Im Konzept von »DP World Cargospeed« werden Güter per Drohne geliefert.

Im Konzept von »DP World Cargospeed« werden Güter per Drohne geliefert.
© Virgin Hyperloop

Kampf gegen die Rush-Hour: Visionen für unseren bewegten Alltag

Was wäre, wenn eine Fahrt von Berlin nach Hamburg nur noch zwanzig Minuten dauern würde? Ideen wie der Hyperloop könnten unsere Art der Fortbewegung revolutionieren – und sind vielleicht näher, als wir denken. Eine Vision.

Los Angeles, 2030. Über dem Sunset Boulevard geht die kalifornische Sonne auf. Vor ein paar Jahren war diese nur sanft am Horizont zu erkennen, wegen des Smogs, der sich über Amerikas flächengrößter Stadt von den Hügeln der Hollywood Hills bis zur Küste Malibus erstreckte. Aber in dieser nahen Zukunft ist das anders – und die Westküstenmetropole glitzert so, wie wir sie aus den geschönten Hollywoodfilmen kennen. Im Hintergrund hört man Vögel zwitschern und riecht sogar die salzige Meeresbrise, die meilenweit entfernt am Muscle Beach den Schweiß der Bodybuilder-Terminatoren kühlt. Was ist hier bloß geschehen? Und: Was ist mit den Boulevards und endlosen Highways los, die jahrzehntelang für Stau, Lärm und Schmutz berühmt-berüchtigt waren? Wieso sind sie so leer, ohne Stau weit und breit?

Wer in Los Angeles lebt, war seit jeher auf einen fahrbaren Untersatz angewiesen. Im Unterschied zum Ostküsten-Subway-Veteranen New York war L.A. stets als reine Automobil-Stadt geplant, ohne nennenswertes öffentliches Verkehrssystem. Ja, es gibt auch hier eine U-Bahn und Busse, doch deren limitierte Streckenführung hat sich seit Jahrzehnten kaum erweitert. Fast scheint es so, als sei die Metro hier nur als Kulisse für Hollywoodfilme gebaut worden – und nicht, um damit tatsächlich Menschen von A nach B zu transportieren. Eine gewollte Entwicklung seit den 1950er-Jahren, als ein damals im Uhrwerktakt fahrendes Tram-System zugunsten zubetonierter Highway-Rampen stillgelegt wurde. Öffentlicher Verkehr ist in der Stadt der Engel ein Unwort – und ist es auch 2030 noch. Wenn da nicht Elon Musk wäre, der exzentrische Hightech-Milliardär, der über sein Unternehmen Tesla das E-Auto massentauglich machte und mit seiner ironisch getauften »Boring Company« massive Löcher in den kalifornischen Untergrund grub.

Für seine utopisch erscheinenden Ideen wurde Elon Musk anfangs häufig verlacht. Doch spätestens seit dem Erfolg von Tesla weiß man: Er meint es ernst. Dass aus Plänen wie dem Hyperloop und dem Tunnelsystem der »Boring Company« Realität werden, ist für Musk nur eine Frage der Zeit.
© Getty Images/Bloomberg
Für seine utopisch erscheinenden Ideen wurde Elon Musk anfangs häufig verlacht. Doch spätestens seit dem Erfolg von Tesla weiß man: Er meint es ernst. Dass aus Plänen wie dem Hyperloop und dem Tunnelsystem der »Boring Company« Realität werden, ist für Musk nur eine Frage der Zeit.

Wo vor wenigen Jahren noch Stoßstange an Stoßstange aneinander hing, tuckern jetzt nur noch vereinzelt benzinbetriebene »Oldtimer« mit sündhaft teurer Sondergenehmigung durch die Gegend, während ein Großteil des Verkehrs aus vollautomatisch und autonom gesteuerten Vehikeln besteht. Deren Besitzer lehnen sich entspannt zurück und trinken Chai-Latte, verfolgen ihre Lieblingsserie am Flatscreen oder arbeiten an ihrer Präsentation fürs Büro, während der Bordcomputer ihr ­lenkradloses, autonomes E-Car zur gewünschten Destination führt – synchronisiert mit Millionen anderer Verkehrsteilnehmer in der City. Tägliche Staus und Verkehrsunfälle sind damit den Menschen mittlerweile so fremd geworden wie die Pferdekutschen und Dampflokomotiven der vergangenen Jahr­hundertwende.

Die gar nicht so langweilige Geschichte von »Boring« begann mit einem Tweet im Dezember 2016, in dem Musk sich über den endlosen Stau auf den Straßen von L.A. beschwerte – und, typisch Musk, es nicht dabei beließ, sondern gleich zur Tat schritt. Direkt neben dem Parkplatz seines SpaceX-Hauptquartiers, von wo aus wiederverwendbare Raketen Menschen zum Mars schießen, ließ er Tunnelröhren bohren, die die Welt so noch nicht gesehen hatte: Der Hyperloop wurde gebo(h)ren.

Ein Tunnelsystem, das sich alsbald spinnwebenartig über die gesamte Metropol-Area erstrecken sollte: Erdbebensicher, umweltschonend und dazu da, den Individualverkehr sprichwörtlich »auf Schiene« zu bringen. Der Hyperloop ist eine Art U-Bahn für Autos: Man fährt mit seinem autonom gesteuerten E-Vehikel in den Loop, koppelt sich wie beim Zugverkehr mit gleichgesinnten Fahrern zusammen, fährt los – und entkoppelt sich an einem der vielen Exit Points in die Oberwelt der Sonnenstadt, wo die Reise ebenso autonom weitergeht. Überambitioniert, ein bisschen verrückt, sehr amerikanisch und anfangs medial ins Lächerliche gezogen, wurde die Marke »Boring« schnell auch für Börsianer und Investoren spannend – und Musk zum Landschaftsdesigner seiner eigenen Vision einer »Smart City«. Gerade L.A., die Stadt, in der das Auto als identitätsstiftendes Statussymbol gilt, fungierte dabei als Startrampe zu einer neuen Mobilität, die bald die ganze Welt erobern sollte.

Der »Hyperloop« wurde dabei nicht als proprietäre Transportrampe für Teslas konzipiert. Auch die auto­nomen E- und Hybridfahrzeuge der Konkurrenz werden ohne Stau und Verzögerung durch die Unter­welt der urbanen Megacity geschossen. Für Leute, die ohne Auto auskommen wollen, werden »Pods« in der Größe von Kleinbussen bereitgestellt, in denen man über lange Distanzen gemütlich sitzend mal eben in einer halben Stunde nach San Francisco oder ins Silicon Valley gelangt: Mach-1 macht es möglich. Selbstredend ist die erreichte Geschwindigkeit emissions- und schadstofffrei und lässt althergebrachte Verkehrsmittel wie Überbleibsel einer überheblichen umweltverschmutzenden Vergangenheit aussehen.

Technisch funktioniert der Hyperloop mittels Magnetschwebebahnen und Vakuumpumpen in einer weitgehend luftleeren Röhre, um jeglichen Widerstand zu beseitigen. Die Fahrt ist somit geräusch- und erschütterungslos und ermöglicht neben Freizeitvergnügen auch ein Arbeiten wie im Büro – nur eben auf der Reise zwischen den Destinationen. Was 2016 als Ankündigung per Tweet begann und trotz erfolgreicher Jungfernfahrt am 8. November 2020 in Las Vegas zuerst ironisch belächelt wurde, ist eine Dekade später zur normalsten Sache der Welt geworden. Kein Mensch kann sich mehr ein Leben ohne den »Loop« vorstellen. Binnen weniger Jahre hat sich das Tunnelnetzwerk über ganz Amerika erstreckt und über Unterwassertunnel die Westküste mit Japan, Indien und Südkorea und die Ostküste mit West- und Zentraleuropa verbunden. Dies machte auch in den europäischen Regierungsvierteln Eindruck: Die Zukunft rollte geräuschlos an und hinterließ nicht einmal einen Windschatten. Dank der innovativen Bauweise des Hyperloops mit einfach zu implementierenden und erdbebensicheren Tunnelsystemen und Reise-Pods sehen sogar die französischen Highspeed-Züge alt aus.

Alter Kontinent, neue Visionen

In Europa hat man die Zeichen der Zeit nicht verschlafen. Der »Loop« wird auch in der alten Welt Innovationen antreiben und die Arbeitswelt internationalisieren. Ein erstes Vorhaben, 2016 Wien und Bratislava mit einem Hyperloop zu verbinden, scheiterte zuerst einmal an der Frage, inwiefern eine Verbindung in Schallgeschwindigkeit zwischen den beiden sich geographisch am nächsten stehenden Hauptstädten Europas sinnvoll ist. Doch mit dem sich abzeichnenden Erfolg in den USA hat sich auch in Europa ein regelrechter Wettbewerb um »Hyperloop Transportation Technologies« entwickelt: Das Unternehmen Hyperloop One veröffentlichte bereits 2017 unter dem Titel »Vision for Europe« neun Konzepte für Strecken in Westeuropa.

Die längste der geplanten Routen folgt einem kreisförmigen Streckenverlauf, der die deutschen Großstädte Berlin, Leipzig, Nürnberg, München, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln und Hamburg miteinander verbinden soll. Angepeilte Fahrtzeit für die Strecke Berlin-Hamburg sind 20 Minuten. Ein schwerer Schlag für den bereits angeschlagenen innerdeutschen Luft- und Bahnverkehr, aber ein Gewinn für Mobilität und Arbeit. Stellen Sie sich vor: Sie leben mit Ihrer Familie am Prenzlauer Berg in Berlin – und arbeiten täglich im Büro in der Hamburger Hafencity. Noch nie hat sich Pendeln so großzügig angefühlt! Durch eine oberirdische Verlegung der Fahrröhren entlang bereits bestehender Autobahn-Trassen lässt sich zudem Geld sparen – und die konkurrenzlose Geschwindigkeit lockt auch Bahnfahrer an, die der Idee einer unterirdischen Reise zuvor nicht viel abgewinnen konnten.

Aber auch außerhalb Deutschlands wird kräftig geloopt: Neben Verbindungen zwischen Städten sind es vor allem Inseln und Meerengen, für die diese Technologie wie geschaffen zu sein scheint. So werden wir in Zukunft Palma de Mallorca von Barcelona aus in einer halben Stunde erreichen und auch die in Neapel frisch gebackene Pizza wird auf der Rückreise nach Palermo noch warm sein. Im skandinavischen Raum lässt sich dafür mit einer geöffneten Dose Surströmming der Geruch von verrottetem Fisch von Oslo über Stockholm bis Helsinki in sprichwörtlicher Windeseile verbreiten.

Könnte aus einem Science-Fiction-Film stammen, wird aber laut Elon Musk noch im ersten Quartal 2023 produziert: Für den elektrisch angetriebenen, robusten »Cybertruck« gibt es bereits mehr als 250.000 Vorbestellungen. Auf Wunsch kommt eine Camping-Ausstattung dazu. Allerdings wurde der Produktionsstart schon mehrfach verschoben.
© Tesla
Könnte aus einem Science-Fiction-Film stammen, wird aber laut Elon Musk noch im ersten Quartal 2023 produziert: Für den elektrisch angetriebenen, robusten »Cybertruck« gibt es bereits mehr als 250.000 Vorbestellungen. Auf Wunsch kommt eine Camping-Ausstattung dazu. Allerdings wurde der Produktionsstart schon mehrfach verschoben.

Outside of the Loop: Eine Zukunft mit Lufttaxis

So gut die Vision des Herrn Musk klingt, und so sehr man sich hineinträumen mag – noch ist sie ein Blick in die Zukunft, weshalb wir hier aus dem Loop wieder aussteigen. Was dafür bereits heute in Sachen New Mobility entwickelt wird, sollte aber nicht unerwähnt bleiben. Die Logistikbranche ist vorne dabei, momentan wird auf der Expo in Dubai ein Modell des Transportsystems DP World Cargospeed gezeigt, das Waren durch ein Röhrensystem mit bis zu 1000 Stundenkilometern transportieren soll und 2018 von Virgin-Gründer und Visionär Richard Branson erstmals vorgestellt wurde.

Mal eben über einen Stau fliegen, für 30 Kilometer ins Flugzeug steigen – das könnte in nicht allzu ferner Zukunft mit Unternehmen wie »Lilium« Realität werden. Nach Schätzungen sind in der Branche bereits mehrere hundert Firmen aktiv, Investoren fördern Start-ups schon jetzt mit Milliardensummen.
© Lilium
Mal eben über einen Stau fliegen, für 30 Kilometer ins Flugzeug steigen – das könnte in nicht allzu ferner Zukunft mit Unternehmen wie »Lilium« Realität werden. Nach Schätzungen sind in der Branche bereits mehrere hundert Firmen aktiv, Investoren fördern Start-ups schon jetzt mit Milliardensummen.

An der Realisierung eines alten Traums wird ebenfalls gearbeitet: Lufttaxis für Ultrakurzstrecken. Platzhirsch der Szene ist das deutsche Unternehmen »Lilium«, das seit 2020 an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq gelistet ist und in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut und Honeywell ein voll funktionsfähiges Flugtaxi als Zweisitzer und Fünfsitzer-Variation anbietet. 220 davon sollen bereits 2025 in der brasilianischen Metropole São Paulo zum Einsatz kommen – ohne Piloten an Bord.

Eine ökologische Revolution ist mit der Entwicklung von elektrischen Flugzeugen im Gange. Hybrid- und in Folge Vollstrom-Flugzeuge sollen der Luftverschmutzung durch Kerosin ein Ende bereiten. Hybridelektrische Kleinflugzeuge für bis zu 100 Passagiere und mit einer Reichweite von bis zu 1.000 Kilometer werden von Airbus bereits zum Testflug in die Lüfte geschickt. Bei großen Passagierflugzeugen bleibt konventionelle Triebwerkstechnik bis auf weiteres aber noch unverzichtbar – womit wir wieder bei Elon Musk landen. Dieser prophezeit dem klassischen CO2-Sünder »Großflugzeug« nämlich ein jähes Ende durch den klimaneutralen Hyperloop.

Wer das Rennen der New Mobility am Ende gewinnt, ist noch nicht entschieden. Fest steht: Die Gegenwart ist der Motor für das Morgen. Ein Morgen, das vor Kurzem noch als reine Science Fiction bezeichnet worden wäre, in Wahrheit aber schon bald vor unserer Haustüre stehen – oder landen – wird.

Erschienen in
Falstaff Future 2021

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Michael Kirchdorfer
Autor
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