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Country Bread: Amerikas Bestes Brot

Die USA gelten gemeinhin als Ödland für Freunde gehobener Brotkultur. Doch der Kalifornier Chad Robertson hat mit seinem »Country Bread« gezeigt, dass es auch anders geht. Mit seinem Sauerteigbrot revolutionierte er das Handwerk auch in Europa nachhaltig.

Amerikas Brotkultur ist für viele Europäer noch immer mit Vorurteilen behaftet – mehr als Toast und Burger-­Buns wird der US-Bäcker­kultur kaum zugetraut. Brot-Connaisseure hingegen wissen um das »Country Bread« des kalifornischen Bäckers Chad Robertson und sehen es als den wohl einflussreichsten Brotlaib der Welt. Vor dem Stammhaus seiner »Tartine Bakery« im Mission District von San Francisco, das er 2002 gemeinsam mit seiner Partnerin Elisabeth Prueitt eröffnete, stehen Fans manchmal stundenlang an, um einen der begehrten Weizensauerteiglaibe zu ergattern. Kaum vorstellbar, dass die Bäckerei anderthalb Jahre nach der Eröffnung beinahe pleite gegangen wäre. Aber selbst im hippen Mission District brauchte es seine Zeit, bis der Hype um ­Robertsons besonders lange fermentiertes, einzigartiges »Country Bread« entstehen konnte. Es sollte eine ganze Generation von jungen Bäckern inspirieren – nicht nur in der Bay Area selbst, wo sich ab den 2010er-Jahren eine regelrechte Bewegung mit ähnlichen Bäckereien entwickelte, sondern auch bei uns in Mitteleuropa.

Ausschlaggebend hierfür war sicherlich auch Robertsons erstes Buch namens »Tartine Bread« (Deutsch: »Das Brot«), das zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht wurde und in dem er detailliert erläutert, wie man sein sagenhaftes Landbrot nachbacken kann. Eine Brotback-Bibel, deren Einfluss sich vor allem während der Pandemie bemerkbar machte, als das Backen von Sauerteigbrot in den heimischen vier Wänden einen regelrechten Boom erlebte und Robertsons »Country Bread« in den sozialen Medien quasi omnipräsent war. Zur Standardausstattung jedes besseren Heimbäckers gehört heute ein gusseiserner Bräter, der jeden Heimbackofen zum Profiofen werden lässt – eine Technik, die Robertson in seinem Buch empfiehlt. Denn das Backen des »Country Bread« ist ein aufwendiges Unterfangen, das Neulinge wegen des vergleichsweise weichen Teigs mit hohem Wasser­anteil manchmal zum Verzweifeln bringt, sich jedoch für jeden einzelnen Krümel lohnt. Echtes Handwerk, das für viele eine willkommene Abwechslung zur heutigen, schnelllebigen Zeit darstellt und gleich­zeitig durchaus Können abverlangt.

Echtes Handwerk: Die Bäcker der österreichischen Bäckerei »Öfferl« 
verstehen sich auf den Umgang mit Sauerteig – eine Kunst, die 
lange erlernt werden muss.
© Michael Reidinger
Echtes Handwerk: Die Bäcker der österreichischen Bäckerei »Öfferl« verstehen sich auf den Umgang mit Sauerteig – eine Kunst, die lange erlernt werden muss.

Perfekt Unperfekt

Dieser Aspekt fasziniert den Koch Lode van Zuylen vom Berliner Restaurant »Lode & Stijn« ganz besonders. Das Restaurant ist bekannt für sein hervorragendes Sauerteigbrot, dessen Ursprung laut van Zuylen ganz klar bei Robertson zu verorten ist. Van Zuylen lernte den kalifornischen ­Bäcker-Guru während seiner Zeit beim Sternekoch Mathias Dahlgren in Stockholm kennen und arbeitete später drei Monate lang in Robertsons »Bar Tartine« in San Francisco. Damals gab es ein Team von fünf Leuten rund um Chefbäcker Richard Hart, das sich ausschließlich ums Brot kümmerte – sieben Tage die Woche. Eine Fokussiertheit, die van Zuylen, der selbst aus einer holländischen Bäckerfamilie mit Wurzeln bis ins Jahr 1672 stammt, zuvor niemals erlebt hatte. »Wenn man den Jungs beim Falten des Teigs zugesehen hat, wollte man das unbedingt auch beherrschen. Mich erinnerte das Ganze an Menschen, die ein Instrument sehr gut spielen können. Von außen sieht es ganz einfach aus, wenn man es aber selbst ausprobiert, merkt man schnell, was dahinter steckt«, erzählt van Zuylen.

Dahinter steckt auch eine ordentliche Portion Fingerspitzengefühl, denn selbst wenn es ein Rezept gibt, verhält sich der Teig Tag für Tag anders, abhängig vom Mehl, der Wassertemperatur und un­zähligen anderen Faktoren. »Richard Hart erzählte mir damals, dass das Brot in der ›Tartine Bakery‹ für ihn maximal zehn Mal pro Jahr nahezu perfekt ist. Das kann ich auch für unser Brot bestätigen. Perfektion ist also eigentlich unmöglich, selbst wenn man ein sehr, sehr guter Bäcker ist. Und genau das macht es so spannend«, berichtet van Zuylen. Für das Brot im »Lode & ­Stijn« änderte er das Rezept von Robertson ab und passte es auf seine Bedürfnisse an. Es ist kein reines Weizensauerteigbrot mehr, sondern beinhaltet 15 Prozent Roggen, um dem Brot mehr Würze zu verleihen. Serviert wird es im Menü des Restaurants ganz klassisch und simpel mit Butter. »Menschen, die das nicht gut finden, sollten ­vielleicht einmal ihren Sinn für das Wesentliche schärfen«, lässt er schmunzelnd verlauten.

Stijn Remi und Lode van Zuylen betreiben in Berlin die Restaurants »Lode & Stijn« und »Remi«. Das Sauerteigbrot, das dort serviert wird, ist direkt von Chad Robertson inspiriert.
© Sam Harris
Stijn Remi und Lode van Zuylen betreiben in Berlin die Restaurants »Lode & Stijn« und »Remi«. Das Sauerteigbrot, das dort serviert wird, ist direkt von Chad Robertson inspiriert.

Mehl, Salz und Wasser

Für die Schweizerin Margaretha Jüngling steht das Gefühl für den Teig beim Backen an oberster Stelle. Die Köchin und Künstlerin war eine der ersten im Land, die ihren Gästen Weizensauerteigbrot à la Chad Robertson servierte und betont im Gespräch mit Falstaff, dass der Teig immer das Tempo vorgibt. Als sie zwischen 2011 und 2014 für Christian Puglisi in dessen mittlerweile geschlossenem Kopenhagener Restaurant »Relæ« arbeitete, begann sie nach der Arbeit zu Hause das Brot, das im Restaurant serviert wurde, nachzu­backen. Natürlich war auch dieses direkt von Puglisis gutem Freund Robertson beeinflusst, der sein Wissen gerne mit Köchen und Bäckern auf der ganzen Welt teilt – die kalifornische Offenheit existiert nicht nur sprichwörtlich. Aber bei einem Rezept, das nur aus drei Zutaten besteht, ist es letztlich unmöglich, eine exakte Kopie herzustellen – auf das Können kommt es an.

Das »Country Bread« besteht aus Mehl, Wasser und Salz, wobei Ersterem die größte Bedeutung zukommt. »Das Mehl ist für diese Art von Brot absolut entscheidend. Es muss einen hohen Glutenanteil aufweisen, damit es viel Wasser aufnehmen kann«, berichtet Margaretha Jüngling. Bis sie alle Tricks und Kniffe im Umgang mit Sauer­teig erlernt hatte, vergingen mehrere Jahre. Inzwischen teilt sie diese in Backkursen im Zürcher »Mühlerama« und backt sogar auf dem Furkapass Sauerteigbrot für ihre Gäste unter Bedingungen, die alles andere als konstant sind. Brot wie das von Jüngling konnte man in der Schweiz bis vor wenigen Jahren gar nicht kaufen, da Sauerteigbrot in der Eidgenossenschaft kaum eine Rolle spielt. Mittlerweile aber gibt es Brote im Stile der »Tartine Bakery« nicht nur in Bäckereien, sondern sogar in großen Schweizer Supermärkten. Auf die Frage, worauf die neue Begeisterung der Schweizer für Brot dieser Art zurückzuführen sei, verweist Jüngling auf das Geschmacksprofil: die milde Säure, die Kombination aus saftig und kross: »Eigentlich logisch, dass dieses Brot ein Renner ist.«

Frankreichs Einfluss

Auch in Österreich liegen langzeitgeführte, weizenbasierte Sauerteigbrote im Trend, wie Georg Öfferl von der Bäckerei »Öfferl« aus dem Weinviertel bestätigt. Der aktuelle Verkaufsschlager der Bäckerei heißt »Madame Crousto« und ist ein Sauerteigbrot, das wie das Brot von Lode van Zuylen einen Anteil Roggen aufweist. Das exakte Mischungsverhältnis sind 80 Prozent Weizen- und 20 Prozent Roggenmehl, erzählt Georg Öfferl und verweist auf die Urbrote der französischen Landbevölkerung, die in diesem Mischungsverhältnis schon auf dem Feld entstanden – sozusagen als Field Blend, wie beim Wein. Eine Inspirationsquelle, die er mit Chad Robertson teilt, denn der ließ sich auf seinem Weg zum »Country Bread« ebenfalls von den rustikalen Sauerteigbroten Frankreichs inspirieren, wie in seinem Buch nachzulesen ist. Auch im Bezug auf das Qualitätsstreben und den Innovationsgeist sind Öfferl und Robertson Brüder im Geiste. Als der Österreicher die Leitung des Familienbetriebs übernahm, verbannte er die bis dato verwendeten Fertigbackmischungen und stieg auf Mehl in Demeter-Qualität um, das aus Getreide von Landwirten aus der direkten Umgebung gemahlen wird. Ein Schritt, der es der Bäckerei ermöglicht, den Mehlspekulationsmarkt zu umgehen und langfristige, gesunde Partnerschaften zu den Lieferanten zu etablieren. »Ich selbst lernte Chad Robertson und die ›Tartine Bakery‹ erst relativ spät kennen. Er war aber sicherlich einer der Vorreiter, wenn es um Brote dieser Art geht«, stellt Öfferl fest. Die »Tartine Bakery« umfasst heute drei Filialen in der Bay Area, fünf in Los Angeles und sechs in Seoul – ganz zu schweigen von all den Bäckereien, Restaurants und Heimbäckern, die der Kalifornier beeinflusst hat.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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Dominik Vombach
Dominik Vombach
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Von Redaktion