Ein guter Panettone ist ein Wunder der Backkunst: ein üppiger Kuchen, der nur dank Sauerteig innen so luftig leicht wird wie ein Croissant.

Ein guter Panettone ist ein Wunder der Backkunst: ein üppiger Kuchen, der nur dank Sauerteig innen so luftig leicht wird wie ein Croissant.
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Panettone: Die Kunst des Backens

Was Bergsteigern die »Eiger Nordwand« ist oder Radfahrern die »Alpe d’Huez«, ist Bäckern der Panettone. Der italienische Weihnachtskuchen mag auf den ersten Blick recht unscheinbar wirken – ihn richtig gut hinzubekommen, ist aber eine hohe, nur von wenigen beherrschte Kunst.

Ein guter Panettone ist die Quadratur des Kreises: Er ist ein ewiges Soufflé, das nie zusammenfällt, so gehaltvoll wie ein Stollen und gleichzeitig so luftig wie ein gutes Croissant. Als wäre das an sich noch nicht schwer genug, darf für einen Panettone keine Bäckerhefe verwendet werden: Nur langsam gegorener Sauerteig bringt hier den üppigen Zutaten wie Butter, Zucker, Mandeln und kandierten Früchten das Fliegen bei.

Eine unvergleichliche Konsistenz

Wenn das Wunder gelingt, dann ist das Ergebnis mitunter spektakulär gut: Der Kuchen hat dann eine wabenartige Struktur mit fast schon obszön großen Luftblasen, und eine unvergleichliche, seidig-saftige Konsistenz, die schon beim Abbeißen (oder Abreißen der Stücke) große Freude macht. Er schmeckt kräftig brotig, zart sauer und angenehm süß, ohne je pickig zu werden, je nach Rezept mit vibrierenden Zitrusaromen oder Nussnoten.

Kein Wunder, dass um guten Panettone in den vergangenen Jahren eine Art Kult entstanden ist. Beflügelt vom generellen Heimbäckerboom und Brothype sind gute Panettone-Bäcker und ihre Werke mitunter zu Internetstars avanciert. In Italien, dem Mutterland des Panettone, wird seit 2020 die Panettone-Weltmeisterschaft ausgetragen, bei der der beste Panettone gekürt wird. Der aktuelle Sieger ist Salvatore di Riso, der  legendäre Patisserien in Minori an der Amalfiküste und in Rom betreibt. Abgesehen von den vergänglichen Preisen gilt Iginio Massari als der vielleicht größte aller Panettonemacher.

Der Kuchen zieht aber mittlerweile auch außerhalb Italiens gute Bäcker an wie Motten das Licht. Deutschlands wahrscheinlich bester Bäcker, Arnd Erbel, ist dem Panettone schon seit 30 Jahren verfallen. Thomas Teffri-Chambelland, einst Biologe, aktuell der vielleicht interessanteste Bäcker Frankreichs, bäckt nicht nur leidenschaftlich Panettone, sondern hat dem Sauerteigkuchen ein ganzes Buch gewidmet. Christophe Louie, französischer Zuckerbäcker mit vietnamesischen Wurzeln, betreibt in Paris gar ein Geschäft, das ausschließlich auf den Kuchen spezialisiert ist und ihn das ganze Jahr über vertreibt – er profitiert davon, dass die »Colomba«, die italienische Ostertorte, auch nichts anderes ist, als ein Panettone in anderer Form. Der aktuell berühmteste aller Panettone-Bäcker kommt ausgerechnet aus Kalifornien: Der gebürtige Israeli Roy Shvartzapel lernte einst bei Panettone-Gott Massari und begann vor ein paar Jahren, Panettone übers Internet zu vertreiben. Mittlerweile verkauft er seine Kreationen für 85 Dollar das Stück – und ist stets ausverkauft. In Italien selbst kosten handwerklich hergestellte Panettone mindestens 35 Euro, jene der Stars werden für 40 bis 50 Euro gehandelt. 

Der hohe Preis liegt aber nicht nur am Hype, sondern hat auch einen guten Grund: Ein handwerklich hergestellter Panettone macht ziemlich viel Arbeit. Zuerst muss der Sauerteig trainiert werden wie ein Spitzensportler: Die Butter, der Zucker und die Früchte werden nur nach und nach zugegeben, damit sich die Hefen im Sauerteig daran gewöhnen können und lernen, mit all der Üppigkeit umzugehen. Der gesamte Gärprozess dauert oft mehrere Tage. Geformt wird der Teig meist nicht einfach auf einem bemehlten Brett, sondern auf einer nassen Oberfläche, damit ja nichts kleben bleibt  – »schleifen« sagen Bäcker zu dieser speziellen Methode der Teigbearbeitung. Und wenn er aus dem Ofen kommt, wird der heiße Kuchen zwischen zwei Stangen kopfüber aufgehängt – sonst würde er, so lange er heiß ist, unter seinem eigenen Gewicht zusammenfallen. Außerdem müssen die Zutaten makellos sein: Nur das beste, stärkste Mehl schafft es, zu solch glorreich-saftiger Größe aufzugehen. Und wer so viel Arbeit investiert, will das Ergebnis natürlich nicht mit mittelmäßiger Butter oder billigen Mandeln verderben.

Wirtschaftswunder Kuchen

Diese modernen Super-Panettone lassen allerdings schnell die proletarischen Wurzeln des Panettone vergessen: groß geworden ist er nämlich nicht als teurer Instagramstar, sondern als für jeden erschwinglicher Luxus aus dem Supermarkt und als Symbol des italienischen Wirtschaftswunders.

Für viele Jahrhunderte war der Panettone überhaupt nur ein ganz normales Weihnachtsgebäck, wie es überall in Europa verbreitet ist. Der Name heißt schlicht »großes« oder »großartiges Brot«. Erste Beschreibungen und Rezepte stammen aus dem späten Mittelalter und lassen vermuten, dass der Panettone ein großer Brotlaib war, der mit Unmengen teurer Zutaten wie Butter und kandierten Früchten gebacken wurde, ähnlich etwa dem deutschen Stollen oder dem Früchtebrot. Im Jahr 1919 hatte dann der Mailänder Bäcker Angelo Motta die revolutionäre Idee, den bis dahin festen Kuchen mit Sauerteig zu backen, und so aufgehen zu lassen wie einen Ballon – mit riesigem Erfolg. Bald darauf eröffnete Motta eine industrielle Produktionsstätte, weitere Firmen, etwa »Alemagna«, folgten dem Beispiel und backten Panettone mit Hefe statt Sauerteig am Fließband. Bald lag der Kuchen zu Weihnachten stapelweise in italienischen Supermärkten. Mit Auswanderern eroberte er außerdem Südamerika, wo er bis heute weit verbreitet ist. Die Firmen »Motta« und »Alemagna« gibt es bis heute.

In Österreich ist die handwerkliche Panettone-Szene noch überschaubar. Die »Konditorei Oberlaa« bäckt bereits seit Jahren eine sehr anständige Version, seit zwei Jahren bietet nun die »Bäckerei Ströck« einen ziemlich guten Panettone an. Firmenchef Gerhard Ströck und Entwicklungsbäcker Pierre Reboul reisten für das Rezept extra nach Turin, um dort über mehrere Tage (und Nächte!) in einer traditionellen Bäckerei die Kunst des Kuchens zu lernen.

Der Panettone ist übrigens eines der ganz wenigen Produkte von »Ströck«, die nicht mit österreichischem Mehl gebacken werden, sondern mit italienischem, weil das einfach die perfekten Backeigenschaften für den Kuchen hat. Um die Eiger Nordwand des Backens zu meistern, sind schließlich auch ungewöhnliche Mittel recht.


Guter Panettone in Wien

Bäckerei Ströck: hat seit zwei Jahren eine eigene
handwerkliche Panettoneproduktion.

Kurkonditorei Oberlaa: bietet seit Jahren einen feinen Panettone an.

Julius Meinl am Graben: hat eine riesige Auswahl an handwerklichen Panettoni aus der ganzen Welt.


Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2022

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Tobias Müller
Autor
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