Weiße Alba-Trüffel dieser Größe sind extrem selten. Dieses Exemplar würde mehrere Tausend Euro kosten.

Weiße Alba-Trüffel dieser Größe sind extrem selten. Dieses Exemplar würde mehrere Tausend Euro kosten.
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Reportage: Auf Trüffelsuche im Piemont

Ein Millionengeschäft in Nahaufnahme: Falstaff begleitete im Piemont einen Trüffelsucher
und seine Hunde auf der Jagd nach der »Duftenden Diva«.

Sie winseln, jaulen, bellen in ohrenbetäubender Lautstärke. Sie wedeln mit den Schwänzen und zwängen ihre Schnauzen durch die Gitterstäbe. Perla und Macchia, die Hunde von Michele Bertolusso, wollen heraus aus den Käfigen im Geländewagen, wollen Trüffel suchen an diesem Novembernachmittag in den Hügeln bei Piobesi. Die Sonne steht tief am Himmel, nur einzelne Strahlen zwängen sich durch das goldene Laub. Die Luft ist schneidend kalt. Wenn Michele ausatmet, steht eine weiße Wolke vor seinem runden Gesicht, das in glatt rasiertem Rosa leuchtet. Michele ist Trüffelsucher, seit 45 Jahren. Er hat große Hände mit kräftigen Fingern. Unter den Nägeln sind Reste lehmiger Erde, Spuren seiner ersten Tour am Morgen. Michele lässt die Hunde heraus. Endlich dürfen sie los.

»Der beste Trüffelhund ist ein Lagotto Romagnolo. Die meisten sind Promenaden- mischungen – und Weibchen. Die sind geduldiger.« Die schwarz-weiß gescheckte Perla mit dem verschmitzten Blick ist halb Labrador, halb Pointer und mit ihren drei Jahren erfahren. Macchia ist sechs Monate alt, ein Trüffelhund-Azubi und sehr verspielt. Beide tollen durchs Unterholz, schnüffeln, rennen weiter. Immer wieder knackt es, wenn sie naschen, Eicheln zerbeißen. Michele ruft Kommandos auf Piemontesisch: Pia – bring, li – dort, su – los, iela – da ist etwas! In der Tat. Der erste Fund, ein golfballgroßer Sommertrüffel.

Heimliche Suche bei Vollmond, ohne Lampe

Michele hat das Geschäft von seinem Großvater gelernt. Der hat ihm Geheimorte gezeigt. »Es gibt einzelne Bäume, zwischen deren Wurzeln immer weiße Alba-Trüffel sind. Meist sind das Haselnussbäume, Eichen, Buchen, Pappeln. Die Hunde finden aber laufend neue Stellen.« Michele sucht am liebsten nachts, bei Vollmond. »Dann kann ich ohne Lampe gehen und kein Konkurrent sieht mich.« Man könne an der Reaktion der Hunde erkennen, was für Trüffel sie gefunden haben; bei weißen seien sie am aufgeregtesten. »Hunde sind wie wir. Wir lieben auch den schönsten Duft.« Perla schlägt an. Wie jeder gut trainierte Hund zeigt sie mit der Schnauze auf die Stelle, wo der Trüffel ist. Sie und Macchia graben. Michele zieht den »zappino« aus dem Gürtel, eine Harke mit langer Klinge, deren Holzgriff von Tausenden Berührungen glatt poliert ist. Immer wieder rammt er ihn in den Boden und lockert ihn auf, damit die Hunde besser buddeln können. Jedes Mal greift er eine Handvoll Erde und schnüffelt. Nein, noch ist der Trüffel in der Erde. Plötzlich packt er Macchia mit resoluten Händen, zwingt die Zähne auseinander. Da ist er: ein »tondello«, ein runder weißer Trüffel. Fast hätte Macchia ihn gefressen. »Das kann passieren; Macchia ist in der Ausbildung.« Der Trüffel wandert in Micheles Tasche. Er wird nur die kleinen und zerbrochenen behalten und sie mit Eiern oder Fonduta-Käse essen. Alle anderen kriegt Veronica Giraudo.

Mehr Barolo heißt weniger Trüffel

Michele ist einer von 300 Trüffelsuchern, mit denen Veronicas Firma Tartuflanghe zusammenarbeitet, der zweitgrößte Händler in Italien. In der Saison geben sich die »trifolai« in dem grünen Fabrikgebäude in Catena Rossa die Klinke in die Hand. Sie bringen, wenn es gut läuft, 50 bis 100 Kilo pro Woche. Aber es läuft immer seltener gut. »2017 war es sehr heiß, das schlechteste Jahr seit 2003. Wir haben 70 Prozent weniger bekommen.« Die warmen Jahre häufen sich – der Klimawandel. »Die Saison wird dadurch kürzer, oft gibt es erst ab November beste Qualität.« Ein weiterer Grund für den Schwund dürfte Weintrinker schockieren. »Im Piemont wird immer mehr Wald abgeholzt – für Weinberge. Wein ist wichtiger für die Wirtschaft.Der Barolo-Boom bringt eine Trüffelkrise.«

Veronica Giraudo ist Herrin über ein Trüffelimperium mit einem Jahresumsatz von 15 Millionen Euro. Sie macht den Klimawandel und den Barolo-Boom dafür verantwortlich, dass immer weniger Trüffel gefunden werden.
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Veronica Giraudo ist Herrin über ein Trüffelimperium mit einem Jahresumsatz von 15 Millionen Euro. Sie macht den Klimawandel und den Barolo-Boom dafür verantwortlich, dass immer weniger Trüffel gefunden werden.

Der neue BetrügerTrick: Pattex-Trüffel

Ist es schwerer geworden, an gute Ware zu kommen? Ja, sagt Veronika. Deswegen gingen ihre Einkäufer auch zu Trüffelsuchern nach Hause, um sich die schönsten Knollen zu sichern – am Abend vor Markttagen. »Ich meine nicht den Trüffelmarkt in Alba, der ist für Touristen.« Auf fast allen anderen Märkten würden auch Trüffel verkauft. »Die Händler verstecken sie und holen sie nur heraus, wenn sie den Käufer kennen.« Und Betrug? Minderwertige Trüffel aus Asien oder Topinambur-Knollen, die mit Trüffelöl eingerieben werden? »Bei den großen kann man nicht gut betrügen, das fällt auf.« Sie zeigt aufs andere Ende des Raums, wo eine Mitarbeiterin mit einem Trüffelsucher sitzt. Sie begutachtet jede einzelne der großen Trüffel des Mannes, bürstet sie mit einer »spazzola«. »Das mögen die Trüffelsucher nicht, aber wir bestehen darauf.« Bei kleinen Trüffeln könne man nicht jede prüfen. »Da stecken manchmal Steine drin, die Gewicht und Preis erhöhen sollen.« Der schlimmste Trick sei neu. »Weil für größere Trüffel ein höherer Kilopreis gezahlt wird, kleben Betrüger viele kleine Trüffel mit Pattex zusammen. Eklig!« Alle Trüffel werden noch am Ankunftstag verschifft. Sie halten nur zehn Tage und verlieren durch Verdunstung an Gewicht. »Am ersten Tag können es bis zu zehn Prozent sein.«

Alba platzt zur Trüffelzeit aus allen Nähten. Besucher können hier auch andere regionale Spezialitäten kaufen: Käse, Haselnussprodukte und natürlich Barolo, Barbaresco und Co.
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Alba platzt zur Trüffelzeit aus allen Nähten. Besucher können hier auch andere regionale Spezialitäten kaufen: Käse, Haselnussprodukte und natürlich Barolo, Barbaresco und Co.

Als Bauern Trüffel wegwarfen

Das Winterlicht im Wald wird blasser. Perla und Macchia traben über das trockene Laub. Immer wieder springen sie an Michele hoch, wollen ein Leckerli. Plötzlich beginnen sie wie wild zu buddeln, Dreck fliegt durchs Unterholz. Während er kniend mitsucht, keucht Michele: »Früher haben Bauern beim Pflügen manchmal riesige Trüffel gefunden – und sie beiseite geworfen. Da gab es mehr als heute und sie haben nichts gekostet.« Jetzt sei Trüffelsuche ein Big Business. »Es sind viele Amateure unterwegs. Andere schulen ihre Jagdhunde um.« Manche suchen ohne Lizenz, ihnen droht eine hohe Strafe. Die Lizenz kostet 140 Euro. »Man muss eine Prüfung machen, die Lizenz jedes Jahr erneuern und viel lernen.« Etwa, dass Trüffel bis zu 70 Zentimeter tief im Boden sein können. Und dass Trüffel Wärme suchen. »Wenn es heiß ist, sind sie weiter oben, wenn es kalt ist, verstecken sie sich.« Die Saison für weiße Trüffel beginnt am 21. September und endet am 31. Jänner. »Dazwischen ist es verboten, sie zu suchen. Es muss etwas nachwachsen können.« Auf einmal erstrahlt ein Lächeln in Micheles Gesicht. In seiner Hand liegt ein großer Alba-Trüffel, 50 Gramm schwer.
Ein besonderer Fund? Michele zuckt mit den Schultern. »Nicht wirklich. Zufrieden bin ich, wenn ich einen Brummer von 200 Gramm oder mehr finde.« Dann notiert er Fundort und Datum und macht in festen Abständen Kontrollbesuche. Vielleicht kommt ja etwas nach. Die größte Trüffel in Micheles Leben wog 600 Gramm. »So groß«, sagt er und formt die Hände, als wolle er einen Handball umfassen. »Heute wäre sie 3000 Euro wert.« Michele füllt das Loch mit Erde und tarnt alles mit Laub, damit niemand sieht, wo er gegraben hat.
Die »trifolai« haben unzählige Worte für Trüffel. Eine flache nennen sie »piattina«. Wie Hörnchen geformte heißen »cornuto«, besonders glatte »liscio«, Zwillingstrüffel »gemelli«. Dann gibt es noch Trüffel minderer Qualität. Wegen ihres Geruchs heißen sie »puzzoni«, Stinker. Die Eifersucht des Kochs »Ich kaufe Trüffel nicht nur nach Duft. Es kommt auch auf die Textur an. Wenn sie die perfekte Reife haben, sind sie elastischer und schmelzen auf der Zunge.« Das sagt Drei-Sterne-Mann Enrico Crippa vom »Piazza Duomo« in Alba. Trüffel seien die Königszutat im Piemont, vor Barolo, Fassone-Rind und Haselnüssen. »Ich als Nicht-Piemonteser habe 15 Jahre gebraucht, um sie zu verstehen.«

Enrico Crippa aus dem «Piazza Duomo».
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Enrico Crippa aus dem «Piazza Duomo».

Crippa lässt sich eine Plastikbox bringen, in der ein knappes Dutzend prächtiger Exemplare liegt. »Jede Trüffel ist anders.« Eine habe ein Aroma, das an Knoblauch erinnert. Eine andere dufte wie gebratenes Fleisch. »Und diese hier riecht fast wie Honig. Man könnte sie mit einem Dessert kombinieren.« Man könnte, tut es aber nicht! Denn die Leute im Piemont wollen traditionelle Teller wie Tatar mit Trüffeln oder Agnolotti mit Trüffeln. »Sie haben Angst, kreative Gerichte zu probieren.« Und so steht nur ein solches Gericht auf Crippas Karte: Trüffel mit Kartoffel-Mousseline, Wachteleigelb und Lapsang-Souchong-Tee, durch dessen rauchiges Aroma ein neuer Akkord entsteht. An dieser Stelle bricht es aus Crippa heraus: »Man ist hier gezwungen, mit Trüffeln zu arbeiten.« Wäre er woanders, würde er da­rauf verzichten. »Die Persönlichkeit der weißen Trüffel ist so stark – sie zermalmt meine Arbeit. Ich bin eifersüchtig auf Trüffel!«

Trüffelrutengänger

Auch Micheles Frau ist eifersüchtig. »Sie meckert, im Herbst und Winter verbrächte ich mehr Zeit mit meinen Hunden als mit ihr«, lacht Michele. Vor Kurzem sei ein Freund gestorben, auch ein Trüffelsucher. »Sein Hund war so traurig, dass er nichts mehr fraß. Kurze Zeit später war er auch tot.« Michele vertraut nicht nur auf Hunde. »Sie finden nur reife Trüffel. Unreife riechen sie nicht.« Die könne man trotzdem aufspüren, sagt er und verrät ein Geheimnis: Er sei Trüffelrutengänger, auch das habe ihm sein Großvater beigebracht. Wie das geht? Michele dreht seinen hölzernen Spazierstock um und klopft mit dem Griff auf den Boden. »Man muss ein feines Gespür für Vibrationen haben. Ich merke an den Schwingungen, ob da eine Wurzel ist, ein Stein, ein Stück Metall oder eine unreife Trüffel.« Am Anfang der Saison überprüft Michele so vielversprechende Areale, um die Suche später einzuengen. Außerhalb der Saison trainiert er mit vergrabenen Kartoffeln.
Wir sind am Ende unserer Runde. Die Beute: je eine Sommer- und Wintertrüffel, drei weiße Alba-Trüffel von zehn Gramm und eine von 50 Gramm. Fast jeder Liebhaber würde sie sofort vertilgen. Zum Beispiel auf geröstetem Weißbrot mit Butter und Anchovis. Das sei, so Crippa, der »ultimative Trüffelsnack«. Michele hat andere Pläne. Er schüttelt Hände und steigt ins Auto. Durch das offene Fenster ruft er: »Ich wechsle die Hunde und mache noch eine Tour. Sie sind halt meine ›passione‹, die Trüffel.«

Der Trüffel­markt in Alba ist ein reiner Touristenmarkt. Einheimische kaufen auf den anderen Märkten der Region.
© Rosmarie Wirz
Der Trüffel­markt in Alba ist ein reiner Touristenmarkt. Einheimische kaufen auf den anderen Märkten der Region.

Falstaff Tipps für Trüffel im Piemont

Piazza Duomo. Der Platzhirsch unter den Sternerestaurants im Piemont, schön gelegen mitten in der Altstadt von Alba. Kreative Küche auf hohem Niveau von Enrico Crippa. Trüffelgerichte meist in traditioneller Form.
Piazza Risorgimento 4
12051 Alba (CN)
T: +39 0173 366167
www.piazzaduomoalba.it

La Madernassa. Michelangelo Mammoliti ist der Shootingstar unter den piemontesischen Köchen. Sein Restaurant »La Madernassa« liegt spektakulär schön auf einem Hügel in Guarene d’Alba. Mammoliti inszeniert Klassiker komplett neu.
Località Lora. 2, 12050 Guarene (CN)
T: +39 017 3611716
www.lamadernassa.it

Il Centro. Familienrestaurant mit langer Tradition und besternter Küche. Beim Mittagessen am Sonntag trifft man hier die alteingesessenen Familien: Enkel, Eltern, Großeltern, die behutsam modernisierte Klassiker der piemontesischen Küche essen. Tajarin mit Butter und Alba-Trüffel – fast nirgendwo besser.
Via Umberto  I° 5
Priocca d’Alba (CN)
T: +39 0173 616112
www.ristoranteilcentro.com

La Coccinella in Serravalle d’Alba. Ein bisschen schwer zu finden in den Bergen hinter dem Weingebiet. Die Fahrt lohnt aber. Tolle Produkte, gutes Handwerk, familiäre Atmosphäre, schöne Weinkarte.
Via Provinciale 5, 12050 Serravalle Langhe (CN)
T: +39 0173 748220
www.trattoriacoccinella.com

Antica Corona Reale in Cervere. Küchenchef Renzo bringt nicht nur Trüffel allerbester Qualität auf den Tisch, sondern auch das berühmte Piemonteser Fleisch vom Fassone-Rind. Der Ort ist unscheinbar und liegt in der Ebene,das Essen lohnt die Fahrt aber.
Via Fossano 13, 12040 Cervere (CN)
T: +39 0172 474132
www.anticacoronareale.com

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2018

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Christoph Teuner
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Rezept von Johann Lafer, Restaurant ­»Le Val D?Or«, Stromberg, Deutschland.
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