Experiment trifft auf Kochkunst.

Experiment trifft auf Kochkunst.
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Diese fünf Küchenlabore prägen die kulinarische Welt

Mit seiner Molekularküche hat Ferran Adrià einst die Kochkunst auf ein neues Niveau gehoben. Seither wagen es immer mehr Küchenchefs, über den Tellerrand zu blicken.

Innovative Gastronomie setzt vermehrt auf die Verschmelzung von Wissenschaft und Kochkunst, Küchenlabore sind der Hotspot dieser kulinarischen Revolution. Es geht dabei aber nicht nur darum, außergewöhnliche Gerichte zu kreieren, sondern auch darum, die Lebensmittelindustrie nachhaltiger und effizienter zu gestalten.

Das »Alchemist« in Kopenhagen steht weltweit als eines der ungewöhnlichsten Restaurants hoch im Kurs. Feinschmecker aus aller Welt sind bereit, sich auf extrem lange Wartezeiten einzulassen, nur um in dieser ehemaligen Schiffswerft zu dinieren. Das Restaurant setzt stark auf kulinarische Forschung und Innovation, was sich in Gerichten widerspiegelt, die aus Zutaten kreiert werden, die üblicherweise als unkonventionell oder sogar als Abfall betrachtet werden, darunter gezüchtete Schmetterlinge, Lammhirn und sogar Quallen.

Durch diesen wegweisenden Ansatz hat das »Alchemist« bereits Forschungspartnerschaften mit führenden Universitäten und kommerziellen Institutionen wie der UC Berkeley und der Universität Kopenhagen geschaffen. Kürzlich wurde bekannt, dass Rasmus Munk, der Kopf hinter dem »Alchemist«, einen Schritt weiter geht und dazu ein eigenständiges Innovationszentrum namens »Spora« etablieren will. »Spora« wird sich der Entwicklung nachhaltiger kulinarischer Produkte widmen, die sich positiv auf das Leben von Millionen von Menschen auswirken. Zum Start soll der Fokus auf zwei Hauptbereichen liegen: Upcycling von Nebenströmen aus der Lebensmittelindustrie und Entwicklung »köstlicher und vielfältiger Proteinquellen«, lautet es.

Schon 1987 fing alles an

Das erste Mal, dass die Kulinarik-Welt mit dem Begriff Küchenlabor in Kontakt kam, war freilich weitaus früher. Dreh- und Angelpunkt: Das »El Bulli«. 1987 übernahm Ferran Adrià ebendieses und veränderte die Gastronomie für immer. Durch innovative Techniken schuf er eine völlig neue Art des Kochens und legte den Fokus auf ein einzigartiges kulinarisches Erlebnis für die Gäste. Mit kreativen meist molekularen Kreationen wie flüssigen Kroketten, Tomatensphären und Melonenperlen erlangte »El Bulli« weltweit Anerkennung und wurde zum einflussreichsten Restaurant seiner Zeit. Als das Restaurant im Juli 2011 schloss, betonte Adrià, dass »El Bulli« nicht einfach schließe, sondern sich wandle, da seine Essenz weiterhin erhalten bleiben soll.

Der Zufall als Methode

Der Zufall kann eine Methode sein, die Kreativität in die tägliche Routine bringt und uns zu Höchstleistungen antreibt. Der Zufall hat »Mugaritz« mit Wissenschaftlern, Philosophen und Künstlern zusammengebracht, die das Wissen erweitern, das Team zu neuen Fragen inspirieren und ihm gezeigt haben, wie man mit Zufällen umgehen kann. Bei »Mugaritz« interessiert man sich besonders für das, was fast nie in der Küche verwendet wird, nämlich das, was oben auf der fermentierten Flüssigkeit wächst und als Scoby (Symbiotic Colony Of Bacteria and Yeast) oder Mutter bekannt ist. Daher hat man sich mit dem Basque Culinary Center und der Universität Barcelona zusammengetan, um die mikrobiologische Gemeinschaft zu analysieren, aus der Scoby besteht. Gemeinsam sei man bestrebt, die Vielfalt des Lebens in der Mutter der Kombucha zu entdecken und dabei einer neuen Zutat Form und Kontext zu geben.

Sieht aus wie eine Mandarine, ist aber Gänseleber

Alles infrage stellen lautet die Devise im »Fat Duck« nahe London. Daher hat Heston Blumenthal ein eigenes Labor, in dem ganze Gerichte oder wichtige Elemente entwickelt werden, im Einsatz. Früh erkannte er die Möglichkeiten, die flüssiger Stickstoff bot, nutzte die Sous-vide-Methode und experimentierte mit Geliermitteln, um bekannte Geschmacksrichtungen in völlig neuen Texturen zu präsentieren. Viele dieser Techniken, die heute als gängige Praxis gelten, waren vor mehr als zwei Jahrzehnten revolutionär. Ein Beispiel dafür ist seine »Meat Fruit«: Es täuscht das Aussehen einer Mandarine vor, enthält aber eine raffinierte Kombination aus Hühner- und Gänseleber in einem Gel, das aus Mandarine, Paprikaextrakt und Glukose hergestellt ist. Solch komplexe Gerichte entstehen immer in einem aufwendigen und langwierigen Prozess von Experimenten und Versuchsreihen.

Noma-Fermentations-Labore in ganz Europa

Vom ersten Tag an, als das »noma« in einem alten Lagerhaus in Kopenhagen eröffnet wurde, war es ein Restaurant, das stets neugierig war, zu lernen und zu wachsen. Die Ursprünge lagen in der Erforschung der natürlichen Welt, die mit dem einfachen Wunsch begann, wilde lokale Zutaten wiederzuentdecken, indem das Team um René Redzepi, der sein legendäres Restaurant »noma« in Kopenhagen nach der Wintersaison 2024 für immer schließen wird, auf Nahrungssuche gingen und den Jahreszeiten folgten. Der sich ständig weiterentwickelnde Ansatz ist weiterhin geprägt von der Suche nach Innovation und der Weitergabe von Wissen. »Mit noma Projects wollen wir die Innovation und die Geschmacksideen von Noma rund um den Globus verbreiten«, sagt Thomas Frebel, Kreativdirektor von »noma Projects«. Konkret seien noma-Fermentations-Labore in ganz Europa geplant, auch die USA stehen auf der Agenda, seien »aber noch Zukunftsmusik«.

Ein österreichisches Wirtshauslabor?

Wie Falstaff hier berichtet öffnet demnächst das Wirtshauslabor Salzkammergut seine Pforten. Hinter dem Projekt steckt das Anliegen, einen Impuls zur Wiederbelebung der verschwindenden Wirtshauskultur am Land zu setzen.

Julia Emma Weninger
Julia Emma Weninger
Chefredakteurin Online
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