Riesling international
Deutschland, Österreich und das Elsass sind die Wiegen der Riesling-Kultur. Doch die Newcomer der Neuen Welt werden immer besser – und erzeugen Riesling an immer exotischeren Orten.
Riesling aus den USA hat keine Säure, und australische Exemplare riechen nach Tankstelle: Vorurteile wie diese waren lange Zeit verbreitet, und hin und wieder wurden sie auch von dem einen oder anderen in Europa verkauften Wein bestätigt. Doch die letzten Jahre scheinen in der Riesling-Geschichte unseres Planeten neue Kapitel aufgeschlagen zu haben – mit einem Mal betreten wie aus dem Nichts heraus Herkünfte und Winzer die Bühne, die erst vor Kurzem begonnen haben, Riesling zu erzeugen.

Und bereits nach wenigen Jahren lassen einige dieser Weine erkennen, dass die Winzer bei ihrem Herantasten an die Sorte hier und dort auf wahre Goldminen gestoßen sind: auf neue, ganz eigenständige Originale. Hatten wir Riesling bislang ganz und gar als europäisches Phänomen verstanden, so ist inzwischen unübersehbar, dass unserem Bild von der Sorte Facetten globaler Art hinzuzufügen sind.

Klischees widerlegt
Beim jüngst im Kloster Eberbach im Rheingau ausgetragenen »International Riesling Symposium« ließen sich einige dieser neuen lokalen und stilistischen Archetypen verkosten, so jener von Neil Pike aus dem Clare Valley in Südaustralien. Mit seiner zarten, feingliedrigen Art und seinen frischen Aromen wirkte Pikes »The Merle«-Riesling wie eine Widerlegung aller Australien-Klischees. »Wir sehen in unseren Weinen in der Regel keine Petroltöne«, so Pike. »Wenn sie reifen, finde ich eher Aromen, die ich mit Zitronenbutter, Honig, Toast oder Quittengelée umschreiben würde.« Petroltöne kämen nur vor, wenn die Trauben intensiv der prallen Sonne ausgesetzt seien. Er bevorzuge daher eine partielle Beschattung der Trauben durch das Laub, das Entblättern in der Traubenzone führe er nur sehr zurückhaltend durch. Zudem habe es sich bewährt, die Rebzeilen in Ost-West-Richtung anzulegen, so, dass sich die Rebzeilen zur Mittagssonne hin (auf der südlichen Halbkugel also nach Norden) gegenseitig Schatten spenden. Gelesen würden die Trauben dann bei einem Alkoholpotenzial von 11,5 bis 12 Volumenprozent (etwa 85 bis 90 Oechsle), bei einer Mostsäure von acht Gramm und mit einem pH-Wert von 3,0. Das sind Idealmaße, die bis auf die etwas tiefere Mostsäure durchaus denjenigen deutscher Rieslinge ähneln.
Schiefer
Im Clare Valley dominiert Schiefer den Boden – auch das ist eine Gemeinsamkeit, die Pikes-Riesling (und ebenso denjenigen des australischen Riesling-Pioniers Jeffrey Grosset) mit deutschen Terroir-Typen verbindet. Schiefer war es auch, der Ernie Loosen in die USA und zu seinem Engagement in Washington State brachte, wo er auf Château Ste. Michelle im Columbia Valley seit 1999 einen runden, fruchtbetonten und halbtrocken ausgebauten Riesling erzeugt: »Eroica« zeigte sich in Eberbach im aktuellen Jahrgang 2015 in Bestform, mit hochreifer Frucht nach Nektarine und rotem Apfel und mit seidigem Schmelz am Gaumen.
Und Schiefer ist es auch, auf dem einer der ungewöhnlichsten Rieslinge der Vereinigten Staaten wächst – und zwar im bislang nicht als Weinbau-Herkunft bekannten Bundesstaat Pennsylvania. Der als »Berks Shale« bekannte dortige Schiefer stammt aus der Periode des Silur und ist somit ein Erdzeitalter älter als der Devon-Schiefer der Mosel.
Als weitere Besonderheit enthält der Berks Shale fossile Seelilien und damit eine bei der Verwitterung frei werdende Kalk-Quelle. Auf diesen sehr ungewöhnlichen Böden, die zudem noch durch Moränenschotter aus der letzten Eiszeit überlagert sind, bauen Galen und Sarah Troxell Riesling an. »Wir haben zahlreiche Bodenschichten, alle paar Meter ändert sich der Untergrund. Wir sind immer noch dabei, unser Land kennenzulernen«, sagt Sarah Troxell, die erst vor wenigen Jahren ihr Leben als Apothekerin gegen das einer Winzerin eingetauscht hat: Nach einem Aufenthalt in Deutschland beschlossen sie und ihr Ehemann Galen – ein ehemaliger Maschinenbauingenieur –, ihre erlernten Berufe aufzugeben und das bereits im Besitz der Familie befindliche Landgut zu übernehmen. Das war im Jahr 1995. Das Milchvieh, das bislang das Geschäftsfeld des Gutes gewesen war, wurde verkauft. Stattdessen pflanzte das Ehepaar Weinreben – zunächst pilzresistente Hybridsorten, denn der Jahresniederschlag liegt in Pennsylvanias Lehigh Valley mit 1100 Millimetern recht hoch.

Inzwischen wachsen auch europäische Sorten auf »Galen Glen«. Wie spannend das Lehigh Valley dabei gerade für Riesling sein kann, deutet der »Fossil Vineyard«-Riesling des Jahres 2015 an, der als Pirat in einer Mosel-Blindprobe wohl kaum auffallen würde – zumindest nicht, wenn er mit Moselweinen eines etwas wärmeren Jahrgangs verglichen würde. Dermaßen auf den Geschmack gekommen, hat das Ehepaar Troxell inzwischen sogar eine weitere mitteleuropäische Sorte mit Kult-Potenzial unter ihre Fittiche genommen: den Grünen Veltliner.
Riesling bedeutet Handwerk
Im Kloster Eberbach brillierten auch einige edelsüße Weine aus der Neuen Welt. Neben der betont süßen »Auslese F« des Weinguts Framingham aus Marlborough in Neuseeland fiel vor allem der »Cordon Cut«-Riesling der Mount Horrocks Winery aus dem australischen Clare Valley auf: Inhaberin Stephanie Toole setzt im Herbst einen Schnitt durch die Frucht tragenden Ruten der Rebstöcke. Da damit die Flüssigkeits- und Nährstoff-Versorgung durchtrennt wird, rosinieren die Beeren auf natürliche Weise am Stock. Der so entstandene Wein hat den Extrakt und die Delikatesse einer Goldkaspel-Auslese, wenngleich er weitgehend ohne Botrytis erzeugt ist. Ein Wein, der sich mühelos im Spitzenfeld edelsüßer Rieslinge aus Europa behaupten kann. Die Böden bestehen in diesem Fall übrigens nicht aus Schiefer, sondern aus Terra Rossa über Kalkstein.
Einer der originellsten trockenen Weine zuletzt kam aus dem US-Bundesstaat Michigan. Der Riesling »Scriptorium Jamieson Vineyard« des Weinguts Mari Vineyards faszinierte durch seine komplexe Würze: Anis, Fenchelsamen, Jod und Lakritze. Mari-Winemaker Sean O’Keefe führt die besondere Würze auf die Spontangärung zurück, die den Rieslingmost des Jahrgangs 2015 nolens volens überkam: Denn in der Nacht nach dem letzten Lesetag wurde der Keller eingeschneit und blieb tagelang unzugänglich. In der Zwischenzeit blieb der Most sich selbst und den bodenbürtigen Hefen überlassen.
Und dabei wird mit einem weiteren Übersee-Klischee aufgeräumt: dem, dass die Weine alle industriell und mit hohem technischem Aufwand produziert sind. Guter Riesling, so scheint es, verfügt über eine eingebaute Garantie, in Handarbeit entstanden zu sein. Wo auch immer auf diesem Planeten.
Aus dem Falstaff Magazin Nr. 05/2017