»Geschmack kann man lernen«, sagt Toni Mörwald und plädiert dafür, sich so viel wie möglich mit seinem Essen auseinanderzusetzen.

»Geschmack kann man lernen«, sagt Toni Mörwald und plädiert dafür, sich so viel wie möglich mit seinem Essen auseinanderzusetzen.
© Stefan Gergely

Toni Mörwald: »Geschmack ist eine Wissenschaft«

Ob ein Gericht schmeckt oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Diese Faktoren zu erkennen und zu erforschen, ist laut
Toni Mörwald für das Genusserlebnis unabdingbar. Ein Gespräch über frühkindliche Geschmacksprägungen, Effekthascherei auf dem Teller und Zufälle, die keine sind.

Falstaff: Wer versteht mehr von Geschmack als ein Spitzenkoch! Daher die Frage: Was ist eigentlich Geschmack?

Toni Mörwald: Im engeren Sinne verstehen wir darunter das, was wir über die Geschmacksknospen auf unserer Zunge wahrnehmen. Was uns schmeckt und was nicht, hängt aber noch von vielen weiteren Faktoren ab. Geschmack begreift man mit den Sinnen. Dadurch bist du automatisch auf der Gefühlsebene. Auch die Temperatur, der Duft und die Beschaffenheit eines Gerichts sind geschmacksentscheidend. Das alles in Harmonie zu bringen, gleicht einer Wissenschaft.

Falstaff: Ein geschmackvolles Gericht passiert also nicht zufällig?

Mörwald: Um Geschmack individuell ausdrücken zu können, muss man sich vorher ein entsprechendes Repertoire aneignen. Die große Kunst des Kochens liegt darin, die fünf  Grundgeschmacksrichtungen – süß, sauer, salzig, bitter und umami – miteinander zu vereinen. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Jede dieser fünf groben Einteilungen geht in Nuancen auseinander. Die Kombinationsmöglichkeiten sind schier endlos. Und sie gilt es zu erkunden. Wenn zu mir beispielsweise jemand sagt, ein Gericht muss mit Wein abgelöscht werden, achte ich darauf, welchen Wein ich nehme. Allein aufgrund der Säure macht es einen Unterschied, ob ich zu einem Grünen Veltliner oder Chardonnay, zu Burgunder oder Cabernet greife. Durch Zufall passiert da überhaupt nichts.

Falstaff: Wie kann man diese geschmackliche Differenziertheit am leichtesten erlernen?

Mörwald: Man muss sich bewusst mit Geschmack auseinandersetzen, am besten täglich. Meine Devise lautet: »Machen Sie Ihr Essen zum Thema.« Aber thematisieren Sie, ohne zu polarisieren. Essen muss positiv besetzt sein, mit Freude und Fun-Charakter. Kein Lebensmittel auf der Welt verdient es, verdammt zu werden – außer der Verzehr hätte lebensbedrohliche Folgen. Oder Sie können etwas grundsätzlich nicht ausstehen, nicht einmal riechen. Dann weg damit! Essen muss immer ein Genuss sein, aber natürlich in der richtigen Dosierung. Und dann heißt es: ausprobieren und lernen. Es gibt viele Geschmackskombinationen, die gut funktionieren. Erdäpfel mit Muskat zum Beispiel. Andere Kombinationen basieren wiederum auf Forschung und Innovation. Auch ich wüsste vieles nicht, wenn ich es nicht irgendwann einfach ausprobiert hätte.

»Beide Seiten lernen ständig dazu.« Nicht nur die Küchenchefs, auch die Gäste sind in Sachen Geschmacksbildung heute wesentlich weiter als noch vor einigen Jahren, sagt Toni Mörwald.
© Ian Ehm
»Beide Seiten lernen ständig dazu.« Nicht nur die Küchenchefs, auch die Gäste sind in Sachen Geschmacksbildung heute wesentlich weiter als noch vor einigen Jahren, sagt Toni Mörwald.

Falstaff: Dieses Wissen bringt Ihnen bei Gästen vermutlich auch einen gewissen Vertrauensvorschuss …

Mörwald: Das stimmt. Es gibt Gäste, die sich darauf verlassen, dass in unseren Betrieben eine entsprechende Kompetenz und Qualität vorhanden sind. Die beispielsweise einen Grünen Veltliner bestellen, ohne weiter nachzufragen. Umgekehrt merkt man aber auch ganz deutlich, dass auch der Gast von heute über einen weitaus individuelleren Geschmack verfügt als noch vor ein paar Jahren. Schauen Sie sich nur aktuelle Speise-, Wein- oder Getränkekarten an: Das Angebotsspektrum ist enorm. Zu jedem Produkt gibt es mehrere Auswahlmöglichkeiten.

Falstaff: Zu viel Auswahl ist aber nicht immer gut – kann man beim Kreieren neuer Geschmackskombinationen auch einmal über das Ziel hinausschießen?
Mörwald: Ich denke, dass in der Vergangenheit viele Kombinationen aus der Not heraus entstanden sind. Heute ist es nicht die Not, sondern vielfach eine avantgardistische Herangehensweise. Die muss es auch geben, um die Wissenschaft voranzutreiben. Aber bei allem Respekt gegenüber Avantgarde und Individualität: Ein Gericht zu kreieren, nur um damit Aufmerksamkeit zu erzielen, ist nicht das Wahre. Am Ende des Tages zählt immer, ob die Teller und Gläser leer sind.

Falstaff: Wohin wird sich das Thema Geschmack entwickeln?
Mörwald: Geschmack verändert sich permanent und individuell. Je mehr Wissen wir über Geschmack haben, desto mehr profitiert nicht nur die Hospitationsbranche, die dadurch im Gast neue Begehrlichkeiten wecken kann. Jede und jeder von uns kann für sich persönlich etwas mitnehmen. Dazu braucht es aber eine gewisse Offenheit gegenüber Essen und Trinken, man muss dranbleiben und immer wieder kosten. Wir alle müssen einen vernünftigen Umgang mit unserer Nahrung leben und unseren Kindern von Geburt an mitgeben. Ein Großteil dessen, was uns schmeckt oder nicht, wird früh festgelegt. Gestörtes Essverhalten, das in der Kindheit geprägt wird – ob gedankenlose Völlerei oder überängstlicher Umgang mit Fetten, Zucker, Kohlenhydraten oder dergleichen –, ist später nur sehr schwer wieder abzulegen.

Falstaff: Inwieweit könnte man hier „wissenschaftlich“ nachhelfen, sprich Esskultur und ihre Werte im Rahmen einer schulischen oder eben universitären Ausbildung vermitteln und erforschen?
Mörwald: Meiner Meinung nach braucht es dazu auf jeden Fall eine Universität der gastronomischen Wissenschaften. Diese hätte gleichzeitig den Vorteil, dass sie den gesamten Berufsstand auf eine höhere Ebene heben würde. Die österreichische Titelverliebtheit ist ja einzigartig. Mit einem entsprechenden Abschluss, einem Titel, so bin ich überzeugt, würden unsere Branche und die Leistungen, die wir für die Gesellschaft erbringen, eine ganz neue Wertigkeit erfahren.


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