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Der große Bier-Test

Von wegen Einheitsgebräu – für jedes Pläsier das richtige Bier! Kein europäisches Land kann mit einer solchen Vielfalt an Brauereien und Bierstilen aufwarten wie Deutschland.

Braucht man die Amerikaner, um gutes Bier zu brauen? Es geht einem deutschen Braumeister gegen den Strich, das auch nur anzudenken. Und doch haben sich vor einem Vierteljahrhundert ein paar Dutzend deutsche Brauer dem visionären Marketingberater Rüdiger Ruoss zu einer Tour in die USA angeschlossen. »Der Super-Premium-Biermarkt ist da«, hatte Ruoss verkündet.
Aber was die Deutschen zu sehen bekamen, waren höchst einfach konstruierte Brauanlagen und ebenso einfach gebraute obergärige Biere. Sie kosteten sich tapfer durch das angebotene Porter von Pike Brewing in Seattle und das Pale Ale von Sierra Nevada in Chico, sie probierten das Russian Imperial Stout bei Full Sail in Hood River und das IPA von Bridgeport in Portland. Allesamt interessante Biere – aber, so die damals ziemlich einhellige Meinung: nichts für Deutschland. Hier gibt es doch ohnehin die beste Auswahl an Bieren, die meisten Brauereien und natürlich über allem die Segnungen des Reinheitsgebots.

Wer mit seinem Lieblingsbier zufrieden ist, bleibt ihm meist treu. Manch Kölner würde kein Altbier, manch Düsseldorfer kein Kölsch anrühren. 

Allerdings: Der eine oder andere Brauer ließ sich doch vom Virus der Craft-Bier-Szene anstecken. Ob es nicht so etwas wie ein Bockbier auf Basis eines Stout gebe, fragte sich etwa Michael Ketterer von der gleichnamigen Brauerei in Hornberg. Ja, da war doch das Imperial Stout da drüben in Amerika. Ob man das den biederen Biertrinkern im Schwarzwald zumuten könnte. Nicht als Imperial Stout. Aber wohl, wenn man den traditionellen dunklen »Schützenbock« mit einer obergärigen Stout-Hefe vergärt. Ja, das hat funktioniert. Natürlich zunächst weiterhin unter dem gewohnten Namen. Aber eines Tages traute sich Ketterer, auch die Etiketten zu ändern: Als Black Forest Stout ist sein Imperial Stout nun Teil der Craft-Bier-Welle, die auch Deutschland erfasst hat.
Wenn auch mit einiger Verspätung. Denn in einem Land, in dem man ziemlich verlässlich in jedem Gasthaus ein anständiges Bier serviert bekommt, in dem vom Weizen bis zum Pils, vom Hellen bis zum Schwarzbier, vom Schankbier bis zum Doppelbock so viele Stile wie sonst kaum wo beheimatet sind und in dem die Biergärten die wichtigsten Feuchtbiotope darstellen – in so einem Land tut sich bierige Innovation schwer. Weil ja alle mehr oder weniger zufrieden sind mit dem, was (noch dazu zu sehr günstigen Preisen) angeboten wird.
Aber ab und zu wollen manche Biertrinker eben doch etwas Ausgefallenes probieren. Nicht aller Biertrinker, Gott bewahre: Wer mit seinem Lieblingsbier zufrieden ist, bleibt ihm meist treu. Es ist halt Geschmackssache, ob man eines der bekannten deutschlandweit erhältlichen Biere bevorzugt – oder ob man sich an das viele Jahre vom Deutschen Brauerbund gepflegte Motto »Bier braucht Heimat« hält und das Bier aus der regionalen Brauerei genießt. Das geht ja gelegentlich so weit, dass manch Kölner kein Altbier und manch Düsseldorfer kein Kölsch anrühren würde. Nur ab und zu hätte man halt gern Abwechslung. 

Einkorn, Emmer und Dinkel

Und es waren mutige Mittelständler, die sich getraut haben, besondere Biere als Alternative zum Altbekannten anzubieten. Rudi Hirz zum Beispiel. Sein Apostelbräu im Bayerischen Wald war schon zu einer Zeit für Dinkelbier bekannt, als der Begriff Craft-Bier noch nicht einmal in den USA gängig war. Hirz wollte sich nicht auf den regionalen Markt beschränken – sein Dinkelbier ging gleich nach der Markteinführung 1990 in den Export, ins Craft-Bier-Land USA. Dort lernte er, wie sehr Spezialitäten geschätzt werden. Vor allem, wenn sie sehr speziell sind. Er lernte, mit ganz ungewöhnlichen Getreiden wie Einkorn und Emmer zu brauen. Und er brachte Whiskeyfässer aus Tennessee mit heim, um seinem Dinkelbier durch Nachreifung darin eine besondere Note zu verpassen.   
Holzfass-Reifung ist allerdings nur eine der Möglichkeiten, bekannte Biere aufzupeppen. Andere Brauer haben den amerikanischen Trend aufgegriffen, neu gezüchtete Hopfensorten einzusetzen. Cascade ist sowieso die Leitsorte für das Brauen von Pale Ale und des noch intensiver gehopften India Pale Ale – inzwischen wird diese in den USA gezüchtete Sorte auch in Deutschland angebaut. Aber die deutschen Hopfenzüchter waren auch nicht faul und haben neue Aromasorten (Hüller Melon, Mandarina Bavaria oder Hallertau Blanc) auf den Markt gebracht. Hobbybrauer haben diese Sorten ebenso begeistert aufgegriffen wie die neu entstan­denen Brauunternehmen – etwa Crew Re­public, eine Brauerei, die eng mit dem Hopfenhandelshaus Barth kooperiert.

Inzwischen haben durchaus etablierte Brauereien die Chance erkannt, mit kleineren Brauern (die bei ihnen Collaboration Brews oder Auftragssude herstellen) zu kooperieren. Oder sogar mit reinen Amateuren. Die Karmeliten-Brauerei in Straubing zum Beispiel: Im Vorjahr lud sie ihre Kunden und Fans ein, ihre Vorstellungen von idealen Bieren einzureichen, womöglich mit einem Entwurf eines Braurezepts. Harald Buchmeier war einer jener, die bei der Aktion »Mach dein Bier – wir brauen’s dir« erfolgreich mitgemacht haben: Er reichte ein Konzept für ein Imperial IPA, also ein sehr stark eingebrautes und sehr stark gehopftes obergäriges Bier, ein und kam in die engere Auswahl einer internationalen Fachjury. Das gemeinsam mit dem Braumeister Thomas Eichenseher gebraute Ergebnis kann sich sehen lassen: Mit 96 Falstaff-Punkten ist es eines der höchstbewerteten Biere Deutschlands.

All diese neuen Biere dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, was es an traditioneller Braukunst gibt. Stephan Michel vom Bamberger Mahrs Bräu lebt da in zwei Welten: Einerseits kooperiert er mit amerikanischen Craft-Bier-Brauern. Andererseits hat ­er sich zu Herzen genommen, was ihm vor vielen Jahren der bekannte Bierjournalist Michael Jackson mit auf den Weg gegeben hat: »Don’t change your beer.« Also hält er stolz an seinen untergärigen Lagerbieren, die typisch für Franken sind, fest – und schenkt diese wie eh und je in seinem traditionellen Brauereiausschank auf der Wunderburg in Bamberg aus.
Denn eines darf man auch nicht übersehen: Ein klassisches bayerisches Helles ist wohl das am schwierigsten zu brauende Bierl der Welt – dieses Bier verzeiht keine Fehler der Braumeister. Es verlangt nach echten Profis am Sudkessel, und es verlangt nach hochprofessionellen Brauanlagen. Beides findet man nirgendwo besser als in Deutschland.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2017

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Conrad Seidl
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