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Inselbegabung: Warum isst man in Japan so viel besser als im Rest der Welt?

Perfektes Sushi und Sashimi, Yakitori und Tempura, aber auch die beste Pizza und die buttrigsten Croissants – nirgendwo auf der Welt isst man so gut wie in Japan. Warum eigentlich?

Meine verklärten kulinarischen Erinnerungen stammen nicht aus meiner Kindheit, sondern aus Japan, und das, obwohl ich insgesamt nur knappe vier Wochen in Tokyo, Kyoto und Osaka verbracht habe.

Ein Stück Fisch, zur Perfektion gegrillt und mit einem fetten Schmelz unter der knusprigen Haut, den ich nie vorher und nie nachher kosten durfte; eine Schüssel frischer Nudeln in dicker Sardinensuppe, leicht bitter von den Innereien und fast überwältigend in ihrem dichten Fischgeschmack; oder eine kleine Schüssel mit kühlcremigem, ganz frischem Kabeljau-Milchner sind der Stoff, aus dem seither meine kulinarischen Träume sind.

Vorbild für viele

Ich bin nicht allein mit meiner Japan-Sehnsucht. Viele viel grössere Köche, Esser und Schreiber als ich sind der Küche des Landes ebenso hoffnungslos verfallen – von Jahrhundertkoch Paul Bocuse über die einstige NY Times-Restaurantkritikerin Ruth Reichel bis zu Rene Redzepi, dem Erfinder der New Nordic Cuisine (die es ohne Japan so nicht gäbe). Am deutlichsten formuliert hat es vielleicht M. F. K. Fisher, eine der besten Kulinarikautorinnen aller Zeiten: Richtig gutes japanisches Essen sei »das perfekte Essen« für sie, schrieb sie nach ihrem ersten Japantrip in den 1960ern. »Ich weiß, dass ich nie wieder so subtil und exquisit, so ehrlich essen werde wie in diesen zwei Wochen meines Lebens.« Warum das Essen hier so gut ist? Weil japanische Köche die hohe Kunst beherrschen, im Hintergrund zu bleiben, so wenig wie möglich und so viel wie nötig zu machen, nie drüberzufahren, sondern nur zu unterstützen und bereits makellose Zutaten noch einmal viel, viel besser zu machen. Gutes japanisches Essen ist Natürlichkeit auf einem Level, das die Natur nie erreichen wird.

Warum ausgerechnet hier, auf ein paar Inseln im Pazifik? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. Viele Menschen haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen, und es gibt einige Theorien oder Begründungen, die immer wieder gern genannt werden. Da ist einmal die technische Perfektion, die sich wiederum dem legendären japa­nischen Traditionsbewusstsein und der berüchtigten Arbeitsmoral verdankt. Was der Meister vorgibt, wird so nachgemacht, bis hinunter zum kleinsten Handgriff, und zwar, wenn nötig, jahrelang. 20-Stunden- Arbeitstage sind keine Seltenheit, und wer nicht pariert, wird nicht gefeuert, ­sondern geschlagen – nicht überall, aber es kommt immer noch vor.

Dieser Extremismus hat zweitens zu einer unglaublichen Spezialisierung und Nischenbildung geführt: Japanische Restaurants sind meist auf eine einzige Speise spezialisiert – Nudelsuppe, Frittiertes, gegrillte Spieße –, und einige widmen sich überhaupt nur einer einzigen Zutat wie Aal, Kugelfisch oder Soba. Und wer 20 Jahre lang nur Shrimps frittiert oder Hühnerschenkel grillt, der kann das. Ich durfte in Tokyo ein Menü in einem Restaurant genießen, das ausschließlich Innereien von Wagyu-Rindern servierte, und einen Abend in einer Bar, wo es nur Tintenfischinnereien zu essen gab. Die Karte war trotzdem vielfältig und bot etwa 30 verschiedene Varianten.

 

Wer 20 Jahre lang nur Shrimps frittiert oder Hühnerschenkel grillt, der kann das.

 

Drittens: Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen würdigen Japaner nicht nur die eigenen Traditionen, sondern gehen genauso sorgsam mit fremden um. Das einst so hermetisch abgeriegelte, nach innen gewandte Land hat in den vergangenen Jahrzehnten wie kein anderes die kulinarischen Techniken anderer Länder importiert und perfektioniert. Seit der amerikanischen Besatzung gibt es hier das geilste gegrillte Rindfleisch der Welt (von Wagyu-Rindern, die in dem traditionell fettphoben Land bis dahin nie gegessen, sondern nur zum Pflug ziehen verwendet wurden), spätestens seit den 90er-Jahren ist die Pizza hier besser als in Italien, und die Croissants sind knuspriger und buttriger als in Frankreich. Selbst Ramen, die berühmteste Nudelsuppe der Welt, schauten sich die Japaner vor 100 Jahren von chinesischen Einwanderern ab.

Cucina Povera

Viertens und vielleicht am wichtigsten: die Geschichte und Geografie der Inseln. Japan war ab dem neunten Jahrhundert ein buddhistisches Land mit buddhistischer Esskultur, aber ohne jene tropisch-üppige Vegetation, in der buddhistische Essensregeln entstanden. Im Gegenteil, es wuchs auf wenig brauchbarem Ackerland nie genug, um die Bevölkerung zu ernähren.

Japaner finden daher seit jeher Freude an der Qualität von Zutaten, nicht an der Quantität. Während an europäischen oder chinesischen Höfen gevöllert und gesoffen wurde, gab es hier auch am Hof immer schon kleine Häppchen, die dafür umso aufwendiger zubereitet werden. Statt Überfluss wurden (vermeintliche) Einfachheit und Reduktion zelebriert. Die perfekte Technik, der elegante Schnitt, die aufwendige Präsentation machten die fehlende Menge wett. Ganz besonders gilt das für die traditionelle japanische Hochküche, das Kaiseki. Ausgerechnet dieses kulinarische Gesamtkunstwerk ist im Tiefsten seines Herzens eine Cucina Povera.

Achtung: Japan ist nicht nur, und schon gar nicht für alle, das gelobte kulinarische Land. Die Dichte an Fast-Food-Ketten, Schokoriegel- und Energiedrinkautomaten ist sogar auffallend hoch. Für Millionen Arbeiter hier heißt Abendessen eine Packerl-Nudelsuppe, in der Mikrowelle bei Seven-Eleven aufgewärmt. Und Mayonnaise aus der Tube ist nationale -Obsession. Aber wissen Sie was? Sogar Mikrowellennudeln und Fertigmayo schmecken hier einfach viel besser als anderswo.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2024

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Tobias Müller
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