Reisen wird immer populärer, doch die Auswirkungen des Klimawandels immer extremer.

Reisen wird immer populärer, doch die Auswirkungen des Klimawandels immer extremer.
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Zwischen Sehnsucht und Verantwortung: Fliegen ohne Reue

Die CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr sind enorm, und trotz intensiver Bemühungen sind Ingenieure von echten klimaneutralen Lösungen noch weit entfernt. Kann man überhaupt noch ohne schlechtes Gewissen in ein Flugzeug steigen? Oder müssen wir uns schon bald vom alten Menschheitstraum vom Fliegen verabschieden?

Zwischen New York und Berlin, Paris und Wien, Kairo und Tokio – die Luftfahrt verbindet Menschen und Märkte auf der ganzen Welt. Zwei Drittel aller Touristen erreichen ihr Ziel per Flugzeug. In den Vor-Pandemie-Jahren nahm die Zahl der jährlichen Flüge kontinuierlich zu – knapp 47 Millionen waren es allein 2019. 2023 dürfte diese Zahl laut der Zivilluftfahrtorganisation ICAO sogar noch überschritten werden.

Für die coronagebeutelte Branche, die in den Pandemiejahren viele Passagiere verloren hat, ist diese Entwicklung zwar erfreulich, als langfristige Prognose taugt sie allerdings wenig, steckt die Passierluftfahrt doch in ihrer bisher vielleicht größten Krise. Es geht um schwindende Akzeptanz und fehlende Innovationen. Das Fliegen ist in den Mittelpunkt eines Kulturkampfes zwischen Klimaschützern und Kosmopoliten geraten, sodass Reisefieber heute meist nur noch mit einer Begleiterscheinung auftritt: der Flugscham. Sie ist immer dabei, egal ob auf der lang ersehnten großen Reise ans andere Ende der Welt oder beim innereuropäischen Kurzurlaub.

Umweltsünde?: Im Jahr 2019 verursachte der weltweite Passagierluftverkehr rund 785 Millionen Tonnen CO2 und damit etwa 19 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Laut Umweltbundesamt belastet eine Reise mit dem Flugzeug die Umwelt fast sechsmal stärker als eine mit der Bahn.
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Umweltsünde?: Im Jahr 2019 verursachte der weltweite Passagierluftverkehr rund 785 Millionen Tonnen CO2 und damit etwa 19 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Laut Umweltbundesamt belastet eine Reise mit dem Flugzeug die Umwelt fast sechsmal stärker als eine mit der Bahn.

Sekundäre Effekte

Harald Zeiss von der Hochschule Harz im sachsen-anhaltinischen Wernigerode forscht zur nachhaltigen Transformation der Flugbranche. 2011 gründete der Wissenschaftler das Institut für Nachhaltigen Tourismus. Er ist der Auffassung, dass die großen Transformationen in der Luftfahrt uns erst noch bevorstehen, auch weil deren Notwendigkeit immer sichtbarer werde. Die Branche, sagt er, befinde sich gerade in einem fundamentalen Widerspruch: Zum einen werde das Reisen immer populärer und der Flugsektor ökonomisch immer bedeutsamer. Anderseits werden die Auswirkungen des Klimawandels immer extremer, was das Fliegen in seiner bisherigen Form unhaltbar mache.

Ein Blick auf die CO2-Emmisson genügt, um zu sehen, wie problematisch die Luftfahrt für die Umwelt ist. Im Jahr 2019 verursachte der weltweite Passagierluftverkehr rund 785 Millionen Tonnen CO2 und damit etwa 19 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Laut Umweltbundesamt belastet eine Reise mit dem Flugzeug die Umwelt fast sechsmal stärker als eine mit der Bahn. Und selbst wenn es gelänge, diesen Ausstoß deutlich zu senken, wäre das immer noch keine Lösung. »Das liegt daran, dass Flugzeuge neben CO2 noch weitere, deutlich klimaschädlichere Emissionen ausstoßen«, erklärt Zeiss. Kohlendioxid allein sei nur für etwa ein Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens verantwortlich, so der Experte. »Etwa doppelt so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei. Dazu gehören etwa Kondensstreifen und Stickoxide.«

Um dieses Problem zu lösen, haben Wissenschaft und Industrie bereits in den frühen 2000ern das Konzept des »perfekten Flugs« entwickelt. Dabei geht es darum, mit geringstem Ressourcenverbrauch die weitesten Strecken zu überwinden. Eine Reihe von »perfekten Flügen« hat seit 2011 gezeigt, wie sich die Umweltbelastung von Flugzeugen um die Hälfte reduzieren lässt, wenn die modernsten verfügbaren Kraftstoffe, Flugzeugmodelle, Antriebe und Materialeinsatz kombiniert werden. Dazu gehören der Einsatz ökoeffizienter Flugzeuge mit Batterien oder Wasserstofftanks, die Nutzung nachhaltiger alternativer Kraftstoffe und die Optimierung des Flugverkehrsmanagements. Neuste Modelle wie der Airbus A320neo und der A350 XWB zum Beispiel besitzen Triebwerke, deren Verbrauch 15 bis 25 -Prozent tiefer liegt als bei Vorgängermodellen.

Bereits im Jahr 2020 stellte Airbus unter dem Namen »ZEROe« seine Konzepte für die Zukunft des Fliegens vor. Dabei ist Wasserstoff aus erneuerbaren Energien eine der vielversprechendsten Optionen zum Antrieb künftiger Flugzeuge, da bei seiner Erzeugung oder Nutzung kein CO2 entsteht und ein Wasserstoff-Flugzeug somit gar kein CO2 oder andere klimaschädliche Gase ausstößt. Um den Wasserstoff im Linienflugbetrieb bald einsetzen zu können, forscht Airbus an zwei Optionen: etwa an der Verbrennung von Wasserstoff in einer Gasturbine als Antrieb des Flugzeugs – was sehr ähnlich wie die Kerosinverbrennung in den Triebwerken heutiger Modelle funktioniert. Doch diese Technik birgt auch Gefahren, denn der Wasserstoff ist explosiv, weswegen die Flugzeugbauer innovativere Arten des Antriebs erforschen – wie Elektrizität.

Für die Ingenieure bietet der Einsatz von Brennstoffzellen zur Umwandlung von Wasserstoff in elektrische Energie eine ganz neue Möglichkeit, wie das Flugzeug dann angetrieben werden soll. Diese Technik ist noch stärker im Experimentierstadium, wäre aber besonders effizient und sicher, da keine Explosionsgefahr besteht und der Einsatz von Strom einen besonders ruhigen und schnellen Flug ermöglichen könnte.

Doch auch kleinere Innovationen im Bereich der aktuell genutzten Kraftstoffe könnten den Luftverkehr verändern. Airbus hat sich Anfang des Jahres mit dem US-Start-up DG Fuels zusammengeschlossen, um das notwendige Kerosin aus Ökostrom und Holzresten zu produzieren. DG Fuels strebt ab 2026 in einer ersten Anlage im US-Bundesstaat Louisiana zunächst eine Produktionskapazität von 454 Millionen Litern SAF pro Jahr an. Das Unternehmen nutzt zur Herstellung von Kerosin Abfallzellulose, etwa aus der Holzindustrie, und Strom.

Intensive Belastung: Laut Flugbranche trägt die weltweite Luftfahrt drei bis 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei. Sie bezieht sich dabei aber nur auf die CO2-Emissionen. Etwa doppelt so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei. Dazu gehören etwa Kondensstreifen und Stickoxide.
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Intensive Belastung: Laut Flugbranche trägt die weltweite Luftfahrt drei bis 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei. Sie bezieht sich dabei aber nur auf die CO2-Emissionen. Etwa doppelt so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei. Dazu gehören etwa Kondensstreifen und Stickoxide.

Flugverbot für Plastikbesteck

Auch in der Kabine geht es inzwischen um die Nachhaltigkeit: Die Fluggesellschaft Lufthansa gab unlängst bekannt, es sei für das Unternehmen »ein Anliegen, im Catering Einwegprodukte aus Plastik so weit wie möglich durch umweltfreundliche Alternativen zu ersetzen«. Ihre Tochter-Airline Eurowings hat vor vier Jahren ihren Wasserlieferanten gewechselt, von Nestlé zum Sozialunternehmen Share, das für jedes Produkt ein äquivalentes Produkt oder eine Leistung an soziale Projekte spendet und zugleich wiederverwertbare Flaschen einsetzt – so würden pro Jahr mindestens drei Tonnen Neuplastik eingespart. In ähnlicher Weise engagiert sich auch TUI. Seit 2020 hat der Touristikkonzern insgesamt rund 257 Millionen Stück Einwegplastik in seinen Hotels, Kreuzfahrtschiffen, Flugzeugen und Büros durch umweltfreundlichere Alternativen wie beispielsweise Birkenholzbesteck ersetzt. Bis 2025 will das Unternehmen da, wo es geht, vollständig auf Kunststoffartikel verzichten – und zusätzlich seine Lebensmittelabfälle drastisch reduzieren. Als Vorbild könnten Fluggesellschaften wie Japan Airlines und Delta Air Lines dienen. Sie bieten ihren Passagieren an, auf die Bordverpflegung zu verzichten, und spenden das eingesparte Geld im Gegenzug an Entwicklungs­projekte.

Das sind erste Maßnahmen, die Nachhaltigkeit herstellen sollen und die Zukunft des Fliegens maßgeblich prägen werden: Die modernen Jets werden in den kommenden Jahren bei den Fluggesellschaften ältere Modelle ersetzen und somit zusammen mit der Reduzierung von Ressourcen und Abfall im Flugverkehr zu einer Entlastung der Umwelt beitragen, so heißt es vom Bundesverband der Luft- und Raumfahrtindustrie, der für das Innovationspotenzial der Luftfahrt positiv gestimmt ist.

Kritischer sieht es Nachhaltigkeitsexperte Harald Zeiss: Während mittelfristig Elektro- und Wasserstoffantriebe als potenzielle Lösungen für den nachhaltigen Flugverkehr der Zukunft gelten, befinden sich diese Antriebsmittel in einem noch sehr experimentellen und frühen Stadium und seien weit davon entfernt, das Kerosin zu ersetzen und die bestehenden CO2-Emissionen des Flugverkehrs zu verringern. »Es ist ein Rennen gegen die Zeit«, so der Experte. Denn mit dem ökonomischen Aufstieg des Globalen Südens werde sich auch die Nachfrage nach Flugreisen verstärken. Dabei müsste im Durchschnitt jeder Mensch bis zum Jahr 2050 statistisch gesehen zwölf Prozent weniger Flugkilometer zurücklegen als heute, damit wir die notwendigen Einsparungen bei den Treibhausgasen im Flugverkehr erzielen. Die Zukunft des Fliegens dreht sich also um die Frage, wie wir das Recht auf Mobilität und Entdeckung respektieren und andererseits den ökologischen Fußabdruck des zunehmenden Flugverkehrs ­bewältigen können. Die Suche ist in vollem Gange.

 


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Erschienen in
Falstaff Future 2023

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Kevin Hanschke
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