Die Lage Longuich Maximin Herrenberg des Weinguts Carl Loewen

Die Lage Longuich Maximin Herrenberg des Weinguts Carl Loewen
© Andreas Durst

Süßes, ganz trocken: Ein Streifzug entlang der Mosel

International ist die Mosel vermutlich das berühmteste deutsche Anbaugebiet. Und das ausgerechnet aufgrund derjenigen Weine, die im Inland am wenigsten populär sind – der fruchtigen Prädikate wegen. Denn es ist das finessenreiche Spiel mit der Süße, das den Moselwein weltweit einzigartig macht.

Die Mosel entspringt bekanntlich in den Vogesen, durch deutsches Gebiet fließt sie auf einer Länge von 242 Kilometern in Dutzenden Schleifen und Windungen, an deren Ufern fast überall Reben stehen. Auch an ihren beiden Nebenflüssen Ruwer und Saar werden Weine erzeugt, die weinrechtlich als Moselweine gelten. Es versteht sich von selbst, dass die Bedingungen in all den Flussabschnitten und Unterregionen nicht identisch sein können. Dennoch steht der Weinbau überall im Gebiet auf drei eisernen (oder sollte man vielleicht besser sagen: steinernen) Grundpfeilern.

König Riesling hält das Zepter fest in der Hand. Das Fundament seiner Macht ist auf Schieferfelsen gegründet. Und nirgendwo anders auf unserem Planeten schaffen es Weine mit Restsüße, dermaßen trocken zu schmecken wie an der Mosel und ihren Nebenflüssen. Man kann sich daher mit Fug und Recht fragen, warum die Mosel überhaupt etwas anderes als süße Weine hervorbringt. »In meinem eigenen Keller«, gesteht beispielsweise Wegeler-Geschäftsführer Richard Grosche, ein erklärter Fan trockener Lagenweine, »gibt es wenig, was ich über eine fruchtsüße Spätlese aus dem Bernkasteler Doctor stelle.«

 

Mein Herz schlägt für beide, für die trocknen und für die süßen.

 

Dorothee Zilliken ist Winzerin in Saarburg, 2016 übernahm sie als elfte Generation das bis zum Jahr 1742 zurückverfolgbare Weingut ihrer Familie. Zur Freude der eingefleischten Stammkunden im In- und Ausland änderte die junge Frau zu Hause an der Arbeitsweise des Betriebs und am Stil der Weine so gut wie nichts, trotz Geisenheimer Weinbaustudium und zahlreichen Auslandsaufenthalten. Schaut man auf der Mikroebene hin, dann sind die trockenen Weine seit ihrem Amtsantritt vielleicht ein klein wenig präziser geworden, und es gibt möglicherweise auch mengenmäßig etwas mehr von ihnen. Aber würde sie diese minime Veränderung als eine Richtungsentscheidung ansehen?

»Mein Herz schlägt für beide«, sagt Zilliken, »für die trocknen und für die süßen. Das Aussondern der gesunden Trauben für den trockenen Wein ist eine Freude, aber wenn man dem Weinberg am Ende der Lese eingeschrumpfte Beeren entlocken kann, dann macht das super viel Spaß, wohl wissend, dass einem die Natur nicht jedes Jahr dieses Angebot macht.«

Mit welcher Akribie und welchem stilbewussten Auge Zilliken und ihr Team für die besten Weine Beere für Beere einzeln verlesen, stellt die Goldkapsel Auslese aus dem Jahrgang 2021 unter Beweis. In diesem kühlen und eher schwierigen Jahrgang war das die Krönung der Lese, es gab keine Beeren- oder Trockenbeerenauslese. Aber welch eine Auslese! Eine Botrytis von unfassbarer Delikatesse trifft auf einen mineralisch geprägten, saftigen, nachgerade schwerelos wirkenden Bau.

Maximaler Ausdruck trifft maximale Leichtigkeit

Dabei ist genau dies ein Alleinstellungsmerkmal des Moselweins (und in seinem Ensemble ganz besonders eines der Saar): den maximalen Ausdruck mit maximaler Leichtigkeit zu verknüpfen. Daher trifft die Hochkonjunktur für den Kabinettwein, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, den Markenkern des Moselweins – und die Winzer haben viel bewegt, um diesen federleichten Wein mit seinem prägnanten Säurespiel auch unter den Bedingungen der Erderwärmung weiter erzeugen zu können.

Im höchstgelegenen Weinbauort des Saartals

So betrachten sie ihre Parzellen ganz oben im Steilhang heute mit anderen Augen: Waren solche Weinberge früher oft eher Beiwerk, so kommen jetzt regelmäßig die besten Kabinett-Trauben aus ihnen. Auch weinbaulich haben sie viel überdacht: Die Reben wachsen jetzt mit tieferer Laubwand, damit sie weniger Photosynthese durchführen und nur das gewünschte Maß an Zucker bilden. Auch Lagen in kühlen Seitentälern sind jetzt attraktiv, oder sie wurden sogar neu wiederbestockt, wie der Sorentberg bei Reil an der Mittelmosel oder der Geisberg bei Ockfen an der Saar. Die Domäne Serrig im höchstgelegenen Weinbauort des Saartals wird seit 2016 von Markus Molitor restrukturiert und ist jetzt dabei, gewissermaßen nach einem Château-Prinzip über den Platz Bordeaux auf dem internationalen Weinmarkt positioniert zu werden.

Max von Kunow vom Weingut von Hövel, dem Falstaff im aktuellen Weinguide die »Kollektion des Jahres« zugesprochen hat, arbeitet bereits bei der Bodenbearbeitung an der Frische der Weine: Er bringt spezielle Hefen in den Weinberg aus, die die Humusumwandlung fördern – und so auch das Wasserhaltevermögen der in der Regel kargen und trockenen Schieferböden steigern. All dies zeigt: Der Kabinett ist kein »Einstiegswein« mehr in die Welt der fruchtsüßen Weine, er ist vielmehr ein Archetyp eigenen Rechts.

Aufbauarbeit seit 2016: Markus Molitor formt aus der früheren Staatsdomäne Serrig ein internationales Spitzengut.
Foto bereitgestellt
Aufbauarbeit seit 2016: Markus Molitor formt aus der früheren Staatsdomäne Serrig ein internationales Spitzengut.

Die Kabinett-Mode

Mit allen Konsequenzen: Wurden noch vor 20 Jahren vor allem Auslesen und höhere Prädikate zur Auktion gegeben, so gehören heute auch Kabinettweine zu den festen Größen bei den Versteigerungen von Großem Ring und Bernkasteler Ring. Sie erzielen dort Preise, die man den Winzern gönnen mag, die einem aber dennoch die Tränen in die Augen treiben: Egon Müllers Scharzhofberger Alte-Reben-Kabinett ist kaum noch unter 600 Euro zu haben, die 0,75-Liter-Flasche wohlgemerkt. Die Wehlener Sonnenuhr von J. J. Prüm kostet mit 500 Euro nur unwesentlich weniger, während Willi Schäfers Graacher Domprobst Kabinett bei 200 Euro zugeschlagen wird. Für rund 100 Euro bekommt man den Grünhäuser Abtsberg Versteigerungs-Kabinett der Familie von Schubert oder die Brauneberger Juffer-Sonnenuhr von Fritz (Oliver) Haag.

 

Und klar: Kabi geht immer. [...] Aber wir haben jetzt bei uns auf dem Weingut das Motto ausgegeben: Die Spätlese ist der neue Kabinett!

 

Die Kabinett-Mode, so nachvollziehbar sie ist, hat neben den Preissteigerungen auch noch eine zweite Schattenseite: »Es freut uns sehr, dass der Kabinett so erfolgreich ist«, sagt etwa Katharina Prüm, »und klar: Kabi geht immer. Daneben freuen wir uns auch, dass er nicht mehr so süß gemacht wird wie früher. Aber wir haben jetzt bei uns auf dem Weingut das Motto ausgegeben: Die Spätlese ist der neue Kabinett! Wir wollen uns vermehrt um die Spätlese kümmern, denn sie geht gerade etwas unter in der Wahrnehmung. Dabei ist sie zum Essen am vielseitigsten!«

Vielfalt Mosel

Das Anbaugebiet Mosel birgt alleine schon durch seine geografische Situation eine große Vielfalt mit sich: Die »wärmsten«, balsamischsten Rieslinge wachsen flussabwärts an der Terrassenmosel, die Mittelmosel brilliert mit einem goldenen Schnitt aus Leichtigkeit, Fülle und Würze, die Ruwer bringt Kern und Kräuterigkeit, die Saar den packendsten mineralischen Schliff. Zu all diesen lokalen Unterschieden tritt noch die Vielfalt der Reifegrade und Ausbaustile hinzu: von trocken über fruchtig bis edelsüß.

Im Zeichen der Erderwärmung finden inzwischen auch Burgundersorten eine Heimat an der Mosel. Auf den Kalkböden der Obermosel zwischen Trier und Schengen waren Sorten wie Auxerrois oder Weißburgunder schon lange verbreitet, allerdings wurden und werden sie dort oft nach Riesling-Art feinherb ausgebaut. Inzwischen gibt es aber entlang des ganzen Flussverlaufs auch wirklich trockne Burgunder: Beim Pinot Noir sind die Weine etwa von Markus Molitor, von den Weingütern Lehnert-Veit und Regnery, oder von der Ruwer-Legende Maximin Grünhaus so sattelfest, dass sie sich im deutschen Burgunder-Panorama nahtlos neben den Schiefer-Pinots des Ahrtals oder Assmannshausens einreihen können. Seit Neuestem gestattet es daher der VDP, an der Mosel Große Gewächse vom Spätburgunder zu erzeugen. Auch wenn die Jahrgangstiefe dieser Weine eher zehn als 30 Jahre zurückreicht: Das Format Großer Gewächse haben sie allemal.

Erhalt der Kulturlandschaft

Und auch beim Riesling ist noch viel Musik drin, etwa bei der Versektung, die im 19. Jahrhundert schon einmal eine Blüte erlebte. Jede Verbreiterung der Produktpalette (und jede Stärkung der Wirtschaftskraft) ist natürlich begrüßenswert. Denn man darf nicht vergessen, dass die Moselwinzer mit ihrer Arbeit einen unschätzbar wertvollen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft leisten. Wo Weinberge brachfallen, werden Böden der Erosion ausgesetzt, und auch die Artenvielfalt leidet. »Ich habe 45 Leute da draußen«, sagt etwa Roman Niewodniczanski vom Weingut van Volxem. »Wir produzieren hier an der Saar viermal so teuer wie anderswo. Eigentlich müssten selbst unsere Basisweine 30 Euro kosten.« Angesichts des Gegenwinds aus der Weinbaupolitik, die den Steillagenweinbau mit administrativen Maßnahmen kompliziert, statt ihn zu fördern, zeigt sich der Vollblut-Unternehmer »sehr frustriert«.

Was dem Winzer und seinem Team indes immer wieder Motivation gibt, ist die Qualität der erzielten Weine: »2023 ist an der Saar ein Jahrhundertjahrgang«, begeistert sich Niewodniczanski, »wir hatten null Regen im September, nach starkem Regen im August. Auf den kargen Böden, die gut drainieren, war das super. Wir haben gerade gestern unseren Schieferriesling cuvettiert, unsere preiswerteste Abfüllung, da habe ich den Kellermeister gefragt: Sind das nicht eher Fässer für Ortswein? Darauf sagte er: Was soll ich machen? Das sind die einfachsten Qualitäten, die wir dieses Jahr im Keller haben!«

DIE MOSEL AUF EINEN BLICK

Größe: 8575 Hektar (2022), darin enthalten: Obermosel 1012 ha; Saar 957 ha; Ruwer 222 ha.

Durchnittsertrag im Gebiet (2010–2022): 88 hl/ha

Qualitativ wichtigste Rebsorten:
Riesling (weiß), Spätburgunder (rot).

Verhältnis Weiß zu Rot: 91 Prozent weiße Trauben, 9 Prozent rote Trauben.

Klima: Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt (für die Station Bernkastel-Kues) bei 11,0 Grad Celsius, die Sonne scheint an durchschnittlich 1.570 Stunden pro Jahr, die Niederschläge liegen im langjährigen Mittel bei 690 Millimetern (alle Angaben für den Zeitraum 1991–2020). Für Trier-Zewen (nahe der Mündung der Saar in die Mosel) liegen die analogen Werte bei 10,9 Grad Celsius, 1.644 Stunden, 690 Millimetern.

Relief und Höhe: Prägend für das Gebiet und insbesondere auch für die Spitzenweine sind Steilhänge am Ufer der Flüsse. Flachlagen kommen vereinzelt in den Mäandern der Mosel sowie auf diversen Hochplateaus vor. Aufgrund ihrer besonderen Steilheit sind die Weinberge am unteren Flussabschnitt terrassiert (»Terrassenmosel«). Die tiefstgelegenen Weinberge des Gebiets findet man in der Nähe von Winningen mit 75 Metern über Meer, die höchstgelegenen erreichen an mehreren Orten der Mittelmosel (Erden, Wehlen, Piesport), der Saar (Scharzhofberg, Oberemmel) und des Ruwertals (Grünhaus, Kasel) knapp über 300 Meter. Manche Hänge (so etwa diejenigen, die die Lagen Treppchen und Herrenberg in Erden oder Sonnenuhr und Rosenberg in Wehlen bilden) überwinden eine Höhendifferenz von 200 Metern.

Geologie: Fast überall an Mosel, Saar und Ruwer dominiert blauer oder grauer, gelegentlich auch von Eisenmineralen imprägnierter roter Schiefer aus dem Erdzeitalter des Devon, die Böden unterscheiden sich vor allem im Verwitterungsgrad des Gesteins sowie im Anteil an Feinerde. Stellenweise sind durch den Schiefer durchgebrochene vulkanische Gesteine in denselben integriert (Ürzig, Erden, Saarburg).

Komplett anders und eigenständig ist der Bereich der Obermosel (von Trier flussaufwärts, die luxemburgische Landesgrenze entlang bis nach Schengen), der auf den Gesteinen des Trias liegt, vor allem auf Muschelkalk – und also aus geologischer Sicht mehr Ähnlichkeit mit Franken aufweist als mit Bernkastel oder Saarburg.


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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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