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»Speakeasy« waren gestern: Das Comeback der Craft-Cocktails steht bevor

Die Barszene in New York gestaltet sich divers. Musikbars treffen auf High-End-Bars, klassische Cocktailbars feiern ein grandioses Revival. Und überall sind Craft-Cocktails das Maß der Dinge. Ein Blick auf einige der angesagtesten Lokalitäten der Stadt.

New Yorks Barszene war in den vergangenen Jahren einer massiven Wandlung unterworfen. In den frühen 2000er-Jahren waren hinter passwortgeschützten Türen versteckte Neo-Speakeasy-Lounges angesagt. Barkeeper wie Dale DeGroff und Sasha Petraske erfüllten die Szene mit Leben und entdeckten dabei klassische Cocktails wieder oder erfanden sie einfach neu. Diese schummrig beleuchteten, meist holzverkleideten Räume zitierten die Zeit der Prohibition, als derartige Etablissements dafür sorgten, dass trotz offiziellen Verbots immer genügend Alkohol ausgeschenkt wurde, und unterstrichen die Wichtigkeit derjenigen, die das Glück hatten, eingelassen zu werden und die Kreationen der Barkeeper zu verkosten. Der Reiz lag hier nicht nur in den köstlichen Drinks, sondern in der Erfahrung selbst. In einer dieser Bars zu sein, bedeutete, dass man Geschmack oder gute Verbindungen hatte (oder beides).

Das »Katana Kitten« im West Village setzt auf authentische japanische Atmosphäre und erstklassige Highballs. Die Liebe des Chefs gehört aber dem Martini.
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Das »Katana Kitten« im West Village setzt auf authentische japanische Atmosphäre und erstklassige Highballs. Die Liebe des Chefs gehört aber dem Martini.

Speakeasys interessieren heute allerdings kaum mehr wen, inzwischen ist die Craft-Cocktail-Szene ins Licht getreten. Ein neues goldenes Zeitalter für Cocktail-Liebhaber ist angebrochen, in dem selbst kleine Res­taurants und Bars mit einem anständigen Programm aufwarten. Und die besten Bars der Stadt sind inzwischen Tempel der Mixologie, in denen primär die Kreativität ihrer Barkeeper zelebriert wird. New Yorks beste Bars zeichnen sich heute besonders durch ihre Opulenz aus, wobei sich jede von ihnen auf ein Thema spezialisiert hat, das dem Chef besonders am Herzen liegt – sei es eine nahezu religiöse Hingabe an den Martini oder einen anderen klassischen Cocktail. Oder die Suche nach dem perfekten Soundsystem für die Bar, das das Cocktail-Erlebnis akustisch begleitet und so in neue Höhen treibt.

Das jüngste Beispiel für diesen Trend sind die sogenannten »Listening Rooms«, die überall in der Stadt gerade aus dem Boden sprießen. »Eavesdrop« in Greenpoint, »Outer Heaven« an der Lower East Side und James Murphys »Nightmoves« in Williamsburg haben allesamt fantastische, maßgeschneiderte Lautsprechersysteme, die sich gleichermaßen an Cocktail-Liebhaber wie High-Fidelity-Fans richten. Das beste System der Stadt befindet sich im »Up-stairs« bei Public Records in Brooklyn, einem Laden, der vegane Snacks, Topcocktails sowie erstklassige Beschallung mit Live Acts oder von DJs bietet und damit für lange Schlangen vor dem Lokal sorgt. Die Cocktails tragen hier Nummern – der »03« (Rum mit Solera Sherry und Löwenzahn) oder der »014« (japanischer Whisky mit Lakritze und Bitter) sind die perfekte Begleitung für eine Hör-Session im »Upstairs«. Das ganze Konzept ist ein Geschenk für audiophile Cocktail-Liebhaber und hebt in NYC gerade ab.

Das »Martiny’s« in Gramercy Park erinnert an einen britischen Herrenclub, der in ein Loft transferiert wurde.
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Das »Martiny’s« in Gramercy Park erinnert an einen britischen Herrenclub, der in ein Loft transferiert wurde.

Big in Japan

Allerdings ist solch eine Symbiose nicht ­jedermanns Geschmack. Viele wollen sich in einer Cocktailbar auf die Cocktails konzentrieren, die Atmosphäre und die Gespräche mit seinem Gegenüber. Wer also eine etwas chaotischere, energiegeladene und gleichermaßen angesagte Cocktailbar im Big Apple sucht, findet sie in Masahiro Urushidos »Katana Kitten« im West Village, wo lange Abende mit köstlichen Highballs programmfüllend gestaltet werden. Der »Toki Highball« etwa ist perfekt, aber es sind vor allem Drinks wie der »Hinoki Martini« (eine Kombination aus Martini und traditionellem Sake), bei denen Uru­shido mit seinem fundierten Cocktailwissen glänzt. Die eleganten Cocktails werden durch die kunstvoll arangierte Shabby-Atmosphäre der Bar wunderbar abgerundet. Und Fans sowie neugierige Hobby-Mixologen können sich sein kürzlich erschienene »Japanese Art of the Cocktail« besorgen, das den »Hinoki Martini« und viele weitere seiner Rezepte enthält.

Ebenso japanisches Flair, allerdings wesentlich luxuriöser zelebriert, erwartet einen in Takuma Watanabes »Martiny’s« in Gramercy Park, einer dreistöckigen Bar-Lounge, die in Opulenz nur so badet. Die Atmosphäre erinnert an einen britischen Herrenclub, der in einem New Yorker Loft untergebracht wurde – arrangiert von einem japanischen Qualitätsfanatiker. Gäste werden mit warmen Oshibori-Handtüchern und einer erlesenen Getränkekarte empfangen. Die Cocktails der klassisch angehauchten Auswahl sind auf den Punkt und werden in prächtigen Kristallgläsern serviert. Sie passen perfekt zum kulinarischen Angebot von Küchenchef Wayne Cheng, der zuvor im Sushi-Tempel »Masa« und im »Eleven Madison Park« gearbeitet hat.

Cocktails 2.0

Wenn Sie Ihr Abendessen doch lieber in flüssiger Form zu sich nehmen, gibt es keinen besseren Ort als das hochgelobte »Double Chicken Please« von GN Chan und Faye Chen auf der Lower East Side, das im vergangenen Jahr auf Platz sechs der »World’s 50 Best Bars« landete. Der vordere Raum des »Double Chicken« bietet traditionelle Dinner und wechselnde Cocktails vom Fass. In der dahinter gelegenen Lounge spielt jedoch erst wirklich die Musik: Im »Coop«, wie der Raum liebevoll genannt wird, widmet man sich der Dekonstruktion und Neuinterpretation der Geschmacksprofile von Speisen in Cocktails, in denen sich die Essenz der einzelnen Gerichte wiederfinden soll. Klingt sperrig, ist aber atemberaubend. »Mango Sticky Rice«, »Red Eye Gravy« und »Japanese Cold Noodle« sind allesamt betörend gut. Publikumsliebling ist jedoch ganz klar der »Key Lime Pie«, für den Spirituosen von Lars Williams bahnbrechendem »Empirical« verwendet werden, um einen ätherisch-köstlichen Cocktail zu kreieren, der genau wie ein Key Lime Curd mit Graham-Cracker-Kruste schmeckt. Nicht weniger als ein Meisterwerk im Glas.

Hier geht's zum »Hinoki Martini« Rezept               Hier geht's zum »Key Lime Pie« Rezept

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Meisterwerke kommen in allen Farben; für Architekturfans gibt es die Skyline von New York City und eines der Art-Déco-Meisterwerke der Stadt, das eine der großartigsten Cocktailbars der Stadt beherbergt. Das »Overstory« liegt im 64. Stock des 1932 erbauten Wolkenkratzers 70 Pine Street im Financial District. Unter der Leitung des herausragenden Barmanagers Harrison Ginsberg, der auch für die Schwesternbars »Saga« mit zwei und »Crown Shy« mit einem Michelin-Stern verantwortlich zeichnet, serviert das Team des »Overstory« einige der besten und komplexesten Drinks – mit einem der bestem Ausblicke auf New York. Probieren Sie den köstlichen und zum Ausblick passenden »In the Clouds« oder den »Montego Slay«, einen echten Dauerbrenner. Und im Anschluss geht es auf die Aussichtsplattform für einen 360-Grad-Ausblick auf diese einzigartige Metropole.

Oder haben Sie Höhenangst? Dann versuchen Sie es mit Kunst. Als die Neo-Speak­easys langsam an Beliebtheit verloren, begann eine noch ältere New Yorker Institution langsam wieder zu strahlen: die Jazzbar. Und es gibt vor allem eine, die in der Ära der Craft-Cocktails einen Nerv trifft: »Bemelmans Bar« auf der Upper East Side im »Carlyle Hotel«,  benannt nach dem Schriftsteller und Maler Ludwig Bemelmans, der die Wände der Hotelbar bemalte, um seine Hotelrechnung bezahlen zu können. Diese Bar ist der ideale Ort für Cocktail-Klassiker wie Martini oder »Manhattan«. Und während ein Jazz-Quartett mit melancholischen Stücken für Atmosphäre sorgt, lehnt man sich zurück, nimmt einen Schluck und denkt: Was für eine großartige Stadt.

Hier geht's zum »Montego Slay« Rezept                    Hier geht's zum »Manhattan« Rezept

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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Will Farley
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