Illustration © Gina Müller / carolineseidler.com

»Essen: Hauptsache gut – und viel!«: Ist das noch zeitgemäß?

Große Portionen galten lange Zeit als ein beruhigendes Zeichen für Wohlstand und als klarer Wettbewerbsvorteil des Wirtshauses. Der Gast will schließlich satt werden. Mittlerweile befinden wir uns aber auf einer Reise hin zu neuen Maßstäben.

Wir haben Jahre des Wachstums hinter uns – in vielerlei Hinsicht. Auch die Portionen auf unseren Tellern wurden in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich größer, nicht nur in den USA, wo sich das Angebot an kulinarischen XL-Optionen seit den 1970er-Jahren verzehnfacht hat. Auch in Europa sind sowohl die Durchmesser der Speiseteller als auch die Portionsgrößen gewachsen. Selbst in den ­Rezepten in Kochbüchern haben die Mengenangaben pro Portion stetig messbar zu­genommen. Ja, der Effekt zeigt sich anhand kunsthistorischer Auswertungen ­sogar über eine Zeitspanne von tausend Jahren: Während in der Kunst im Vergleich zur Kopfgröße ein Brot heute nur um knapp ein Viertel größer abgebildet wird, haben Teller und Portionen um zwei Drittel zugelegt.

Nun sind große Portionen in der von Nahrungsmittelknappheit geprägten Menschheitsgeschichte ein Zeichen von Wohlstand, ein beruhigendes Signal dafür, dass wir nicht verhungern. Diese Angst ist – wenn auch unbewusst – immer noch omnipräsent. Daher sind wir evolutionär so programmiert, dass wir mehr essen, wenn ausreichend verfügbar ist. In den von Überfluss geprägten Gesellschaften fällt uns das mittlerweile jedoch auch auf den Kopf.

Portionsgrößeneffekt

Viele von uns essen bis der Teller leer geputzt ist – unabhängig von Menge und körpereigenen Sättigungs­signalen. Dabei handelt es sich um den sogenannten Portionsgrößeneffekt, der durch etliche Experimente belegt wurde. Am bekanntesten ist jenes mit speziellen Suppentellern, die von unten heimlich nachgefüllt wurden. Die Studienteilnehmer, die aus diesen Schüsseln löffelten, nahmen im Durchschnitt um ­73 Prozent mehr Suppe auf als jene, die die Suppe in normalen Schüsseln bekamen. Menschen konsumieren weiteren Studien zufolge mehr, wenn sie größere Portionen erhalten oder von größerem Geschirr essen. Selbst Personen, die etwas übriglassen, essen bei größeren Mengen mehr als üblich.

Riesige Portionen sind im Grunde kein Problem, manchmal brauchen wir auch einfach mehr zu essen. Zu große Portionen sind aber ein Thema, wenn sie zur gesellschaftlichen Norm werden, uns so zum Überkonsum verleiten und langfristig dazu beitragen, Gewicht zuzunehmen. So zeigt sich ein deutliches Plus auf der Waage nach bereits sechs Monaten bei einer »L-Lunch-Variante«. Der Mehrkonsum zu Mittag wird nicht über den Tag kompensiert. Umgekehrt wird bei kleineren servierten Portionen und der Option, sich zusätzlich am Buffet frei zu bedienen, in Summe weniger gegessen als bei einer ersten großen Portion. Wenn eine kleine Portion mit einem Nachschlag ausgeglichen wird, fällt also auch die Gesamtkalorienmenge geringer aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die OECD und das »Mc Kinsey Global Institute« bewerten eine Verringerung der Portions- und Packungsgrößen in der Gastronomie, in Kantinen, im Handel und zuhause sogar als jene Maßnahme mit der besten Kosteneffizienz und dem höchsten Einfluss, wenn es darum geht, ­­die Anzahl der Fälle von Übergewicht und ­Adipositas zu senken.

Weniger verschwenden

Die Effekte großer Portionen und Packungen beschränken sich jedoch nicht nur auf das Körpergewicht. Sie sind auch mitverantwortlich für die hohe Menge an eigentlich vermeidbaren Lebensmittelabfällen. Food Waste um die Hälfte zu reduzieren, haben die Vereinten Nationen als ein Ziel auf dem Weg hin zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem definiert. Schließlich handelt es sich dabei um eine nicht unerhebliche Ressourcenverschwendung.

Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, dann wäre sie laut FAO nach den USA und China der drittgrößte Emittent von CO2. Beim Vermeiden von unnötigen Abfällen spielt zwar vor allem das Verhalten zuhause eine große Rolle – immerhin fallen über 60 Prozent der Lebensmittelabfälle im Privathaushalt an. Doch auch außer Haus zeigt sich relevantes Potenzial. So könnten auch in der Gastronomie durch kleinere Portionen Lebensmittelabfälle verringert werden: In einer Analyse der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) gemeinsam mit einem Caterer zeigte sich durch die Reduktion der Standardportionsgröße um 20 bis 25 Prozent, dass sich die Menge der Lebensmittelabfälle im Verhältnis zur ausgegebenen Menge um 60 Prozent verringerte.

Die Textur entscheidet

Um knapp ein Viertel weniger essen und trotzdem satt sein – geht das?  Ja, weil unser Sättigungsgefühl von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängt, die sich gezielt einsetzen lassen. »Je nach Mahlzeitendauer und Komplexität der Speise können wir uns mit etwa 10 bis 20 Prozent weniger Kalorien genauso satt fühlen«, sagt Klaus Dürrschmid von der Boku Wien, und nennt als entscheidende Faktoren eine langsame Essgeschwindigkeit sowie eine Textur, die intensives Kauen erfordert, und eine gewisse sensorische Vielfalt. Wir brauchen etwa zehn bis zwanzig Minuten bis sich Sattheit einstellt.

Haben wir gut zu beißen, kauen wir länger, wir essen automatisch langsamer und das Sattheitsgefühl stellt sich ohne »Overeating« ein. Unterschiedliche Textur-Varianten machen also das Essen nicht nur interessanter, sondern verstärken auch das Sättigungsgefühl. Und dann spricht noch etwas für eine Rekalibrierung, wie Elisabeth Buchinger, selbständige Sensorikerin erläutert: »Ab einer gewissen Menge nimmt der Genuss beim Essen wieder ab. Das heißt, wenn wir die Portionen richtig dimensionieren, sind wir mitten im Genießen«.

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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Marlies Gruber
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