Wer in Äthiopien zum Kaffee eingeladen wird, sollte Zeit mitbringen: Das Ritual dauert leicht mehrere Stunden und umfasst einige Runden.

Wer in Äthiopien zum Kaffee eingeladen wird, sollte Zeit mitbringen: Das Ritual dauert leicht mehrere Stunden und umfasst einige Runden.
© Shutterstock

Kaffee-Genuss: Die vielfältigen Gebräuche rund um die Welt

Doch wie genießt man in Äthiopien seinen Kaffee, warum ist Espresso in Italien so populär und weshalb sind Skandinavier Rekordhalter in Sachen Filterkaffee? Ein koffeingetränkter Überblick der Kaffee-Gewohnheiten auf allen Erdteilen.

Tim Wendelboe ist Bartista-Weltmeister, ausgezeichneter Verkoster und Eigentümer eines Coffeeshops in Oslo. Er könnte jeden Tag einen perfekten Kaffee trinken, die Temperatur des Wassers aufs Grad genau kontrolliert, grammweise gemahlen und mit laufender Stoppuhr aufgebrüht. Doch auf die Falstaff-Frage, welche Kaffeekultur ihm am besten gefalle, antwortete Wendelboe mit »die äthiopische« – und diese könnte nicht weiter entfernt von maschineller Perfektion sein. Für das traditionelle Kaffeetrinken in Äthiopien, dem Heimatland der Kaffeebohne, muss man nicht selten mehrere Stunden ansetzen. Zunächst werden die Bohnen in einer Pfanne über Holzkohle geröstet, was einen betörenden Duft entfaltet. Anschließend stellt die Zubereiterin – aus Traditionsgründen servieren Frauen den Kaffee – eine Tonkanne, die Jebena, in die Glut.

Parallel werden die Bohnen in einem Mörser zu Pulver zerstampft und mit etwas Wasser vermischt in die Jebena gefüllt. Nach einem erneuten Aufkochen gießt die Zubereiterin den Kaffee in kleine, mit Zucker gefüllte Tassen. Die erste von drei Runden beginnt, und wie fantastisch der Kaffee schmeckt, lässt sich schon aus der Ferne erahnen. Auch ohne dabei zu sein versteht man, weshalb selbst einen Profi wie Wendelboe die äthiopische Zeremonie so fasziniert. Kaffeetrinken geht weit über den Konsum hinaus. Es ist ein Ritual, das sich je nach Nation und Kultur unterscheidet, aber fast immer mit Gemeinschaft und sozialem Austausch zu tun hat.

Kulturmagnet Kaffee

In Österreich hat man gerade mit dem kommunikativen Aspekt des Kaffeetrinkens jahrhundertelange Erfahrung. Die Rede ist natürlich von den Wiener Kaffeehäusern, die ein Ort sind, »in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht«, wie es poetisch von der UNESCO hieß, als sie 2011 die Wiener Kaffeehauskultur als immaterielles Kulturerbe anerkannte. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts traf sich in den Kaffeehäusern das Publikum – bis 1856 übrigens ausschließlich Männer – beim »Verlängerten« oder »Einspänner« zu stundenlangen Diskussionen. Großen Anteil daran hatte die einladende Atmosphäre, geprägt von Logen, einer großen Auswahl an Zeitungen und den charakteristischen Marmortischen. Für Schriftsteller und Künstler waren die Kaffeehäuser ein besonders beliebter Anlaufpunkt, Arthur Schnitzler, Gustav Klimt oder Robert Musil waren etwa häufig zu Gast und ließen sich inspirieren.

Weniger bekannt ist, dass auch der Vorläufer einer der beliebtesten Kaffeespezialiäten aus Österreich stammt. Der »Kapuziner«, ein kleiner Mokka mit einem Schuss Obers und einer Obershaube verbreitete sich von Österreich nach Norditalien, bevor er – leicht abgewandelt und mit italianisiertem Namen als »Cappuccino« Karriere machte, doch dazu später mehr. Am Kaffee zeigt sich, was für jedes Genussmittel gilt: Grenzen mögen auf dem Papier existieren, spielen für die Verbreitung aber keine Rolle.

Österreichs Kaffeehäuser – hier das Café Sacher in Wien – prägten die Kaffeekultur weltweit und regten Künstler zu grossen Werken an.
© Hotel Sacher
Österreichs Kaffeehäuser – hier das Café Sacher in Wien – prägten die Kaffeekultur weltweit und regten Künstler zu grossen Werken an.

Schwedische Kaffeepause

Interessanterweise gelangten die Kaffeebohnen ungefähr zur gleichen Zeit nach Schweden wie nach Österreich, nämlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – doch wurde das neue Getränk ganz anders aufgenommen. In der Oberschicht zwar beliebt, wurde Kaffee mit einem königlichen Edikt, dann mit hohen Steuern und schließlich mit einem Verbot belegt. Was umso erstaunlicher ist angesichts der heutigen Popularität von Kaffee in allen skandinavischen Ländern. Keine Nation trinkt mehr Filterkaffee als die Finnen (zwölf Kilogramm pro Jahr), Schweden liegt auf Platz sechs, und dazwischen kommen noch, eng beieinander, Norwegen, Island und Dänemark.

Star-Barista Tim Wendelboe erklärt diese Beliebtheit mit der Dunkelheit und der Kälte, die das Leben für viele Monate im Jahr bestimmen. »Außerdem ist das Wasser häufig sehr gut, es enthält wenig Kalzium und andere Mineralien.« In Schweden kann man jederzeit zur »Fika« eingeladen werden, einer Kaffeepause, zu der meist auch ein Stück Kuchen oder eine duftende Zimtschnecke gehört, die »Kanelbulle«. Im privaten Haushalt zählen Fikas genauso zum Tagesablauf wie im Büro, sie sind essenzieller Bestandteil des persönlichen Wohlbefindens – passend dazu findet man in Kophenhagen, Oslo oder Stockholm einige der besten Cafés der Welt, die (zu gehobenen Preisen) Filterkaffee, Espresso und Co der höchsten Güte ausschenken.

Italienische Effizienz

Womit wir bei dem Land angelangt wären, das wie kein zweites in der Welt für Kaffeegenuss steht: Italien. Die Bars und ihre uniformierten Baristi in Triest, Turin oder Mailand verkörpern Eleganz und Stil, ein Espresso im Stehen am Marmortresen beschwert selbst Touristen einen Hauch italianità. Unromantischer wird es, wenn man weiß, dass der Espresso eigentlich eine Erfindung war, um das bis dato gemütliche Kaffeetrinken zu beschleunigen. Luigi Bezzera erfand 1901 in Italien die erste kommerzielle Espressomaschine, die innerhalb weniger Jahre deutlich verbessert wurde. Damit konnten Kleinmengen zu niedrigen Preisen verkauft werden, die Grundlage für einen Massenmarkt war gelegt.

Noch einen weiteren Vorteil hatte die Espressomaschine für die Betreiber, schreibt Mark Pendergrast in seinem Standardwerk über Kaffee: In der konzentrierten Form überdeckte Espresso Defekte der Bohnen, die günstige Sorte Robusta lieferte sogar die bessere Crema. Die kontinuierlich verbesserte Espressomaschine entwickelte sich immer mehr zum Symbol der schnellen, hektischen Moderne, und spätestens in den 1950ern waren Espresso-Bars auch in New York und London überall en vogue. Den hierzulande so geliebten Cappuccino sehen die Italiener indes weniger als Kaffee denn als kleine Mahlzeit – nach elf Uhr morgens trinkt man traditionell keine Getränke auf Milchbasis mehr, das behindert die Verdauung.

Kein Italienbesuch ohne Espresso – der schnelle Caffè am Marmortresen hat das Bild des Landes geprägt.
© Shutterstock
Kein Italienbesuch ohne Espresso – der schnelle Caffè am Marmortresen hat das Bild des Landes geprägt.

Sirup als Zutat

So puristisch sehen das die US-Amerikaner bekanntlich nicht. Das Mutterland des »To go«-Kaffees steht für die Sitte, alle möglichen (und unmöglichen) Zutaten in den Kaffee hineinzugeben – der große Erfolg von Ketten wie Starbucks geht nicht nur auf die passable Kaffeequalität zurück, sondern auch auf Sirups, Obers und andere Bestandteile. Als Trendlabor hat die USA für die Kaffeekultur dennoch gute Dienste geleistet: Und es kommen auch einige der besten Röstmaschinen der Welt von dort. Und was die Zutaten für einen Kaffee angeht, ziehen bekanntlich andere Länder mit.

Die vietnamesische Spezialität Càphê trúng enthält nicht nur Robustakaffee, Zucker und Kondensmilch, sondern auch Eigelb – was zu einer sämigen, fast drinkartigen Konsistenz führt und mögliche Defekte überspielt – im Grunde ist es ein kleines Frühstück im Glas.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2021

Zum Magazin

Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
Autor
Mehr entdecken
Mehr zum Thema