© Nassim Ohadi

Villa Viva in Hamburg: Ein Gasthaus, das die Welt verändert

Seit November ist das Münzviertel um ein außergewöhnliches Hotel reicher. In der »Villa Viva« leisten Gäste allein durch ihren Aufenthalt Gutes: Jede Übernachtung und jeder Besuch im Restaurant unterstützt die weltweiten Trinkwasserprojekte der gemeinnützigen Organisation Viva con Agua.

In der Villa Viva ist vieles anders: Die Rezeption nennt sich Zauberkiosk, die Hoteldirektorin Laura Hansen trägt den Titel Zirkusdirektorin: »Wir wollen die Gäste verzaubern und einen Ort schaffen, der sie inspiriert. Man soll sich hier zu Hause fühlen«, erklärt Hansen, die schon in Hamburger Hotels wie dem Louis C. Jacob in der vornehmen Elbchaussee arbeitete. Die Viva Cantina will ein bunter Ort der Begegnung sein, mit Events, gutem Essen, Musik und guter Laune. In der Hotel-Lounge chillt eine jüngere Klientel, der Umgang ist leger und dabei doch verbindlich. Wer hier arbeitet, unter der Prämisse des »Social Business« fühlt sich dem Projekt verbunden, immer wieder hört man die Begrüßung: »Schön, dass du da bist.« Auch wenn noch nicht alles reibungslos läuft und noch nicht alle »Kinderkrankheiten« abgeklungen sind, ist die Aufbruchstimmung überall zu spüren.

Die Villa Viva im Hamburger Münzviertel, zwischen Hauptbahnhof und Deichtorhallen gelegen, ist eines der außergewöhnlichsten Hotel- und Gastronomie-Projekte in Hamburg. Sie will ein Gasthaus sein, das die Welt ein wenig verändert. Hinter dem Projekt steckt die gemeinnützige Organisation Viva con Agua: Jede Übernachtung, jeder Besuch im Restaurant soll weltweit Trinkwasserprojekte unterstützen. Die Villa Viva ist das erste Gasthaus und Hotel, in dem die Gäste beim Essen und im Schlaf Gutes tun. »Das ganze Haus baut Brunnen, die Mehrheit aller Gewinne fließt in die Wasserprojektarbeit«, sagt Benjamin Adrion, ehemaliger Fußball-Profi des FC St. Pauli, der 2005 auf einer Mannschaftsreise des FC St. Pauli nach Kuba spontan Viva con Agua ins Leben rief. Daraus ist längst eine internationale Wasserbewegung geworden, die allen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung verschaffen will.

»Camping Ground«

Eröffnet wurde die Villa Viva am 16. November 2023 nach mehrjähriger Planung und Bauphase. Betrieben wird sie von Viva con Agua und dem Hotelanbieter Heimathafen, der mehrere Häuser wie die Beach Motels in St. Peter-Ording und Heiligenhafen oder das Lighthouse Hotel in Büsum unterhält. Die beiden Betreiber sind auch mit ihren Büros in der Villa untergebracht, in der sich vom vierten bis zum elften Stock insgesamt 138 Zimmer verteilen, darunter auch Suiten und ARTrooms. Auch das Treppenhaus wurde zur bunten Leinwand umgestaltet. Die günstigsten Zimmer, die hier »Camping Ground« heißen, kosten gerade einmal 19,10 Euro, der Preis orientiert sich am Gründungsdatum des FC St. Pauli. Bewusst sind die Preise so kalkuliert, dass auch Backpacker mit schmalerem Budget übernachten können.

Oben im zwölften Stock thront die »RoofDrop Bar«, von dem in Hamburg lebenden Künstler 1010 gestaltet, sie ist mit der Dachterrasse verwoben, die einen famosen Weitblick auf die Silhouette der Stadt frei gibt. Hier finden auch Konzerte und Lesungen statt, DJs legen auf, »wir bringen ein wenig Subkultur rein«, sagt Laura Hansen. Wer will, kann ganz oben, auf der Dachterrasse der Villa, in der Sauna entspannen. Schließlich versteht sich Viva con Agua auch als eine Art Spaßguerilla mit guter Laune, viel Elan und einem großen Herz. Es ist eine Gemeinschaft, in der eine verantwortungsvolle Haltung zum Lebensgefühl gehört wie eine entspannte Partykultur.

»Viva con Agua versteht sich als eine Art Spaßguerilla mit guter Laune, viel Elan und einem großen Herz«

Auch in der Küche der Viva Cantina werden eigene Regeln befolgt. Die Küchenchefs Jan Johannsen und Dominik Lang arbeiteten beide jahrelang in Sterneküchen. Sie lernten die Grundlagen einer französisch und italienisch inspirierten Gourmetküche, aber auch die negativen Seiten des Gewerbes zur Genüge kennen. Der Umgangston sei oft ziemlich rau, »es ist viel Schein in dieser Branche«, sagt Dominik Lang. Jetzt sei es ihnen wichtig, »den Stress und Druck nicht an das Team weiter zu geben«. Die Karte ist übersichtlich gehalten, »damit wir fast alles jeden Tag frisch machen können«, erklärt Jan Johannsen, im Mittelpunkt steht »gutes Handwerk, mit Liebe abgeschmeckt«. Alle Gerichte entstehen auf einer vegetarischen oder veganen Basis, auch das Frühstücksbüfett bleibt fleischfrei, »wir haben keine Lust mehr auf Wurst- und Fleischberge« sagt Johannsen. Es müsse trotzdem niemand auf ein Stück Fleisch oder Fisch verzichten, Villa Viva arbeitet mit lokalen Anbietern zusammenarbeiten, die Bio-Produkte erzeugen, »individuell, nachhaltig und tiergerecht«, wie Dominik Lang betont. Die beiden Köche machen keinen Hehl daraus, dass es für sie ein besonderer Tag in der Küche bleibe, wenn sie »ein ganzes Wollschwein verarbeiten können«.

Drei »soziale Urlaubstage«

Die Arbeitszeiten in der Küche sind strikt auf 8,5-Stunden-Tage beschränkt, eine gewaltige Umstellung für die Küchenchefs, nachdem sie vorher »zehn Jahre lang 16 Stunden am Tag arbeiten mussten«. Aber Arbeit muss in der Villa Viva sozial verträglich sein, »da sind wir sehr eigenständig«, betont Laura Hansen. »Wir wollen mit allen auf Augenhöhe verkehren, auch mit unseren Reinigungskräften.« Und Benjamin Adrion stellt klar, dass man »keine menschenfreundlichen Projekte unterstützen kann auf dem Rücken der Angestellten«. Allen stehen drei »soziale Urlaubstage« zu, an denen andere soziale Projekte unterstützt werden können. Über den eigenen Tellerrand zu blicken, ist ein Grundgebot der Villa Viva: Laura Hansen und Adrion sitzen beide auch im Quartiersbeirat des Münzviertels, der den Stadtteil gestalten will. Man betreibe auch Stadtentwicklung, »wir haben das Gebäude dem Spekulationsmarkt entzogen und wollen dem herkömmlichen Tourismus etwas entgegenstellen«, erklärt der ehemalige Fußball-Profi.

Die RoofDropBar in der Villa Viva.
© Nassim Ohadi
Die RoofDropBar in der Villa Viva.

Die Villa Viva arbeitet mit anderen, ähnlichen denkenden Gastro-Betrieben zusammen wie dem Restaurant Hobenkökk oder der Oberhafenkantine. »Wir wollen keine moralische Überlegenheit, aber zu sozialer Nachbarschaft inspirieren«, sagt Benjamin Adrion. Auch die Gäste sollen »Hamburg durch unsere Augen sehen«. Auf allen Zimmern wird bislang auf Fernseher verzichtet, man will das Miteinander fördern und die Gäste in Verbindung bringen: »Aber wir wollen niemanden nerven mit nachhaltigen Ideen«, Dogmatismus wird vermieden, deshalb kann es sich der Mastermind der Villa auch vorstellen, einige Zimmer mit TV teurer anzubieten, wenn es darum geht, »schneller schwarze Zahlen zu schreiben«.

Offizielle Opening Party im März

Die Villa Viva könnte auch zum Lehrstück taugen, wie sich neue Verhaltensmuster und Besitzstrukturen in der Gastroszene etablieren: Die benötigten 5,5 Millionen Euro Eigenkapital für die Villa Viva steuerte die »Shareholder Gang« bei, eine Gruppe von privaten 17 Anteilseignern, zu denen auch die Musiker Bela B und Jan Delay gehören. »Die Investoren haben sich darauf eingelassen, ihr Geld nicht renditemaximierend einzusetzen, sondern sozialorientiert«, sagt Benjamin Adrion.

Die letzten Jahre verbrachte Adrion, dem für sein Engagement im Wasserprojekt Viva con Agua 2009 als 28-Jährigem das Bundesverdienstkreuz am Band verliehen wurde, in Südafrika, wo er Anfang 2021 die Villa Viva Capetown eröffnete und begleitete. Aber jetzt, nach sieben Jahren aufwändiger Aufbauarbeit, müsse er unbedingt in Hamburg dabei sein. Auch, wenn im März 2024 die offizielle Opening Party der Villa Viva stattfindet und die Bässe aus den Boxen der RoofDrob Bar wummern.


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Rainer Schäfer
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