© Sarah-Schlopsnies

Alkoholfreie Speisebegleiter: Muss Alkohol heute noch knallen?

Ohne Alkohol, aber voller Aroma: Barchef Elias Heintz kuratiert in der neuen Karte des »Bonvivant Cocktailbistro« in Berlin alkoholfreie Wein-Alternativen. Im Interview spricht er über die »Kein Wein«-Getränkekarte, warum der Trend zu alkoholfrei geht – und wie Alkohol das Geschmackserlebnis verfälscht.

Für ein entspanntes Dinner, einen geselligen Bar-Abend oder das Dating-Glück zu zweit braucht man nicht zwangsläufig Alkohol. Das finden immer mehr Menschen, wie Barchef Elias Heintz feststellt. Im Berliner »Bonvivant Cocktailbistro«, ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern, schlagen seine alkoholfreien Cocktails und Drinks genauso ein, wie die Varianten mit Prozenten. Als Verfechter des »Mindful-Drinkings« ist es für den 21-Jährigen selbstverständlich, alkoholfreie Wein-Alternativen hervorzuheben und ihnen als erstes Restaurant in Berlin eine eigene Karte zu widmen: »Kein Wein« heißt deshalb das neueste Projekt des Kreativkopfs. Auf ihr finden sich Kreationen wie »Passing Cloud« von »Muri«, »Champagner Bratbirne« und »Cuvee Nr. 7« von »Jörg Geiger« und »Arensbak weiß« und »French Style« von »Gnista«.

Bereits mit 18 Jahren übernahm Elias Heintz die Position des Barchefs in der »Amavi Bar« in seiner Heimatstadt Göttingen. Heute gestaltet er neben der Barkarte im »Bonvivant«, auch Cocktailbegleitungen zur aromenreichen Gemüseküche von Küchenchef Nikodemus Berger. Dabei setzt er auf Gegensätze, Spiegelungen, ergänzende Aromen, kulturelles Pairing und Berliner Stereotypen.

Herr Heintz, ihr neuestes Projekt trägt den Namen »Kein Wein«. Alkoholfreie Weine stehen aber überhaupt nicht auf dieser Karte!?

Ich habe mich explizit dafür entschieden, nicht einfach entalkoholisierte Weine anzubieten, sondern Wein-Alternativen, die das Lebensgefühl von Wein transportieren, und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Produkt ermöglichen. Sie sind komplex, haben verschiedene Aromen und verändern sich mit der Zeit und Temperatur. Das verleiht ihnen die Stilistik, wie man sie von Wein kennt, ohne Wein zu sein. Oft ist nicht einmal eine Traube enthalten – wortwörtlich kein Wein eben.

Wie kam es dazu?

Das »Bonvivant« steht für ein bestimmtes Lebensgefühl. Wir arbeiten regional, saisonal und größtmöglich nachhaltig. Wir ermutigen unsere Gäste auch aus ihrer Komfortzone zu treten – insofern sie das möchten. Neben unseren alkoholischen und alkoholfreien Cocktailbegleitungen bieten wir eine sehr gute deutsche Weinkarte an. Da ist uns aufgefallen: Was ist, wenn jemand keinen Wein trinken möchte, aber Cocktails auch nicht zur Atmosphäre passen? In den letzten Jahren haben sich viele gute Produkte entwickelt, sodass wir sie auf dieser »Best-of« Karte zusammengetragen haben.

Welche Produkte finden sich beispielsweise auf Ihrer Karte?

Sehr viele nordische Produkte. Die »Nordic cuisine« hat Fermentation auf ein anderes Level gehoben. Sie ist essenziell in dieser Produktkategorie. Wir haben eine Auswahl von »Muri« und »Arensbak« aus Dänemark oder von der schwedischen Marke »Gnista«. Aus Deutschland darf natürlich »Jörg Geiger« nicht fehlen. Von ihm stammt die »Champagner Bratbirne« – die Königin unter den Alkoholfreien. Auch sehr interessant: die Kombucha Marke »Bouche«. Sie ist in den letzten Jahren in Berlin bekannt geworden; einer ihrer »Proxys« besteht nur aus Produkten aus Brandenburg – das ergänzt unseren saisonalen und regionalen Ansatz perfekt.

 

»Im Fine Dining Bereich ergeben alkoholische Begleitungen eigentlich keinen Sinn, weil Alkohol die Sinne trübt.«

Nach welchen Kriterien haben Sie die Wein-Alternativen ausgesucht?

Nach der Komplexität. Man schaut sich den Geschmack und die Beschreibung von echtem Wein an und fragt sich: Wie bekomme ich das auch ohne Trauben hin. Johannisbeertrester, geräuchertes Eichenholz, Mädesüß oder den verschiedensten Kräutern können für diese Komplexität sorgen. Anhand der Zutatenliste kann ich so schnell sagen, ob etwas Quatsch ist, oder Spaß macht.

Was wäre für Sie Quatsch?

Entalkoholisierter Riesling. Wein zu entalkoholisieren ist simpel, aber nie zufriedenstellend. Er basiert nun mal auf Alkohol. Ohne, fehlt dem Getränk später die Seele. Die Herausforderung ist, zu einem geilen Geschmackserlebnis zu kommen, völlig losgelöst von Alkohol.

Sie sind ein Verfechter des »Mindful Drinkings«. Was bedeutet das für Sie?

»Mindful Drinking« heißt für mich nicht, einfach keinen Alkohol mehr zu trinken – sondern bewusst. Ich liebe Alkohol, schließlich bin ich Bartender. Mir geht es um die Frage: Wie nehme ich ihn wahr? Ich trinke Alkohol gerne aus Genuss, finde es aber auch in Ordnung, zu trinken, um ein bisschen lockerer zu werden oder einfach weil ich die Wirkung des Alkohols spüren will. Alkohol wird oft getrunken, weil man es halt so macht. Dabei wird nicht bewusst wahrgenommen, dass man eigentlich eine Droge zu sich nimmt. Wenn man sich dessen aber bewusst ist, und ihn bewusst trinkt, um den Geschmack zu erleben und zu spüren, finde ich es fine. Mit dem bewussten Umgang tritt automatisch eine Regulierung ein.

© Sarah-Schlopsnies

Der Trend geht zu diesem bewussteren Umgang und weniger Alkohol. Wie erklären Sie sich diese Veränderung?

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der uns vorgelebt wird, Lifestyle und Performance stärker unter einen Hut zu bekommen. Es gab Zeiten, da sind Arbeit und Konsum von Drogen oder Alkohol Hand in Hand gegangen und es war praktisch angesagt. Das ist lebensmüde und vollkommener Schwachsinn. Eine große Rolle spielt die Frage: Was brauche ich, um morgen wieder zu funktionieren und wie wirkt sich Alkohol auf meinen Körper aus. Auch auf den verschiedenen Social-Media-Plattformen wird vorgelebt, dass es vielleicht gesünder ist, beispielsweise weniger Fleisch zu essen oder weniger Alkohol zu trinken. Zudem war Alkohol früher immer mit Genuss verbunden, alkoholfreie Getränke eher nicht. Das entspricht nicht mehr der Wahrheit. Genuss kann sowohl alkoholisch als auch alkoholfrei erlebt werden – und das erkennen immer mehr Menschen.

Was empfehlen Sie Skeptikern oder Gästen, die noch nie mit alkoholfreien Alternativen in Berührung gekommen sind?

Alkoholfreier Gin ist ein guter Einstieg. Tonic Water bleibt als Hauptgeschmackskomponente gleich und wird durch einige gute alkoholfreie Gins, wie zum Beispiel von »Laori« aus Berlin ergänzt. Fertig gemixt, schmeckt man kaum einen Unterschied zu einem alkoholischen Gin Tonic. Wichtig ist, dass man nicht in Vergleiche tritt, sondern den Geschmack für sich betrachtet. Die Produkte auf der Karte sind nicht traubenbasiert, warum sollte man sie mit Traubenwein vergleichen? Das Lebensgefühl, die Stilistik und Ernsthaftigkeit hinter dem Produkt ist trotzdem dieselbe.

Das »Bonvivant« bietet zu jedem Menü eine alkoholfreie Getränkebegleitung an. Was ist da die Herausforderung?

Ein banales Beispiel: Wenn ich für die alkoholische Begleitung eine Wacholdernote haben möchte, arbeite ich mit Gin oder Doppelwacholder – eins davon wird schon passen. Bei der alkoholfreien Begleitung muss ich hingegen viel mehr überlegen, wie ich zu dieser Note komme. Arbeite ich mit einem Auszug aus Wacholderbeeren, verarbeite ich das Grün vom Strauch oder nehme ich vielleicht etwas ganz anderes, was den Geschmack imitiert. Ich muss um die Ecke denken, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Durch diesen Schritt komme ich näher und passender an die Gerichte heran und das sorgt oft für die bessere Begleitung.

Welche Auswirkungen haben alkoholfreie Getränkebegleitungen auf das Geschmackserlebnis?

Im Fine Dining Bereich ergeben alkoholische Begleitungen eigentlich keinen Sinn, weil Alkohol die Sinne trübt. Dabei geht man doch essen, um etwas bewusst mit seinen Sinnen wahrzunehmen: den Geschmack, Geruch, die Aromatik, wie fühlt sich das Gericht an, wie ist die Haptik. All das wird von zu viel Alkohol getrübt. Wenn ich eine Weinbegleitung zum Essen nehme, schmeckt für mich ab Gang fünf oder sechs alles gleich, weil ich einfach angetrunken bin. Die alkoholfreie Begleitung zum Essen ist da passender und angebrachter.

Sie sind erst 21 Jahre alt. Wie ist ihr Umgang mit Alkohol?

Ich klinge gerade superlangweilig und ein bisschen missionarisch, aber ich habe auch manchmal Bock auf Alkohol, der knallt. Das ist dann aber eine bewusste Entscheidung, wenn ich Lust darauf habe. Wein und Cocktails sind für mich zwei verschiedene Stimmungen und andere Lebensgefühle. Mein Go-to Getränk ist aktuell Wermut Tonic oder Port Tonic.

NICHTS MEHR VERPASSEN!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
Mehr zum Thema