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Hidden Gem: Warum irischer Käse zu unrecht so unbekannt ist

Irischer Käse? So gut wie unbekannt. Das können wir ändern. Und tun das auch.

England als Käsenation? Das ist ein Fakt, der vielen Käsegenießern aus anderen Ländern gar nicht bekannt ist. Das auch, weil britischer Käse zum größten Teil von den Briten selbst im eigenen Land gegessen wird, was zur Folge hat, dass es im United Kingdom nach dem Brexit nie zu einer Käseknappheit kam – würde Österreich die EU verlassen, so wäre die Milchwirtschaft zurzeit nicht imstande, das Land ausreichend mit guten und vielfältigen Käsen zu versorgen. Die Engländer importierten einst die Käsekultur aus jenen französischen Gebieten, die sie im Mittelalter besetzt hielten. Aber die Briten als absolute Kulturverfeinerer machten daraus eine sehr eigenständige, ja fast singuläre britische Käsekultur, die sich auf die Konsumenten im Land verlassen kann.

Im Gegensatz zu Österreich oder ­­Deutschland etwa begreifen sich die Engländer und ­geringer auch die Waliser eindeutig als ­Käsenation. Und der nationale Käse trägt auf der Insel, wo Kulinarik außerhalb ­Londons jahrhundertelang nie groß ein Thema war, zu einem neuen kulinarischen Stolz bei – in etwa so, wie die Österreicher heute stolz auf ihre Weine und ihre Weinkultur sind,  auch das eine eigentlich junge kulinargeschichtliche Entwicklung.

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Von der Geschichte geprägt

Was hat das alles mit Irland zu tun? Nun: zwei Punkte. Erstens ist die irische Käsekultur stark und mächtig von der britisch-imperialen Käsekultur geprägt. Die katholischen Iren wurden von der rassistisch auftretenden Londoner Kolonialmacht kulturell und ­wirtschaftlich bis Ende der 1920er-Jahre unterjocht. Irischer Käse hatte englischer Käse zu sein – vor allem Cheddar. Und zweitens wurde die irische Bevölkerung sowohl von den Briten als auch von der in Irland stark reaktionären katholischen Kirche wirtschaftlich und kulturell (Kulinarik ist Kultur) arm gehalten – Freude an Essen und Trinken sollte den Iren lange nicht beschert sein, das Glas Dunkelbier, das den Weltkonzern Guinness berühmt machte, war da eine der wenigen Ausnahmen. Das ist vorbei, seitdem Irland vor rund dreißig Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung hinlegte (und in der Eurokrise 2011 bis 2013 fast wieder abstürzte) und dieser wirtschaftliche Aufschwung auch zu einem neuen, eigentlich dem ersten nationalen irischen Kulinarikbewusstsein führte.

Ideales Käseland

Das Land und sein Klima sind ideal für Milchwirtschaft, wie der zweite irische Weltkonzern, Kerrygold, seit den 1980ern unter Beweis stellt. Und Milchwirtschaftsländer sind automatisch gute Käseländer. Leider muss man sagen, dass die irische Käseindustrie heute noch vor allem Industriekäse herstellt. »But wait …«, denn auch das ist nicht mehr die allgegenwärtige Gegenwart. Denn wie in England entstehen auch in Irland zunehmend eigene kleine Käsereien, die dem industriell Traditionellen mit Handarbeit und Vielfalt begegnen. Warum gibt es bei uns so wenige dieser neuen (und auch alten) irischen Käse zu kaufen? Weil sie die Iren selber essen. Und das nicht im Land selbst, sondern dort, wo die meisten Iren und Irischstämmigen heute leben: in den USA, wohin Millionen Iren Mitte des vorletzten Jahrhunderts aufgrund der Hungerkrise im Land (die die Briten befeuerten) auswanderten.

Neue nationale Kulinarik, und das ist das Besondere an diesem Nationalismus, achtet und respektiert alle anderen nationalen und regionalen Kulinarikkulturen – ist also viel mehr Patriotismus als Nationalismus. Und das ist gut so, weil die alten Geschichten von einer neuen, positiven Erzählung abgelöst werden.

Welche sind die irischen Käse, die man unbedingt gekostet haben sollte? Nun, da ist zuerst mal zu erwähnen, dass Irland sich von England und seinen Satelliten durch die Anzahl vorzüglicher Rotschmierkäse unterscheidet, etwa den Ardrahan aus der Region Cork (Kuhmilch, Schnittkäse), wo man auch den Dubliner, Irlands beliebtesten Kuhmilch-Hartkäse käst – und den Durrus, den Orla (halbfest und Schafsmilch), den Milleens und den ­Gubbeen auch. Wichtig ist, zu sagen, dass diese Käse in Irland selbst oft in der keltischen Sprache gehandelt werden und dass es anständiger ist, diese dortselbst auf Keltisch zu bestellen.

Und dann gibt es auch den St. Tola aus der Region (Country) Clare, einen Ziegenkäse in diversen Reifezuständen, der dann stark an Italien erinnert. Er lässt den Gaumen selig seufzen und uns sagen: Ja, Irland ist auf dem besten Weg zu einer großen Käsenation!

Wahrscheinlich werden wir das allerdings nicht mitkriegen.


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© StockFood / Ramanauskiene, Justina

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