Die KI als Nachhilfelehrer – in einem mittels KI erstellten Bild. Derzeit benötigt sie beim Kreieren von Texten und Bildern freilich noch selbst Nachhilfe. Ein genauer Blick offenbart es: Dem Roboter fehlt ein Bein

Die KI als Nachhilfelehrer – in einem mittels KI erstellten Bild. Derzeit benötigt sie beim Kreieren von Texten und Bildern freilich noch selbst Nachhilfe. Ein genauer Blick offenbart es: Dem Roboter fehlt ein Bein
KI-Artworks © Sophie Erhart

Die unendlichen Weiten der Künstlichen Intelligenz

Die KI läutet eine neue Ära der Technologie ein. Das schürt Ängste und wirft brisante rechtliche Fragen auf. Sie bietet in Arbeitswelt und Schule aber auch bislang ungeahnte Möglichkeiten – und befeuert Innovation.

Künstliche Intelligenz, unendliche Weiten. Wir schreiben den 30. November 2022. Das Internet steht Kopf. – Es ist der Tag, an dem »ChatGPT« für die Öffentlichkeit nutzbar wird, und die ausgeklügelten Ergebnisse lassen sogar die größten IT-Fans staunen. Unterhaltungen mit der neuen künstlichen Intelligenz – kurz: KI – fühlen sich authentisch an, fast so, als würde man sich mit einem guten (und sehr belesenen) Freund unterhalten. Auf Social-Media-Plattformen kursieren schnell die Ergebnisse von Konversationen mit der neuen KI: »Schreibe meiner Freundin eine Nachricht, dass ich mich verspäte – im Stil eines Sonetts von William Shakespeare« oder »Verwandle diesen Sachtext in eine reißerische Rede von Donald Trump«.

ChatGPT ist nicht nur für Spielereien gut, auch wenn diese – zugegeben – viel Spaß machen. Im Alltag beweist die KI ihre Nützlichkeit, zum Beispiel wenn es um das Thema Lebensmittelverschwendung geht: Man kann sie darum bitten, ein Rezept aus den Resten im Kühlschrank zu kreieren. Oder eine kurze Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Arbeit zu erstellen. Außerdem fungiert sie auf Wunsch als Mathematiklehrer, stellt einen Diätplan inklusive Trainingsprogramm zusammen oder wird der Reiseleiter für den nächsten City-Trip. Und sie gibt obendrein Tipps, wie man die Reise möglichst nachhaltig gestalten kann. Die Resultate sind verblüffend eloquent und praktikabel im Alltag – und werden in Windeseile ausgespuckt.

Vor der Schule macht die Veröffentlichung von »ChatGPT« ebenso nicht halt. Dass Schüler ihre Hausaufgaben und Referate von der KI schreiben lassen, gehört für Lehrer zum frustrierenden Schulalltag. KI-Detektoren wie »Scribbr« schaffen zwar Abhilfe, indem sie Plagiate identifizieren und einen Prozentsatz errechnen, wie viel des Inhalts von einer KI erzeugt wurde. Doch auch diese Tools lassen sich umgehen. Ähnlich erstaunliche Resultate erzielt die Software »Midjourney«, die aus Textbeschreibungen, soge­nannten Prompts, Bilder aus dem Nichts erschafft. Sie ist in der Lage, ein Porträt des Lieblingsmusikers im Pop-Art-Stil oder Malbuchvorlagen für Kinder zu erstellen. Ihre besondere Stärke liegt in der Imitation der Fotografie. Mit etwas Übung und den richtigen Prompts werden naturgetreue Bilder von Menschen, Landschaften und Architektur erstellt.

Die Befürchtungen, dass die KI bald Millionen von Jobs vernichten wird, haben sich bis jetzt nicht bestätigt. Sie wird die Arbeitswelt revolutionieren – wohl aber auch zum Besseren.
KI-Artworks © Sophie Erhart
Die Befürchtungen, dass die KI bald Millionen von Jobs vernichten wird, haben sich bis jetzt nicht bestätigt. Sie wird die Arbeitswelt revolutionieren – wohl aber auch zum Besseren.

Der Fehlerteufel

Zugegeben: KI-Tools sind weit weg von Perfektion. »ChatGPT« verdreht oft Fakten und erzeugt ungewollt Fake News, was vor allem an der mangelhaften »Fütterung« mit Daten liegt. Man merkt schnell, dass die Technologie in den Kinderschuhen steckt und man ihren Informationen nicht trauen kann. Man erspart sich den Faktencheck nicht. Doch die KI lernt schnell, man kann ihr selbst beibringen, Fehler zu korrigieren. Auch »Midjourney« hat mit der korrekten Dar­stellung oft Probleme: Für diesen Beitrag baten wir »Midjourney«, ein Retro-Reiseposter vom Wilden Kaiser in Tirol zu erstellen. Das Resultat ähnelt dem Wilden Kaiser zwar, ist aber weit von der Realität entfernt. Offensichtlich wurde die Software im Vorfeld nicht ausreichend mit echten Bilddateien der Gebirgskette »gefüttert«.

Leichter tut sich die KI mit dem Matterhorn: Der ikonografische Berg wird in allen Vorschlägen erkennbar dargestellt. Die Faustregel ist also: Umso eindeutiger das Motiv, desto leichter fällt der KI die korrekte Umsetzung. Mit Textdarstellung tut sich »Midjourney« allerdings schwer (siehe Bild). Wer das Poster kommerziell nutzen will, muss entweder einen Grafikdesigner engagieren oder selbst Hand anlegen. Auch bei künstlicher Fotografie gibt es weiterhin Fehler, doch die Weiterentwicklung ist rasant. Vor drei Monaten zählte man nicht selten sechs Finger an einer Hand, auch Haare wirkten schnell unecht.

Mit dem Release von Version fünf wurden diese Fehler ausgemerzt und Porträts wirken verblüffend echt. So echt, dass sie so manchen Fotografen schlaf­lose Nächte bereiten. Denn auf den ersten Blick wirkt es so, als könnten sie bald arbeitslos sein. Warum sollte eine Werbeagentur den (monetären) Aufwand einer großen Produktion betreiben, wenn sich passende Sujets in Windeseile per App erstellen lassen und die kommerzielle Nutzung der KI-Bilder lediglich 30 Dollar im Monat kostet?

Wilder Kaiser versus Matterhorn: Ein »Retro-Reiseposter«, erzeugt von der KI: Beim Tiroler Gebirgszug links tut sich das Programm noch schwer, das Matterhorn sieht schon besser aus. Schriftzüge schafft »Midjourney« nicht, sie müssen manuell hinzugefügt werden.
KI-Artworks © Sophie Erhart
Wilder Kaiser versus Matterhorn: Ein »Retro-Reiseposter«, erzeugt von der KI: Beim Tiroler Gebirgszug links tut sich das Programm noch schwer, das Matterhorn sieht schon besser aus. Schriftzüge schafft »Midjourney« nicht, sie müssen manuell hinzugefügt werden.

Brisante Rechtsfragen

Doch es gibt einen Haken: Vor Kurzem urteilte ein amerikanisches Bundesgericht, dass per KI erstellte Bilder nicht unter das Urheberrecht fallen. Da es ­keinen menschlichen Autor gibt, existiert auch kein Urheber, dessen Recht man beschützen müsse. ­Folglich ist die kommerzielle Nutzung zwar erlaubt, aber andere können die Bilder ebenso frei verwenden. Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine Corporate Identity!

Auch auf Seiten der Kreativen gibt es Bedenken. Programme wie »Midjourney« werden durch Milliarden von Internetbildern trainiert, Stile zu imitieren. Vergangenen Jänner reichten die Illustratorinnen Sarah Anderson, Kelly McKernan und Karla Ortiz Sammelklage gegen »Stability AI«  (das Software­unternehmen, auf dessen Technologie »Midjourney« fußt) ein. Der Vorwurf: Milliarden urheberrechtlich geschützter Bilder seien ohne Erlaubnis verwendet worden, um die Software zu trainieren. Man sehe darin Urheberrechtsverletzungen, Verletzung des Rechts auf Veröffentlichung und unlauteren Wettbewerb. Im Oktober widersprach dem ein kalifornischer Richter und bezeichnete die Argumentation als mangelhaft – wohl deswegen, weil keine konkreten Bilder kopiert und verwendet wurden. Die Rechtslage ist unklar, die Situation zu neu.

Keine Kunst? Andy Warhol hat David Bowie in Wahrheit nie porträtiert. Doch auf Wunsch erstellt die KI ein Pop-Art-Porträt des Musikers
KI-Artworks © Sophie Erhart
Keine Kunst? Andy Warhol hat David Bowie in Wahrheit nie porträtiert. Doch auf Wunsch erstellt die KI ein Pop-Art-Porträt des Musikers

Während in den USA Bezirks- und Bundesgerichte mit Urheberrechtsfragen beschäftigt sind, wird in der EU intensiv an Ethikrichtlinien gearbeitet. Mit dem »Artificial Intelligence Act« (kurz: AIA) hat man es sich zur Aufgabe gemacht, Regularien für den Einsatz von KI in Wissenschaft und Wirtschaft zu erarbeiten. Die Verordnung soll sicherstellen, dass die Europäer dem vertrauen können, was eine KI hervorbringt, und garantieren, dass die Systeme Menschen nicht schaden.

Sabine Theresia Köszegi, Professorin an der Technischen Universität Wien, ist Teil der Ethik-Kommission. »Ein Kriterium ist Transparenz darüber, woher die Daten kommen, wie sie verarbeitet werden, wer die Auftraggeber sind. Also komplette Transparenz darüber, wie ein System gebaut wird und Entscheidungen getroffen werden«, sagte sie kürzlich im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin »Profil«. Algorithmen zu regulieren, sei außerdem eine schwierige Aufgabe, weil sie schwer erklärbar sind: »Da sie so viele Daten verarbeiten und so komplex sind, können wir nicht erklären, wie sie zu bestimmten Entscheidungen gekommen sind.«

Saftige Strafen

Der aktuelle Entwurf des AIA wird von Experten in vielen Bereichen als mangelhaft angesehen. Auf Seiten der EU wird argumentiert, dass man mit den Richt­linien »AI made in Europe« forcieren und Unternehmensgründungen im Bereich unterstützen wolle. Verstöße sollen hart sanktioniert werden, konkret mit bis zu 30 Millionen Euro oder sechs Prozent des Jahresumsatzes. Diese Strafen sollen für europäische Firmen auch zur Anwendung kommen, wenn die KI-Tools von amerikanischen Unternehmen vertrieben werden. Der deutsche KI-Bundesverband, der KI- und Deep-Tech-Unternehmen vernetzt, kritisiert den Entwurf scharf, da viele Bereiche zu schwammig formuliert seien und ganze Branchen unter Generalverdacht gestellt würden. Wie Firmen die Regulierung in der Praxis leben sollen, sei völlig unklar.

Es verwundert also nicht, dass Innovation hauptsächlich außerhalb der EU vorangetrieben wird. Auch wirtschaftlich spiegelt sich das wider: Unter den top 40 börsennotierten KI-Unternehmen befindet sich kein einziges, das in der EU ansässig ist. Die wenigen europäischen Firmen mit hoher Marktkapitalisierung sitzen in Israel und im Vereinigten Königreich.  Auch in den USA und in China arbeitet man an Regularien, die im Gegensatz zur AIA weniger tiefgreifend sind. Der Fokus liegt zum Beispiel auf der Bekämpfung von »Deep Fakes«. Das sind durch künstliche Intelligenz manipulierte Medieninhalte, in denen Personen Dinge tun oder sagen, die sie nie wirklich getan oder gesagt haben.

Doch man muss nicht zwingend auf gesetzlichen Schutz warten. Ein Team der University of Chicago entwickelte die App »Glaze«, die Künstler davor schützen soll, dass die KI Stilkopien anfertigt. In die online veröffentlichten Originalkunstwerke werden für Menschen unsichtbare Änderungen eingebaut, die den KI-Algorithmus verwirren. »Wenn eine KI keine genauen Daten zum Stil eines Künstlers sammeln kann, dann kann sie die Arbeiten auch nicht kopieren«, erklärt Professor Ben Zhao, einer der Team-Leads des Projekts.

Nahezu perfekt: Die Darstellung von Haaren und Fell ist mittlerweile so naturgetreu, dass sich das Bild nicht mehr von einer echten Fotografie unterscheidet.
KI-Artworks © Sophie Erhart
Nahezu perfekt: Die Darstellung von Haaren und Fell ist mittlerweile so naturgetreu, dass sich das Bild nicht mehr von einer echten Fotografie unterscheidet.

Blick in die Zukunft

Für das Lernen ist künstliche Intelligenz auch eine Chance. Das Schulsystem wird sich verstärkt mit dem »Wie«, nicht mit dem »Ob« auseinandersetzen müssen. Das Österreichische Institut für angewandte Telekommunikation empfiehlt in einem Leitfaden für Lehrer die aktive Integration von KI im Unterricht. Außerdem solle es einen Fokus auf Quellenüberprüfung und Diskussion statt Wissensabfrage geben. Auch ein Fotograf wird sich in Zukunft also nicht nur mit Fotoequipment beschäftigen, sondern auch lernen müssen, richtige Prompts zu schreiben.

Und er wird entscheiden müssen, wann er zur Kamera und wann zur KI greift. Auch um andere kreative Berufe ist es nicht zwingend schlecht bestellt. Als der Musiker Nick Cave mit einem von »ChatGPT« erstellten Songtext »im Stil von Nick Cave« konfrontiert wurde, fiel seine Reaktion heftig aus: Er bezeichnete das Ergebnis in einem Newsletter an Fans als »grausame Verhöhnung« und »groteske Travestie«. Songs, schrieb Cave, entstünden aus menschlichem Leiden, während Algorithmen keine Emotion empfinden. Er bezeichnete den Chatbot als bloße Reproduktion und bezweifelte die Möglichkeit, dass er echte künstlerische Transzendenz erreichen könne. »Dieser Song ist scheiße«, schloss er.

Kein Jobkiller

Befürchtungen, dass die KI Millionen von Jobs aus­löschen wird, bestätigen sich bis jetzt nicht. Das liegt nicht nur daran, dass die Technologie in den Kinderschuhen steckt. Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt verändern, auch zum Positiven hin. Einfache Arbeiten, die oft von überqualifizierten Mitarbeitern verrichtet werden, könnte in Zukunft die KI übernehmen. Ist die rechtliche Grundlage einmal geschaffen, ließe sich auch viel Bürokratie reduzieren. Bei neuen Technologien Widerstände zu verspüren, ist nur menschlich. Dem Zeitgeist kann man allerdings schwer entkommen – und wer schnell lernt, die KI und deren unendliche Möglichkeiten für sich zu nutzen, könnte eine Nasenlänge voraus sein.

(K)ein Echter Wiener: So stellt sich die KI einen Mann in den Straßen von Wien vor. Sie imitiert auf Wunsch auch Kameramodell und Blende.
KI-Artworks © Sophie Erhart
(K)ein Echter Wiener: So stellt sich die KI einen Mann in den Straßen von Wien vor. Sie imitiert auf Wunsch auch Kameramodell und Blende.

Erschienen in
Falstaff Future 2023

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Sophie Erhart
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