Der Trend zu alkoholfreier Speisenbegleitung ist in der Spitzengastronomie deutlich auf dem Vormarsch.

Der Trend zu alkoholfreier Speisenbegleitung ist in der Spitzengastronomie deutlich auf dem Vormarsch.
© StockFood | Monika Pazdej

Alkoholfreie Speisenbegleiter im Vormarsch

Es muss nicht immer Wein sein: Mit Frucht- und Gemüsesäften, Tee, Fermentierten und Eigenkreationen von 
Sommeliers eröffnet sich ein buntes Feld.

Fragt man Alexander Koblinger, ob Säfte und andere alkoholfreie Getränke in der Spitzengastronomie boomen, fällt seine Antwort eindeutig aus: «Absolut! Ich würde fast sagen, wer den Trend noch nicht mitgekriegt hat, hat geschlafen.» Alexander Koblinger muss es wissen. Als Master Sommelier und Wein-Qualitätsmanager von Döllerers Weinhandelshaus und dem «Geniesserrestaurant» im Salzburger Golling hat er alle Entwicklungen in der gehobenen Gastronomie genau im Blick.
Alkoholfreie Getränke, und zwar gleich eine ganze bunte Palette, spielen da seit einiger Zeit eine stetig wachsende Rolle: «Seien das jetzt selbst gemachte Sirupe oder Säfte, reinsortige oder gemischte Frucht- und Gemüsesäfte, Tees, Kräuteressenzen und Auszüge, Trinkessige, Extrakte, Bio-Limonaden und alkoholfreie Biere, Molke oder auch Buttermilch, jeweils mit oder ohne Kohlensäure», zählt Alexander Koblinger auf und fügt hinzu: «Man kann sich da richtig austoben.» Und dann stellt der Master Sommelier, den seine Kollegen gern als «wandelndes Weinlexikon» bezeichnen, eine Frage, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit aus dem Mund eines Sommeliers geradezu blasphemisch geklungen hätte: «Wo steht geschrieben, dass flüssiger Genuss immer mit Alkohol verbunden sein muss? Alkoholfreies gehört auch zum Genusserlebnis. Ausserdem macht es den Sommelier-Beruf aufregender.»
Und so kommt es, dass Alexander Koblinger all jenen Restaurantgästen, die auf Alkohol verzichten wollen, zum Beispiel zu Andreas Döllerers Signature Dish «Alpine Jakobsmuschel» – Ochsenmark mit Dashi-Saft, fermentiertem Knoblauch, geflämmtem Spitzkraut und Eigelbcreme – den prickelnden alkoholfreien PriSecco Weissduftig von Jörg Geiger auf der Basis von unvergorenen Obstsäften, Holunderblüte und Kräutern wie Zitronenverbene oder Eberraute serviert.

Alkoholfreie Getränke spielen in der gehobenen Gastronomie eine stetig wachsende Rolle, 
seien es Sirup, Frucht- und Gemüsesäfte oder Tees.
© StockFood | Peter Schulte
Alkoholfreie Getränke spielen in der gehobenen Gastronomie eine stetig wachsende Rolle, 
seien es Sirup, Frucht- und Gemüsesäfte oder Tees.

«PriSeccos» und «Edelsaure»

Jörg Geigers Palette an PriSeccos, die 
in seiner Manufaktur im Baden-Württembergischen entstehen und nicht minder ge-schmacksfacettenreich sind als feine Schaum-weine oder Weine, kommen so gut wie immer zur Sprache, wenn man sich in 
Sommelier-Kreisen nach Empfehlungen für exzellente alkoholfreie Getränke erkundigt. Andere hochgeschätzte Produkte sind 
Thomas Kohls reinsortige Bergapfelsäfte vom Südtiroler Ritten, Erwin Gegenbauers «Edelsaure» Trinkessige, Frucht-Seccos 
und Direktsäfte von van Nahmen oder das breite Repertoire des Obsthofs Retter aus der Steiermark, das von Frucht- und Beerensäften über Verjus bis zu Birkensaft und Wurzelelixieren reicht. Sogar die Airline Swiss bietet einen Retter-Saft aus wilden Quitten den Passagieren der First-Class 
als Weinalternative an.
Es versteht sich von selbst, dass Sommeliers und Spitzenköche die meisten dieser Getränke nicht pur, sondern als Basis für alkoholfreie Eigenkreationen einsetzen. «Die Krux bei Säften ist immer die Süsse», sagt Ursula Heinzelmann, Gastro- und Weinautorin, Mitbegründerin der Cheese Berlin und Direktorin des Oxford Symposium on Food and Cookery, «daher kann es nicht ausschliesslich bei reinen Fruchtsäften bleiben.» Zu sättigend (und gelegentlich auch abführend) wären diese ebenfalls. Daher braucht es Ergänzungen, Erweiterungen, Kombinationen, neue Einfälle.

Die Nachfrage nimmt zu

«Selbsterzeugtes aus erstklassigen Grundprodukten», nennt es «Heimlichwirt» Peter H. Müller. Der kochende Sommelier, der vor allem für seine «Gutsbesetzungen», sprich für seine kulinarischen Bespielungen der Locations von befreundeten Winzern bekannt ist, beschäftigt sich schon seit fast einem Jahrzehnt mit alkoholfreien Speisenbegleitungen. Zwei von Müllers Klassikern aus den letzten Jahren: Zweigeltsaft mit Lapsang Souchong – geräuchertem Schwarztee –, verfeinert mit Zweigeltessig, Meersalz und schwarzem Pfeffer, zu Alain Weissgerbers Taube mit Brennnesselspinat sowie Moosbeerensaft, verfeinert mit Zimtblüte, Nana-Minze und Scheurebensaft, zu Nils Henkels Gewürzente mit Entenleber.
Was Müller an alkoholfreier Speisenbegleitung so spannend findet? «Sie bietet schlichtweg eine andersartige Wechselwirkung mit der jeweiligen Speise», sagt er. Dazu habe er festgestellt, dass im Gegensatz zum gesetzten Thema Wein in der gehobenen Gastronomie viele Gäste «bei alkoholfreien Speisenbegleitungen oft neugieriger sind und Gabel und Glas abwechselnd zum Mund führen.» Man spüre förmlich, so Müller, «dass die unvergorene Begleitung die Sinne der Gäste schärft».
Nachfrage und Interesse, so beobachtet «Heimlichwirt» Müller, nehmen zu: «Wenn man sich Gedanken macht und das Ergebnis überzeugend präsentiert, ist die Resonanz grossartig. Viele Gäste bitten bei einem Menü mit acht Gängen zum Beispiel um vier Gläser Wein und vier alkoholfreie Getränke im Wechsel.»

Alkoholfreie Speisenbegleiter bieten schlicht eine andersartige Wechselwirkung mit der jeweiligen Speise. Und sie erwecken die Neugier der Gäste.
© StockFood | Katrin Benry
Alkoholfreie Speisenbegleiter bieten schlicht eine andersartige Wechselwirkung mit der jeweiligen Speise. Und sie erwecken die Neugier der Gäste.

Gesundheitstrend im Glas

«Wir sind alle in den letzten Jahren ein bisschen experimentierfreudiger und innovativer geworden», stellt auch Sindy Kretschmar, Sommelière des Hotelrestaurants im «The Ritz-Carlton, Vienna» und Falstaff-Sommelière 2018, fest. In den USA, Grossbritannien oder Asien, so Kretschmar, werde insgesamt weniger Alkohol getrunken als bei uns und schon länger mit besonderen Säften, fermentierten Tees oder Essig zum Trinken experimentiert. «Da diese Gäste auch immer mehr unsere Gäste in Österreich, Deutschland und der Schweiz werden, ist es eine logische Konsequenz, dass wir uns zunehmend damit beschäftigen», glaubt sie. Der Trend zu gesundheitsbewusster Naturküche, «zu Klarheit und Purismus auf dem Teller» verstärkt die Entwicklung ebenso wie strenge Promillegrenzen oder gesundheitliche Überlegungen. Nicht zu vergessen: In so gut wie jeder Runde, bei der es sich nicht um Hotelgäste handelt, gibt es mindestens eine Person, die nach dem Restaurant-Abend noch ein Auto lenkt und deshalb auf Alkohol verzichtet.
Früher wurden die Nicht-Alkoholtrinker im Gegensatz zu den Weintrinkern weitgehend ignoriert – auch und gerade in der Spitzengastronomie. Inzwischen hat man vielerorts verstanden, dass das auch anders geht: «Bevor ich diese Gäste mit einem Mineralwasser schier negiere oder ihnen eine stark überzuckerte Limonade wohlbekannter Grosskonzerne vorsetze, kann ich sie ebenso auf eine spannende alkoholfreie Reise im Glas mitnehmen – und zudem aus Unternehmersicht auch noch neuen Umsatz generieren», sagt Peter H. Müller.
Denn darum geht es beim Trend zu alkoholfreien Getränken natürlich auch: Sie eröffnen eine neue Geschmackswelt und stellen zugleich eine zusätzliche Einnahmequelle dar. «Es passiert viel Umsatz 
über die Getränke. Wenn man da keine Alternative zu Alkohol bietet, ist man eigentlich selber schuld», sagt die Wahl-Schweizerin Jennifer Kiessling, die sich derzeit mit ihrem Unternehmen _pairing_is_caring_ als freie Gastro-Beraterin und Entwicklerin von massgeschneiderten Getränkebegleitungen mit und ohne Alkohol einen hervorragenden Namen in der gehobenen Gastronomie macht. Sie zeigt eindrucksvoll, wie sehr man auch die Gäste, die auf Alkohol verzichten, ins Zen-trum des Geschehens rücken kann, wenn man nur will. Sie hat besonders intensiv mit der jungen Bündner Naturköchin Rebecca Clopath zusammengearbeitet, die inzwischen als eine der 
innovativsten und besten Köchinnen der Schweiz gilt. Zu Clopaths konfierter Forelle mit Lärchensamensenf und Rucola ent-wickelte Jennifer Kiessling etwa einen 
fermentierten Kartoffel-Fenchelsaft mit Zichorie.
«Für ein bisschen Abwechslung am Tisch» hat Jennifer Kiessling bei 
Clopaths Menü-Abenden auch in puncto 
Präsentation gesorgt: Sie hat dort nicht nur ihren Auszug aus Wildem Hopfen als Getränk serviert, sondern «die Gläser direkt am Tisch zusätzlich mit einem Wilder-
Hopfen-Hydrolat parfümiert». Das, so 
Jennifer Kiessling, habe «stets zu grossen Augen bei den Gästen geführt». Das Fazit der innovativen Gastrounternehmerin, 
die auch Spezial-Workshops für Fachleute und Laien anbietet: «Ich glaube und hoffe, dass die alkoholfreie Speisenbegleitung 
von der Spitzengastronomie in die breite Gastronomie diffundieren wird.»
Schöne, neue Getränke-Welt!


Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2019

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Julia Kospach
Julia Kospach
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