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»EI PII EY« – oder die Revolution der Bierszene

India Pale Ale, ein im 18. Jahrhundert in England aufgekommener Bierstil, hat die Bierszene revolutioniert: IPA, englisch »Ei Pii Ey«, hat dem Craftbier den Weg geebnet.

Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Und beim Erfolg, den das India Pale in den letzten fünf Jahrzehnten in der internationalen Bierszene verbuchen konnte, können eine Reihe ganz unterschiedlicher Männer die Vaterschaft für sich beanspruchen. Da wäre einmal der Stanford-Student Fritz Maytag, der Ende der 1960er-Jahre die dazumals ziemlich marode Anchor Brewery in San Francisco gekauft hat, oder der Weinhändler Charles Finkel in Seattle, der Fischerbootkapitän James Watt in Schottland, oder der Pflanzenzüchter Alfred Haunold aus dem niederösterreichischen Hollabrunn.

Vielleicht hätte es ohne den Niederösterreicher die ganze Erfolgsgeschichte der weltweiten Craftbierbewegung gar nicht gegeben. Um das zu verstehen, muss man sich die Bierwelt der 1960er-Jahre in Erinnerung rufen: Damals war in der internationalen Brauwirtschaft alles auf Effizienz getrimmt. Kleine Brauereien gaben reihenweise auf, große Brauereien bemühten sich, immer hellere, immer gefälligere, immer massentauglichere Biere zu brauen. Und das zu niedrigen Kosten. Was nicht nur die Brautechnik, die Logistik und das Marketing betraf, sondern nicht zuletzt die Rohstoffe. Beim Hopfen bedeutete das: Die Bauern sollten in ihren sehr kapital- und arbeitsintensiven Hopfengärten effiziente »Hochalpha«-Sorten anbauen, die bei gleichzeitig unauffälligem, mildem Aroma eine möglichst hohe Konzentration des Bitterstoffs Alphasäure liefern konnten. Das konnten die damals in den USA gängigen Sorten nicht – als »echte Rachenputzer« hat sie der im Vorjahr verstorbene Brauwissenschaftler Ludwig Narziss in Erinnerung. 

Haunold aber war 1953 in die USA ausgewandert, um das zu ändern: Er wurde leitender Mitarbeiter des Hopfenzüchtungsprogramms des USDA, also des Landwirtschaftsministeriums an der Oregon State University in Corvallis,und glaubte fest an eine Kreuzung aus englischem Fuggles und russischem Serebrianka mit der Nummer USDA 56013. Unter dem Namen Cascade wurde die Sorte 1972 registriert. Und obwohl die etablierte Brauwirtschaft davon lange nichts wissen wollte, ist der Cascade-Hopfen zum Liebling der kleinen Brauer geworden. 

Hier kommt der Enthusiasmus von Fritz Maytag ins Spiel: Er hatte seine Anchor Brewery 1975 auf Vordermann gebracht und wollte nun zum 200-Jahre-Jubiläum der amerikanischen Revolution gegen die Briten ein besonderes Bier brauen. »Liberty Ale« sollte es heißen und mit modernem amerikanischen Hopfen gebraut werden. Da kam Haunolds Cascade-Hopfen gerade recht! 

Freiheitsbier für alle

Das Liberty Ale wurde mit extra viel von diesem Hopfen gebraut und mit viel patriotischem Tamtam eingeführt. Es war somit das erste moderne amerikanische India Pale Ale – der Startschuss für das, was man im Rückblick die »American Beer Revolution« nennt. Dabei muss man korrekterweise einräumen, dass es damals noch ein mehr oder weniger historisches India Pale Ale auf dem US-Markt gab: Eine der 110 US-amerikanischen Brauereien, die Prohibition und Marktbereinigung bis ins Jahr 1975 überlebt hatten, braute damals noch ihr eigenes India Pale Ale, das »Ballantine’s IPA«. Aber das war dem Zeitgeist entsprechend immer leichter und milder geworden. Maytag aber wollte es richtig bitter angehen. Und er holte aus dem Cascade-Hopfen Aromakomponenten heraus, die im modernen Lagerbier-Brauprozess verloren gehen: Wenn man ein untergäriges Helles zu Beginn des Kochprozesses sehr sparsam hopft, dann verdampft ein Großteil des Hopfenaromas, und es bleibt eine milde Bittere – im IPA ist aber im Gegenteil eine aggressive Bittere erwünscht. Daher wird ein großer Teil des Hopfens erst spät zum Sud gegeben und oft auch noch während der Nachgärung »kalt gehopft«. Dabei kommen gerade beim -Cascade-Hopfen grapefruitartige Aromen zum Tragen.

Das muss man mögen. Und es ist schon klar: Nicht jeder mag das – speziell nicht jene Leute, die sich jahrelang an helle, sehr wenig bittere Lagerbiere gewöhnt hatten. Hier kommt der nächste unserer eingangs erwähnten Protagonisten ins Spiel: Charles Finkel, ein gelernter Werbegrafiker, der in den 1970er-Jahren Chateau Ste. Michelle zu einer Weltmarke aufgebaut hatte, entdeckte damals auf seinen Europareisen seine Liebe zu klassischen Bierstilen. 

Diese waren damals auch auf dem alten Kontinent unter Druck, weil auch hier die meisten Brauereien auf helle, leicht zu trinkende Lagerbiere mit wenig Bittere gesetzt haben. Aber Finkel setzte sich in den Kopf, gerade solche ausdrucksstarken Biere in die USA zu importieren und über seine nur dem Namen nach auf Wein spezialisierte Getränkehandlung Merchant du Vin hochpreisig zu verkaufen. Seine Mission war, Weintrinker zu Bierexperten zu erziehen – wofür er bald seine eigene Brauerei (Pike Brewing in Seattle) einrichten konnte. 

Mutige Hopfung mit der neuen Sorte Cascade wurde quasi zum Kennzeichen der Craftbierszene: Mehr als 9700 Brauereien gibt es inzwischen in den USA, kaum eine darunter, die kein IPA im Programm hätte. Wobei man ehrlicherweise einräumen muss, dass India Pale Ales, speziell in ihrer amerikanischen Ausprägung, sehr geduldig sind und Braufehler quasi verzeihen. Wo sehr große Hopfenmengen mögliche Geschmacksfehler maskieren können, kann man bald einmal behaupten, ein sehr bitteres IPA sei eben genau so gewollt, wie es nun eben schmeckt. 

Das hat Hundertschaften von technisch bescheiden ausgestatteten Klein- und Kleinstbrauern Mut gemacht, auch hierzulande: Beim India Pale Ale kann man nicht allzu viel falsch machen. Dabei war India Pale Ale einer der Bierstile, die in ihrem Ursprungsland England langsam aus der Mode gekommen waren. Die ursprünglich für den ostindischen Markt – daher der Name – gebrauten Ales waren mit der neuen englischen Mälzungstechnik im 18. Jahrhundert möglich geworden: Hellere Malze ermöglichten Ales, die »pale«, also hell im Vergleich zum dunkelbraunen Porterbier waren. 

starker tobak

Die für die Verschiffung rund um Afrika gebrauten Biere wurden besonders kräftig (also in Bockbierstärke) eingebraut und mit sehr viel Hopfen vor unerwünschten Keimen geschützt, das Bier konnte auf der langen Schiffsreise nachreifen. Aber in den 1970er-Jahren war Indien längst keine britische Kolonie mehr. Und in England bevorzugte man leichtere und leichter gehopfte Biere. Insgesamt also schlechte Karten für englisches IPA, dass in den britischen Pubs damals zur Randsorte ­verkam. 

In Amerika dagegen suchten die Brauer gerade einen Bierstil, der sich im relativ hohen Alkoholgehalt, der kräftigen Aromatik und dem mutig-bitteren Nachtrunk vom gängigen Angebot unterscheiden konnte. Bald begann quasi ein Wettlauf darum, wer sich traute, noch mehr Hopfen in sein IPA zu packen – und eine damals junge Generation von Bierliebhabern wendete sich von den Einheitsbieren der Großbrauereien ab, um immer ausgefallenere IPAs zu suchen. 

Die Hopfenwirtschaft kam dem gerne nach: Aus den amerikanischen, später auch aus den deutschen und französischen Züchtungsprogrammen kamen immer weitere Sorten mit unterschiedlichen Frucht-, Kräuter- und Harzaromen. 

Es dauerte etliche Jahre, bis diese Biere aus den Brewpubs und Taprooms herausfanden und auch über die etablierten Absatzkanäle verfügbar wurden. Speziell für den europäischen Markt hat schließlich der leicht durchgeknallte James Watt Maßstäbe gesetzt: Der Schotte, bis dahin auf dem Fischkutter seines Vaters unterwegs, gründete 2007 die BrewDog-Brauerei und verkaufte sein »Punk-IPA« über Supermärkte, was dem Bierstil neue Konsumentenschichten erschlossen hat: Zwar tun sich die Freunde von Weizen, Pils und Märzenbier immer noch schwer, ein »Ei Pii Ey« zu bestellen – dafür sind Leute dazugekommen, die die bei uns heimischen Bierstile bisher eher gemieden haben. Dies zwar in einer relativ kleinen Nische, aber (zur Freude der Konsumenten) mit breitem Spielraum innerhalb des Stils und (zur Freude der Brauer und Gastronomen) mit guten Verdienstmöglichkeiten.

Conrad Seidl
Autor
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