Johannes F. Kretschmann schrieb gemeinsam mit Johannes Berreth das Kochbuch »Neigschmeggd«.

Johannes F. Kretschmann schrieb gemeinsam mit Johannes Berreth das Kochbuch »Neigschmeggd«.
© Peter Schilling

Schwäbisch und vegan – passt das zusammen?

2021 wollte Johannes Kretschmann noch in den Bundestag einziehen. Nun hat der Sohn des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten ein Kochbuch geschrieben. In »Neigschmeggd« interpretiert er gemeinsam mit Johannes Berreth bekannte schwäbische Traditionsgerichte vegan.

Falstaff: Herr Berreth, Herr Kretschmann, in Ihrem Kochbuch haben Sie ein Rezept für vegane Herrgottsbescheißerle. Sie wissen sicher, warum man Maultaschen so nennt oder?

Berreth: Um das Fleisch zu verstecken. Weil die Mönche früher freitags kein Fleisch essen durften, haben sie versucht es im Teigmantel an Gottes Blick vorbeizuschmuggeln.

Bescheißt man den Herrgott heute, wenn man die traditionellen schwäbischen Gerichte ohne Fleisch zubereitet?

Berreth: Nein, vegane Gerichte gab es schon immer. Wir interpretieren die schwäbische Küche mit unserem Kochbuch vegan. Aber wir finden es auch gut, dass beide Formen existieren: die klassische und die pflanzliche Variante. Wir nehmen dem Fleischesser den Sauerbraten nicht weg, sondern bieten nur eine Alternative an. Für alle, die vielleicht hier und da auf Fleisch verzichten wollen.

Kretschmann: Als Sprachwissenschaftler und Dialektologe kann ich anfügen: Mit den veganen Herrgottsbescheißerle bescheißt man das Bescheißerle. Das sind also Herrgottsbescheißerle-Bescheißerle. Der Betrug bleibt erhalten.

Das schwäbische Essen ist was Leckeres. Aber als ich mich dazu entschieden habe, vegan zu leben, ist diese ganze Welt für mich weggebrochen.

Maultaschen mit Zwiebelschmelze
© Foto bereitgestellt
Maultaschen mit Zwiebelschmelze

Ihre veganen Gerichte trauen sich nicht weit weg von den Originalen. Wo herkömmlich Fleisch verwendet wird, benutzen Sie Fleischalternativen wie veganes Sojahack. Wie kam es zu der Entscheidung?

Berreth: Wir wollten das klassisch schwäbische in vegan anbieten. Uns ging es nicht darum, etwas abgefahrenes Neues zu erschaffen. Wir haben uns die ursprünglichen Rezepte angeschaut und uns ausgehend davon überlegt, wie man sie ohne Fleisch umsetzen kann. Wie kann man die vegan nachbauen? Das gab es davor noch nicht. Uns geht es dabei vor allem um den Geschmack. Wenn unsere Alternative am Ende so gut schmeckt wie das Original, wozu braucht es das Original dann noch?

An wen richtet sich das Kochbuch?

Berreth: Wir sprechen eine junge Zielgruppe an. Das liegt auch an unserem TikTok-Kanal, in dem wir Videos zu den Rezepten posten. Aber wenn man sich bei uns durch die Kommentare wischt, sieht man, dass sich alle Altersklassen angesprochen fühlen. Mit dem Kochbuch richten wir uns nicht nur an Veganer. Sondern an alle, die mal etwas ausprobieren möchten.

Man hätte sich auch überlegen können, neue, vegane Gerichte zu kreieren, die aus der schwäbischen Geschmackswelt stammen. Sie haben sich dazu entschieden, die Tradition zu pflegen. Warum lohnt sich das?

Berreth: Das schwäbische Essen ist was Leckeres. Aber als ich mich dazu entschieden habe, vegan zu leben, ist diese ganze Welt für mich weggebrochen. Ich sehne mich selbst nicht nach veganen Rezepten. Die gibt es ja. Ich wollte die Gerichte meiner Kindheit haben. Aber vegan. Gerade weil immer mehr Menschen sich vegan ernähren, finde ich es wichtig, diese Tradition in eine neue Zeit zu retten.

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Was würde verlorengehen, wenn es diese Gerichte nicht mehr gäbe?

Berreth: Da würde ein Teil unserer schwäbischen Identität wegbrechen.

Kretschmann: Ich war in dem Buch für das Alkoholische zuständig. Und obzwar es Trends gibt, die hin zum Asketischen gehen, ist Alkohol noch nicht so austauschbedürftig wie Fleisch. Das sage ich als Omnivore. Aber was ich an unseren veganen Gerichten so toll finde, ist die Tüftelei, dass es überhaupt gelungen ist, die schwäbische Geschmackswelt ins Vegane zu retten. Das ist große Ingenieurskunst. Da geht es auch nicht drum, ob veganer Wurstsalat den herkömmlichen Wurstsalat ersetzen wird.

Das Buch soll neugierig machen, etwas Neues auszuprobieren.

Verstehen Sie Menschen, die finden, dass ein veganes Steak dem Genuss im Weg steht, weil es eine Einschränkung ist und Genuss eigentlich mit Freiheit einhergeht?

Berreth: Es ist keine Einschränkung, wenn es genau gleich schmeckt.

Eine Alternative ist keine Einschränkung?

Berreth: Wenn ich denke, ich muss auf etwas verzichten, dann ist es eine Einschränkung. Aber das heben wir ja gerade aus mit unserem Buch. Weil wir die Möglichkeit bieten das Vertraute zu essen – nur ohne Fleisch.

Muss das sein, dass die vegane Küche die fleisch- oder fischbasierte Küche kopiert?

Berreth: Die meisten veganen Kochbücher versuchen das gar nicht. Im Gegenteil. Uns ist aufgefallen, dass die meisten veganen Gerichte sich nicht an der klassischen Küche orientieren. Deshalb haben wir uns dazu entschieden dieses Buch zu schreiben.

Kretschmann: Das Buch soll neugierig machen, etwas Neues auszuprobieren, es ist kein Lehrbuch, sondern ein Beitrag zu einer Debatte darüber, wie man Tradition zukunftsfähig gestalten kann.

Veganer Fleischsalat
© Foto bereitgestellt
Veganer Fleischsalat

Was sagen die schwäbischen Gerichte denn über den Charakter des Schwaben aus?

Kretschmann: Nehmen wir zum Beispiel saure Kutteln. Schon im Mittelalter galt das als arme Leute Essen. Das ist durchaus ein Gericht für Sparer. Bei vielen Gerichten geht es nicht darum, die teuersten Zutaten zu verwenden. Der Schwabe macht aus Mist Gold.

Also ist was dran am Sparerklischee des Schwaben?

Berreth: Also an Öl sparen wir nicht.

Kretschmann: Bei Getränken kann man das bestätigen. Most ist das Bier des armen Mannes. Früher gab es Most daheim und Bier nur in der Wirtschaft. Das ist halt billiger. Man kann es ganz einfach zuhause machen, braucht nur Äpfel und Birnen, die sammelt man irgendwo und zahlt nur fürs Pressen der Früchte. Und der Trollinger, der schwäbische Wein, hat darunter gelitten, dass sehr sehr billige Weine damit gekeltert werden. Schwäbisch. Aber dafür kann die gute Traube ja nichts.

Wenn man schwäbisch spricht und kocht, dann erhält man Vielfalt.

Dabei liegt dem Genuss doch etwas Überschwängliches inne.

Kretschmann: Aber das gibt die schwäbische Küche doch wieder her. Zwiebelrostbraten wird aus sehr hochwertigem Fleisch zubereitet, das auch teuer sein kann. Und bei Getränken: Ein guter Kessler Sekt geht auch schon in Richtung Champagner.

Herr Kretschmann, Sie bezeichnen sich selbst als Sprachaktivist. Muss das schwäbische Essen rein, damit die schwäbische Sprache rauskommt?

Kretschmann: Der Erhalt eines Dialekts tut sich leichter, wenn er kulturell an andere Dinge andockt. Wenn es also eine schwäbische Esskultur gibt, wird das Schwabentum dadurch runder, facettenreicher. Wenn man schwäbisch spricht und kocht, dann erhält man Vielfalt. Als Schwabe bin ich Träger einer bedrohten Vielfalt. Aber man schwätzt nicht automatisch schwäbisch, sobald man schwäbisch kocht. 

Das ist beruhigend. Sie engagieren sich genau wie Ihr Vater, der Baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, politisch für die Grünen. Wie politisch sollte Essen sein?

Kretschmann: Ich bin froh, wenn Essen nicht politisch aufgeladen wird. Wenn das geschieht, bereitet es mir Sorge. Deshalb bin ich auch froh, dass unser Buch undogmatisch ist. Da schwingt keine asketische Weltanschauung mit.

Ihr Buch ist auch deshalb interessant, weil es einerseits konservativ ist in dem Bestreben die Tradition zu bewahren, andererseits aber progressiv, weil es das Herkömmliche neu denkt.

Kretschmann: Wenn das Buch politisch geworden wäre, hätte ich nicht mitgemacht.


INFO

Johannes F. Kretschmann wurde 1978 in Ostfildern-Ruit geboren und studierte Religionswissenschaften, Rumänistik und Linguistik in Berlin. 2021 wollte der Sohn des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten in den Bundestag einziehen und forderte erfolglos einen einflussreichen CDU-Politiker heraus. Er verfasst Gedichte in schwäbischer Mundart und war für das Buch »Neigschmeggd: schwäbisch vegan« als Autor für die Sonderseiten aktiv.

Johannes Berreth ist Kommunikationswissenschaftler und Journalist sowie gebürtiger Schwabe. Er wurde mit 18 Jahren Veganer und wollte trotzdem nicht auf seine geliebte Heimatküche verzichten.

Das Buch »Neigschmeggd: schwäbisch vegan« ist im GU Verlag erschienen, bietet vegane schwäbische Rezepte und kostet als gebundene Ausgabe 19,99 Euro.

Moritz Hackl
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