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Kulinarische Visionen: Spitzenköche und Gastronomen verraten die Gastro-Trends 2024

Welche Trends erwarten uns 2024? Worauf legen Gourmets Wert? Und was geht gar nicht? Deutschlands Spitzenköche und Topgastronomen wagen für Falstaff ihren persönlichen Ausblick auf das kulinarische Jahr und die Herausforderungen in der Gastronomie.

Ende der Produktschlacht

Der Trend zur ganzheitlichen Verarbeitung von Lebensmitteln ist in der Gastronomie angekommen. Es landen nicht mehr ausschließlich Premiumprodukte auf den Tellern, vielleicht auch aus finanziellen Gründen. Statt Entrecôte darf es häufiger auch mal wieder das Rinderbugblatt sein – natürlich perfekt verarbeitet. Dasselbe gilt für Innereien. Ich begrüße diese Entwicklung, denn sie hat zur Folge, dass die handwerklichen Fertigkeiten von uns Köchen, aus den Produkten das absolute Optimum zu zaubern, wieder mehr gefragt sind. Und überhaupt: Was gibt es besseres als saure Leber mit Rösti oder ein klassisches Wiener Schnitzel mit Endiviensalat und Brägele?
Viktoria Fuchs, »Romantik Hotel und Restaurant ­Spielweg«, Münstertal im Schwarzwald

Das Erlebnis zählt

Unterhaltung und Überraschungsmomente werden für einen gelungenen Restaurantbesuch immer wichtiger. Wenn Sie heute in ein Lokal gehen, wissen sie leider viel zu häufig schon exakt, was sie erwartet. Meist folgt alles derselben Abfolge: Amuse-Bouche, Vor-, Haupt, Nachspeise, Weinbegleitung. Wie langweilig! Wenn Menschen nicht wissen, was auf sie zukommt, lassen sie sich viel stärker auf den gegenwärtigen Moment ein, statt nach zehn Minuten schon am Smartphone zu surfen. Aus dieser Überzeugung haben wir die Restaurant-Weltneuheit Eatrenalin entwickelt, eine Sinnesreise mit einem gelungenen Zusammenspiel von Multimedia-Content und gastronomischer Spitzenleistung, die in jedem Raum eine einzigartige Geschichte erzählt. 2024 wollen wir mit dieser Idee von Deutschland aus in anderen Länder expandieren.
Thomas Mack, geschäftsführender Gesellschafter Europa-Park, Rust, und Oliver Altherr, CEO Marché -International, Pfäffikon

Luxus neu definieren

Die Modewelt wird gerade im Sturm von einem neuen Trend erobert: Er nennt sich »Stiller Luxus«. Damit ist eine Haltung gemeint, die sich als Gegenpol zu aufdringlicher Reichtumsdarstellung, Allüren und übertriebener Etikette definiert und sich durch Subtilität und Minimalismus auszeichnet. Im »Jan« werden diese Werte gepflegt, seit das Restaurant im Oktober 2022 öffnete. Auch die Auszeichnung mit drei Michelin-Sternen hat daran nichts geändert. Im »Jan« gibt keine Kleiderordnung, auf Tischdecken verzichten wir sowieso – -allein aus Umweltgründen. Stiller Luxus zeigt sich auch bei der Produktwahl: Es muss nicht immer nur Kaviar und Steinbutt sein. Die Kunst besteht darin, eine Sardine oder einen Schweinebauch so zuzubereiten, dass es drei Sterne wert ist. Ich sehe darin einen Weg, die Schwellenangst vor einem Drei-Sterne-Restaurant noch weiter zu senken. Wir sind kein exklusiver Club für die oberen Zehntausend.
Jan Hartwig, »jan«, München

Fachkräftemangel Bleibt

Der Fachkräftemangel bliebt weiterhin die größte Herausforderung in der Gastronomie. In der Küche sehe ich das Tal des Personalmangels allmählich durchschritten – zumindest weisen unsere steigenden Bewerberzahlen darauf hin. Ein großes Problem bleibt der Restaurantservice. Als Dienstleister zu arbeiten, scheint für immer weniger Menschen in Frage zu kommen. Die Attraktivität des Serviceberufs lässt sich nur vergrößern, wenn man ihn leben-diger gestaltet und breiter aufstellt. Im »Dichter« probieren wir das gerade aus: So übernehmen unsere Kellnerinnen und Kellner inzwischen auch einige Aufgaben des Sommeliers und des Bartenders. Das ist eine Win-win-Situation, denn aufgrund der wachsenden Nachfrage nach alkoholfreien Speisen-begleitern werden auch die Anforderungen an unseren -Sommelier und das Barteam immer größer.
– Thomas Kellermann, »Gourmetrestaurant Dichter«, Rottach-Egern

Chance durch Marktbereinigung

2023 war für viele Menschen ein finanziell schwieriges Jahr. Auch 2024 warten sicher wieder große Herausforderungen. Das führt dazu, dass sich die Menschen besser überlegen, wie oft und wofür sie Geld ausgeben. In der Gastro-Branche führt das zu einer Art Marktbereinigung. Viele Läden verschwinden. Das ist für die Betroffenen zwar schmerzhaft, für die Gastronomie insgesamt aber heilsam. Denn am Ende profitieren davon Restaurants, bei denen es rund um die Uhr gute Qualität zu guten Preisen gibt.
– Daniel Gottschlich, »Ox & Klee«, Köln

Geschichten erzählen

Unsere Menüs müssen Geschichten erzählen. Was genau man bei einem Zehn-Gänge-Menü gegessen hat, daran kann sich nach zwei Monaten niemand mehr erinnern. Aber tolle Geschichten bleiben in Erinnerung. Noch besser ist es, wenn sich die Philosophie des Lokals darin spiegelt. Den Besuch im »Aura« muss man sich als Gesamterlebnis vorstellen, das einen Rundgang durch unsere Küche umfasst, die Vorstellung des Teams, eine genaue Erläuterungen unseres Konzepts und einen Besuch in unserem Future Lab, in dem wir Lebensmittel aus der Region im Wert von knapp 340.000 Euro zuerst mithilfe traditioneller Methoden haltbar gemacht haben und dann lagern, um sie ganzjährig in unserem Menü einzusetzen. Erst wenn ein Gast unsere Herangehensweise versteht, kann er unsere Kochkunst vollkommen wertschätzen.
Alexander Herrmann, »Aura«, Wirsberg

Die Gastronomie muss sich verjüngen

Junge Menschen für die Gastronomie zu gewinnen, wird immer schwerer – vor allem erfordert es Kreativität. Wie zum Beispiel im Oktober letzten Jahres, als wir mit den Jungs von Caspar Plautz auf dem Viktualienmarkt in München eine Kartoffel der Woche (KdW) entwickelt haben, verfeinert mit Steinpilzen, Zwiebeln und Speck. Außerdem bieten wir im Restaurant Tantris ein vergünstigtes Menü für Gäste unter 35 Jahren an, um Gastronomie allen zugänglich machen zu können, die Beachtung für die gehobene Gastronomie zu stärken und das Bewusstsein für Genuss und Handwerk zu schärfen.
Benjamin Chmura, »Tantris«, München

Berg an Herausforderungen

Als selbstständige Köchin habe ich momentan mit vielen Herausforderungen zu kämpfen – ob es nun darum geht, zuverlässige Lieferanten zu finden, oder, meine Produkte zu fairen Preisen einzukaufen. Bei einem Kilo Fleisch liegt etwa die Preisdifferenz zwischen einzelnen Händlern nicht selten bei rund 20 Euro. Dazu kommt das Übermaß an Bürokratie in Deutschland. Im vergangenen Jahr haben wir eine Terrasse vor unserem Restaurant gebaut – bis die Behörden das genehmigt haben, hat es ganze sechs -Monate gedauert. Das alles kostet Kraft, und unheimlich viel Kraft. Richtig kreativ sein, um ein neues Menü zu entwickeln, kann man da eigentlich nur an freien Tag oder im Urlaub. Das ist aber keine Klage, ich bereue den Schritt in die Selbstständigkeit nicht, auch wenn ich mir des vielen Stresses vorher nicht bewusst war.
– Julia Komp, »Sahila«, Köln

Mehr Nachfrage nach Vegetarisch

In meiner Wahrnehmung entwickelt sich der Anspruch der Restaurantbesucher zunehmend hin zu einer ethischen Ernährung. An manchen Abenden entscheidet sich bereits die Hälfte unserer Gäste für ein fleischloses Menü – vor wenigen Jahren noch wäre das undenkbar gewesen. Wenn ich mir bewusst mache, wie viele tote Tiere ich im Laufe meiner Kochkarriere schon verarbeitet habe, dann habe ich nichts dagegen, wenn der Fleischkonsum noch weiter abnimmt. Ich selbst esse zu Hause so gut wie gar kein Fleisch mehr, sondern hole mir mein Protein über pflanzliche Quellen. Komplett auf tierische Produkte zu verzichten, fällt mir allerdings schwer, vor allem, wenn ich für Gäste koche. Bis wir beispielsweise Butter als Geschmacksträger durch pflanzliche Produkte ersetzen können, sehe ich noch einige Jahre durchs Land streichen. 2024 arbeite ich daran, das kulinarische Erlebnis unserer vegetarischen Gäste zu vergrößern und noch abwechslungsreicher zu gestalten. Natürlich gilt das auch für alle anderen Gäste.
– Alina Meissner-Bebrouti, »BIBRAUD«, Ulm

Von Kantinen Lernen

Natürliche Inhaltsstoffe, Tierwohl, aber auch tierfreie Ernährung werden immer entscheidendere Kriterien, wenn es ums Essen geht. Das merken wir besonders stark in unseren Betriebskantinen in Stuttgart, Regensburg und Karlsruhe. Dort haben wir Gäste, die teils fünfmal die Woche zu uns zum Essen kommen. Kein Wunder also, dass viele besonders genau darauf achten, was wir ihnen servieren. Auch für unsere Restaurants in der »Traube Tonbach« ziehen wir daraus wichtige Lehren und passen unsere Kulinarik fortlaufend an. Vorreiter war bei uns auch Torsten Michel, der Küchenchef unseres Drei-Sterne-Restaurants »Schwarzwaldstube«. Er legt schon seit Jahren immer größeren Wert auf ethische Gesichtspunkte. So ist es für ihn selbstverständlich, Tiere ganz zu verwerten oder mit gewöhnlicheren Fleischsorten wie Hausschwein oder Lamm aus der Region zu kochen. Einfach auch, weil er sich bei wenigen anderen Tieren so sicher sein kann, dass sie vorbildlich gehalten wurden.
– Sebastian Finkbeiner, Mitglied der Geschäftsführung im -»Hotel Traube Tonbach«, Baiersbronn


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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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