Cocktail an einem einzigartigen Ort trinken, ist die Erfahrung ganz anders und einmalig.

Was ich auch noch bemerke ist, dass die Menschen weniger Alkohol trinken, sie trinken auch Cocktails mit geringerem Alkoholgehalt. Das ist heute die Realität. Wir sprechen über die Erfahrung, das Produkt, wir sprechen nicht über das Trinken. Vor 20 Jahren war es anderes, die Werbung war überall auf den Alkoholkonsum ausgerichtet. Heute geht es mehr um das Erleben, wir müssen die Erfahrung auf der ganzen Welt spüren. Der große Trend ist im Wesentlichen die Revolution in der Gastfreundschaft. Die klassische historische Bar von Camparino in Mailand befindet sich im Erdgeschoss und ist täglich geöffnet. Die Sala Spiritello, die wir haben, öffnet nur nachts. Dies ist ein guter Ansatz, weil wir dadurch verschiedene Aspekte der Bar zeigen können, die Diversifizierung, die Schaffung von viel Merchandising. Manchmal kaufen unsere Kunden die Tools unserer Bar und probieren Cocktails zu Hause aus. Natürlich sind hier die klassischen Cocktails am besten, sie sind einfach herzustellen.

Und welche Cocktail-Trends entwickeln sich generell?

Wenn wir über klassische Cocktails sprechen, sprechen wir von Cocktails mit nicht mehr als drei Zutaten. Das ist klar, drei Zutaten und nicht mehr. In Bezug auf Erlebnisse haben wir heute Cocktails, die mehr als drei Zutaten haben, manchmal fünf oder sieben. Der Unterschied liegt im Geschmacksprofil. Das Geschmacksprofil von maximal drei Zutaten ist sehr voll. Die anderen Cocktails sind komplexer, sie regen zum Nachdenken an. Die Menschen erinnern sich wahrscheinlich auch am nächsten Tag an bestimmte Geschmacksrichtungen und möchten sie erneut probieren oder mit Freunden teilen. Ich denke, es ist richtig, diese Entwicklung in unseren Alltag zu integrieren.

Wie stehen Sie zum Trend der alkoholfreien Getränke?

Wir von Camparino arbeiten tatsächlich auch an solchen Produkten. Ein »Bitternote«-Produkt ist bereits im Entstehen, ein alkoholfreier Camaro, das Geschmacksprofil ist »Bitternote« und passt perfekt in unser Portfolio an Bittergetränken. Der Launch ist für das nächste Jahr geplant. Aber auch unser ikonischer Campari-Cocktail ist im Grunde ein Aperitif mit nicht so viel Alkoholgehalt, er ist sehr leicht zu trinken, auch tagsüber. Ein Trend ist, dass die Leute diese Cocktails immer mehr tagsüber genießen, als Ersatz für ein Glas Wein zum Beispiel. Ich zum Beispiel liebe Wein, aber manchmal schmeckt er langweilig. Ich liebe spritzige Cocktails und trinke diese anstelle eines Glases Wein während einer Mahlzeit.

Was ist Ihr Lieblingscocktail und warum?

Ganz klar, der Negroni. Ich bin ein Negroni-Fan. In Bezug auf innovative Dinge mag ich wirklich die Variationen, die Campari zu bieten hat. Ein weiterer Favorit ist der Compadre, ein toller innovativer Cocktail. Der Cocktail wird nur in der Flasche zubereitet, ohne besondere Zutaten. Aber wenn man ihn trinkt, ist er sehr überraschend. Der Compadre ist ein gutes Beispiel für ein klassisches und innovatives Rezept für Kreationen mit mehr als drei Zutaten, denn es gibt sechs. Normalerweise erklären wir solche Kreationen auch in den Masterclasses.

Haben Sie Tipps für unsere Leser:innen, wenn Sie Cocktail-Festivals besuchen? Worauf kommt es an?

Was wir tun, wenn wir um die Welt reisen und Festivals besuchen, ist, dass wir hauptsächlich nach neuen Produkten, Spirituosen oder Likören suchen. Die Festivals sind immer ziemlich groß, und die Zeit ist knapp. Also ist die erste Runde am Festival immer, nicht zu trinken, sondern neue Spirituosen nur zu probieren und diese Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. Danach kommen die Cocktails. Die verschiedenen Brands bieten Cocktails ihrer Marke an. Das Verkosten von Signature-Cocktails kann eine gute Idee sein, und wenn Sie Zeit haben, gibt es einige erfahrene Barkeeper, bei denen Sie nach den Details zu ihren Cocktails fragen können. Das sind die drei Dinge, die Sie in Betracht ziehen sollten, wenn Sie auf einem Festival sind.

Manchmal sehe ich, dass auf Festivals immer mehr Barkeeper ihr Können und Talent mehr in den Shows vor Ort zeigen als in den Bars selbst. Also sollte man die Shows bzw. die Guest Shifts auf jeden Fall besuchen. Ich reise auch zum Beispiel sehr gerne nach Asien und nehme dort an Programmen teil, meist drei Wochen lang quer durch Asien. Auf dem Programm stehen immer Masterclass, Fachmesse und Event. In der Masterclass werden oft die Details besprochen, man kann hier sehr viel mitnehmen. Wenn wir unsere Camparino-Cocktails zeigen und mixen, sind die Teilnehmenden in den Masterclasses meistens immer sehr beeindruckt und überrascht, da es für sie eine ganz andere Erfahrung bringt als in einer Bar.


Die Italian Excellence des Head-Bartenders kann man am 24. Oktober live erleben: Denn dann findet eine einzigartige Guest Shift mit Tommaso Cecca persönlich in der Bar Campari in Wien statt, worin er die italienischen Künste nach Österreich bringt.

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Kristina Mitrovic
Kristina Mitrovic
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