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»Karakterre«: Biowein Boom in Amerika

Biologische, biodynamische und naturbelassene Weine erfreuen sich gerade im weltoffenen New York City immer größerer Beliebtheit. So mancher österreichische Winzer trägt zu diesem Erfolg bei.

Never abgefickt. »Oh, that is so cute.« Das ist ja niedlich. Die US-Amerikanerin Samantha schnappt sich einen der Aufkleber mit dem Weinfass und dem provokanten Slogan des Golser Winzers Andreas Gsellmann. Wie es dazu kommt? Der Burgenländer präsentiert, umgeben von Wolkenkratzern, seine Weine auf dem begrünten Dach des Rockefeller Centers – und das gemeinsam mit zahlreichen anderen österreichischen Winzern.

Die »Karakterre«, die führende Messe für biologische, biodynamische und naturbelassene Weine in Mittel- und Osteuropa, hat erst unlängst in New York City haltgemacht. Mehr als 70 Winzer aus Österreich, aber (unter anderem) auch aus Frankreich, Deutschland, Italien, Slowenien und Serbien sind dem Ruf von »Karakterre«-Macher Marko Kovac, der den Weinsalon vor mehr als zehn Jahren in Österreich aus der Taufe hob, gefolgt und in die USA gereist. Und das aus gutem Grund: In den USA ist die Nachfrage nach Bioweinen größer als fast überall sonst. Das spürt man dieses Jahr auch auf dem Rockefeller Center. Der Andrang ist größer als beim ersten Event vergangenes Jahr. Es herrscht Partystimmung, im Hintergrund dröhnt Rockmusik aus den Lautsprechern. Im Stimmengewirr versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Weineinkäufer, Sommeliers, Küchenchefs der großen Restaurants und Hotels, aber auch ganz normale Weinliebhaber – wie Samantha – sind gekommen, um zu probieren.

Jung, dynamisch, undogmatisch

Samantha beugt sich vor: »Was bedeutet der Slogan eigentlich?« Gsellmann schmunzelt: »Das heißt: nie abgefickt, kein konstruierter Industriewein. Für Weintrinker, die nicht nur den Alkohol und den Rausch suchen, sondern auch den Genuss dahinter verstehen. Die Botschaft, die wir vermitteln: Natur, Bekömmlichkeit mit Essen und Trinken vereinen.« Samantha nickt nachhaltig, während das Gelernte einsickert. Den Slogan hat Gsellmann gemeinsam mit seinen Importeuren aus Los Angeles entwickelt – extra für den US-amerikanischen Markt. Den Aufkleber will Samantha dann doch nicht. Aber den Blaufränkisch aus dem Burgenland, den probiert sie gerne.

Für den US-amerikanischen Markt hat sich so mancher Winzer ein anderes, mutigeres Vermarktungskonzept überlegt – flotte Sprüche inklusive.
Für den US-amerikanischen Markt hat sich so mancher Winzer ein anderes, mutigeres Vermarktungskonzept überlegt – flotte Sprüche inklusive.

Die Familie von Andreas Gsellmann betreibt seit dem Jahr 1800 Weinbau, und das auf konstant hohem Niveau. Das Weingut bewirtschaftet 19 Hektar Rebfläche im Weinbaugebiet Neusiedlersee, seit 2010 biodynamisch. Andreas ist Mitglied von Respekt, einer Gruppe »junger, dynamischer und undogmatischer Winzer« aus Österreich, Deutschland und Ungarn.

In den USA zählen die »Brands«

Weltweit wuchs der Markt für Bioweine in den vergangenen fünf Jahren um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr. In den USA war die Nachfrage in den vergangenen Jahren mit plus sieben Prozent überdurchschnittlich hoch – vor allem bei den Jungen, den »Millennials«, kommt er gut an. Nur in China ist der Anstieg des Bioweinkonsums laut »International Wine and Spirits Record« (IWSR) noch höher. Das Unternehmen mit Sitz in London erstellt Analysen für die Getränkeindustrie. Steigende Lebenshaltungskosten, fand man zuletzt heraus, könnten in Zukunft dazu führen, dass weniger alternative Weine gekauft werden. Diese seien oft teurer, würden von den Verbrauchern aber noch nicht immer mit höherer Qualität oder besserem Geschmack in Verbindung gebracht. Zudem seien viele alternative Weine noch wenig bekannt. Und: In den USA, Australien, Großbritannien und China vertraut mehr als die Hälfte der regelmäßigen Weintrinker nur dann auf die Nachhaltigkeit der Weine, wenn diese offiziell zertifiziert sind. Veranstaltungen wie die »Karakterre« in New York City können dabei helfen, die Bekanntheit und das Vertrauen zu steigern.

Wenige Meter weiter setzt der burgenländische Winzer Martin Nittnaus nicht auf provokante Aufkleber. Seine Flaschenetiketten sind für ihn Werbung genug. Während es an den meisten Ständen am späten Nachmittag noch genug zu verkosten gibt, ist sein Wein mit dem Namen »Elektra« längst ausgetrunken. »Man glaubt gar nicht, wie schnell er weg war«, sagt er. »Elektra? Das ist einfach ein cooler Name. Man muss den Leuten etwas geben, worunter sie sich etwas vorstellen können«, sagt Nittnaus. »In Österreich fragen mich die Leute nach der Oper ›Elektra‹, nach Richard Strauss. Hier fragen mich die jungen Leute nach Carmen Electra, der Sängerin und Schauspielerin, die bei ›Baywatch‹ mitgespielt hat. Eigentlich ist es völlig wurscht – es funktioniert.« Und damit spricht er einen Elefanten im Raum an: »Brands« sind unglaublich wichtig. »Der Wert eines Weins wird oft nicht daran bemessen, was in der Flasche ist, sondern an der Aura, an dem, was auf dem Etikett erscheint.«

In der Topgastronomie

Natural Wines finden sich immer häufiger auf den Weinkarten in den amerikanischen Restaurants und Weinbars. Mit »Waves« gibt es in New York sogar eine eigene Plattform für Naturweine. Preisgekrönte Sommeliers wählen dafür die besten Naturweine der Welt aus. Mit dabei ist etwa »Meinklang« von Niklas Peltzer und der Familie Michlits, die in Pamhagen einen der größten biodynamisch bewirtschafteten Höfe Europas betreiben. Als
»adventurous«, also abenteuerlich wird der »Sparkling Pinot Noir« in den USA beschrieben.

Auch Michelin-Restaurants in New York City setzen Bio- und Naturweine auf die Karte.
Auch Michelin-Restaurants in New York City setzen Bio- und Naturweine auf die Karte.

Auch Michelin-Restaurants in New York City setzen Bio- und Naturweine auf die Karte. Das »The Four Horsemen« war eines der ersten. So hat man etwa »A Glimmer of Hops« vom Weingut Weninger aus Horitschon im Mittelburgenland auf der Karte, einen biodynamischen Blaufränkischen, der mit Wildhopfen aromatisiert ist. Der Hopfen hat sich vor ein paar Jahren rund um einen der Obstgärten angesiedelt und wurde schließlich bei der Gärung dem Wein hinzugefügt. Solche Geschichten lieben die Fans der Naturweine.

Winzer Michael Kertelics wiederum hat zur »Karakterre« etwas mitgebracht, mit dem keiner der anderen hier mithalten kann: einen Uhudler aus amerikanischen Hybridtrauben, natürlich ohne Pestizide im Weinberg. »Das ist unser Superheld. Ein berühmtes Getränk in Österreich«, so bewirbt er ihn. Während manch einer die Augenbrauen hochzieht, wagen viele einen Schluck nach dem anderen. Nur eines ist sicher: Wer den Uhudler probiert hat, braucht nachher ein neues Glas. Die Aromen sind intensiv.

Das Fazit ist ein positives. Vielleicht ist es ja wie so oft mit (österreichischen) Erfolgsgeschichten: Sie beginnen nicht daheim, sondern im fernen Ausland.

Glossar: Naturbelassen, Bio und Biodynamisch

  • Naturbelassener Wein: Das Prädikat »naturbelassener Wein« verspricht eine Weinbereitung mit minimalen Eingriffen. Es kommen keine chemischen Zusätze zur Anwendung und es werden keine technologischen Eingriffe vorgenommen. Ziel der Winzer ist es, den Wein ohne synthetische Hilfsmittel oder Zusatzstoffe zu erzeugen.
  • Biowein: Biowein wird aus Trauben hergestellt, die nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus angebaut wurden. Das bedeutet, dass im Weinberg keine synthetischen Pestizide, Herbizide oder chemisch-synthetische Düngemittel -eingesetzt werden. Der ökologische Weinbau konzentriert sich auf ökologisch nachhaltige Praktiken. Der Schutz der Umwelt und die Förderung der Biodiversität stehen im Vordergrund. Im Weinkeller werden weniger chemische Zusätze verwendet. Sulfite, die normalerweise als Konservierungsmittel zugesetzt -werden, sind nur in begrenztem Umfang erlaubt.
  • Biodynamischer Wein: Der biodynamische Weinbau basiert auf den Prinzipien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft nach Rudolf Steiner. Er geht über den ökologischen Landbau hinaus und berücksichtigt Anbaumethoden, die den Mond- und Planetenzyklen folgen, sowie spezielle Präparate zur Förderung der Boden- und Pflanzengesundheit. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung eines geschlossenen, nachhaltigen Ökosystems im Weinberg. Der Weinberg wird oft als Lebewesen betrachtet. Die Verwendung von Zusatzstoffen ist stark eingeschränkt, einschließlich der Zugabe von Schwefeldioxid.

In Österreich werden laut Österreich Wein Marketing GmbH mittlerweile rund 25 Prozent der gesamten Rebfläche nach der Zertifizierung »Nachhaltig Austria« bewirtschaftet. Insgesamt hat Österreich in den vergangenen Jahren eine -bemerkenswerte Entwicklung in der Bioweinproduktion erlebt. 22 Prozent der Fläche werden biologisch bewirtschaftet, etwa 15 Prozent der Bioweinbaufläche biodynamisch – das entspricht drei Prozent der Gesamtweinbaufläche.


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Erschienen in
Falstaff Future 2023

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Angelika Ahrens
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