Unter hohen Kastanienbäumen trinkt man im »Schweizerhaus« ein frisch gezapftes Bier – und natürlich muss es nicht bei einem bleiben!

Unter hohen Kastanienbäumen trinkt man im »Schweizerhaus« ein frisch gezapftes Bier – und natürlich muss  es nicht bei einem bleiben!
© Redtenbacher / Schweizerhaus

Von Traditionsbräu bis Craft Beer: Auf der Spur der Wiener Bierkultur

Wiens Bierkultur bietet ein breites Spektrum zwischen alter Tradition und modernem Craftbier – und die Lokale bilden diesen Mix gut ab. Nicht jeder Bierfreund wird sich aber in jedem Bierlokal gleich wohlfühlen – und das hat einen Grund.

Was ein gutes Bierlokal ausmacht? In erster Annäherung kann man wohl sagen: das gute Bier, das man dort bekommt. Aber da kann man schon trefflich zu streiten beginnen. Denn was gutes Bier ausmacht, das wird von sehr unterschiedlichen Lagern von Bierfreunden auch ganz unterschiedlich bewertet.

Was ist »gutes Bier«?

Da sind auf der einen Seite die Traditionalisten: Diese Biertrinker sind überzeugt, dass nur ihre Lieblingsmarke gut schmeckt – weil diese Marke schon immer gut geschmeckt hat. Und weil man sie am besten immer im selben Lokal trinkt. Geht es besser als im »Schweizerhaus«? Oder in der »Gösser Bierklinik«? Oder im »Fischerbräu«? Da trinkt man gerne auch mal ein Krügerl mehr – und spottet über die Biersnobs, die täglich ein anderes Bier wollen, je ausgefallener, desto lieber.

Diese Biersnobs würden sich selbst natürlich nie so nennen. Bierconnoisseur vielleicht. Oder Beer Geek. Aber jedenfalls erhaben über jene, die das Bier halbliter- oder literweise in sich hineinschütten. Bier in großen Mengen zu trinken, ist in diesen Kreisen sowieso verpönt – das sei doch keine Bierkultur.

Oh, doch! Zur Bierkultur gehört ja, dass man sich beim Bier zusammensetzt und unbeschwert davon trinkt – das hat für die Wiener schon immer gegolten. Schon zu den Zeiten der großen Bierhallen und Biergärten, als in »Zobels Bierhalle« (die einst beim Westbahnhof war) noch Johann Strauss, in jener ebenfalls verschwundenen von Neuling in der Ungargasse Joseph Lanner und im »Schweizerhaus« Carl Michael Ziehrer mit ihren Orchestern aufgespielt haben. Viele Musikstücke, die man heutzutage beim Neujahrskonzert im festlich geschmückten Musikvereinssaal hört, haben ihren Ursprung beim Bier gehabt. Der Punkt geht also an die Traditionalisten. Allerdings mit einer Relativierung: Das Bier hat sich seit der großen Zeit von Wiener Walzer und Wiener Lagerbier verändert. Bis hin zur Unkenntlichkeit, möchte man sagen. Die hellen Biere, wie wir sie heute serviert bekommen, wenn wir in Wien »ein Bier« bestellen, hat es zur Zeit von Strauss & Co noch nicht gegeben – mit Ausnahme des Pilsner Urquells, das nach und nach seinen Weg in die Haupt- und Residenzstadt gefunden hat. Dieser Stil hat dann die halbdunklen Wiener Biere verdrängt, ein Jahrhundert lang galt hell und klar filtriert als das Kennzeichen guten Biers. Erst in den letzten 30 Jahren ist nach und nach das Wiener Lagerbier wieder zur Ehre gekommen. Auf Initiative kleiner Brauer, unterstützt von neugierigen Bierfreunden, den vorher geschmähten Biersnobs. Also: auch ein Punkt für jene.

Wo man sich trifft

Laufen diese Gruppen einander überhaupt wirklich über den Weg? Tatsächlich gibt es in Wien Lokale, wo das möglich wäre: im »Holunderstrauch« zum Beispiel. Hier ist eine Hochburg des Schwechater Biers, Hopfenperle gibt’s vom Fass und das berühmte Zwickl, im Advent auch mal als Bockbier. Und das von Braumeister Andreas Urban wiederbelebte Wiener Lager, dieses allerdings aus der Flasche. Aus der Flasche dann auch die eine oder andere Spezialität, etwa von Rodauner – schließlich verkehren hier neben den Traditionalisten auch viele Studenten, unter denen es etliche Beer Geeks gibt.

Da ist eben Biervielfalt gefragt. Und die kann man mehr oder weniger breit interpretieren. Was war das für eine Sensation, als 1980 auf dem Rabensteig das »Krah Krah« eröffnet hat! Zu einer Zeit, als das Bierkartell den Markt noch fest im Griff hatte, gab es erstmals die Biere kleiner Brauereien in Wien zu kosten. Und nicht nur Märzen- und Pilsbiere, sondern auch das eine oder andere Weizenbier! Seinerzeit eine absolute Seltenheit! Traditionalisten waren anfangs freilich skeptisch, ihnen reichte damals aus, dass in der nahen »Gösser Bierklinik« das Bier aus Leoben perfekt in allen Größen gezapft wurde. Braucht man mehr? Ja, doch: Eine neue Generation von zu jener Zeit jungen Biertrinkern machte das »Krah Krah« zu einem Eckpfeiler des Bermudadreiecks. Inzwischen sind viele aus dieser Generation selbst ergraut – und verteidigen als Traditionalisten das gediegene Angebot.

Andere sind weitergezogen. Ins »Känguruh« zum Beispiel. Diese kleine Bierbar hat es inzwischen auch auf knapp 40 Jahre gebracht – und als einziges Wiener Pub mit belgischem Bierschwerpunkt internationalen Ruhm eingeheimst. Dabei war es anfangs nicht einfach, dem lokalen Publikum saure Lambics oder alkoholreiche Triples aus Flandern nahezubringen. Und erst recht die heimischen Craftbiere, die Fredi Greiner im Lauf der Jahre ins Programm genommen hat! Zu bitter, zu süß, zu stark für Traditionalisten? Wenn schon! Für die gibt es ja immer auch ein Lagerbier einer Mittelstandsbrauerei am Hahn.

Apropos Zapfhahn: Da hat sich auch viel getan. Klar lohnt es sich, den Kellnern auf die Finger zu schauen. Aber inzwischen hat sich in den Wiener Bierlokalen herumgesprochen, dass der Auslauf des Zapfhahns eben nicht in das Glas oder gar ins Bier hineinragen darf. Und dass man schon gar nicht das Bier aus zwei verschiedenen Gläsern zusammenschütten darf. Kommt heutzutage glücklicherweise kaum noch vor – vielleicht ist das jener Fortschritt der Bierkultur, auf den sich alle Bierliebhaber verständigen können.

Hohe Bier-Kompetenz

Wobei ja manches an der Bierkultur ohnehin nicht mit Fassbier zusammenhängt – wenn es nicht gerade um unfiltrierte Zwickl- oder Kellerbiere geht. Aber Biervielfalt lässt sich eben eher mit Flaschenbieren darstellen – gut 200 stehen auf der Karte des »Känguruh«, nicht ganz so viele, aber klug zusammengestellt und auf der Bierkarte kundig kommentiert, auf der Karte des »Stadtboden«. Dieses Lokal, ein Aushängeschild der Ottakringer Brauerei in der Innenstadt, hat sich hohe Kompetenz mit seinem Craftbierangebot geschaffen: Neben dem Wiener Original (der Ottakringer Version eines Wiener Lagers), zwei weiteren untergärigen Bieren und einem Weizenbier gibt es auch Pale Ale und India Pale Ale vom Fass. Das Flaschenbierangebot – mit raren Bieren aus Polen, Estland, den USA, England und natürlich Belgien – lässt auch bei Beer Geeks kaum Wünsche offen. Dass das Ganze in modern-urbanem Ambiente angeboten wird, gehört dazu.

Oder etwa nicht? Szenenwechsel ins »Grünspan«, ein weiterer Ottakringer Vorzeigebetrieb, bespielt von der Familie Plachutta, was für die Qualität der Speisen bürgt. Hier aber in jenem Ambiente, das in den letzten Jahrzehnten viele Wiener Bierlokale geprägt hat: Tischplatten aus hellem, Stühle aus dunklem Holz und darüber kupferne Lampenschirme, die für ein Lichtdesign sorgen, das diese Lokale von ähnlich angelegten Heurigenrestaurants unterscheidet. Immerhin: Im »Grünspan« war bis vor 22 Jahren tatsächlich ein Heuriger – er wurde vorsichtig auf Bierlokal mit Biergarten hin getrimmt und sieht so aus, als wäre er immer schon rein bierig aufgestellt gewesen. Ein idealer Treffpunkt für Bier-Traditionalisten: Mit Craftbier (das die Ottakringer durchaus im Programm haben) werden sie hier nicht behelligt.

Überhaupt stößt man außerhalb des Gürtels oft auf beachtliche Bierkompetenz. Etwa im »Hawidere«, das sich als »eines der letzten Wohnzimmer Wiens« definiert. Definitiv eher ein Treffpunkt für die Beer Geeks – auch wenn sich die Traditionalisten am Schremser Bier erfreuen können –, sowohl die Getränke- als auch die Speisekarte orientieren sich mehr am Angebot amerikanischer Multi-tap-Bars.

Den Einfluss der internationalen Craftbierszene, ja, überhaupt der Bierimporte, auf die Entwicklung der Wiener Bierkultur kann man ohnehin kaum überschätzen. Pilsner Urquell, das sich augenzwinkernd als das allererste Craftbier der Welt zu positionieren versucht, war schon im 19. Jahrhundert Wegbereiter – die »Gösser Bierklinik« war bis vor 100 Jahren noch die »Pilsner Bierklinik« und auch das »Schweizerhaus« war ein Pilsner-Posten, ehe die Familie Kolarik die Vorzüge des Budweiser erkannte und dieses nach Wien brachte. Und neben den tschechischen waren es die deutschen Biere, die in den Wiener Lokalen für Abwechslung gesorgt haben – bis dann in einer Seitengasse der Naglergasse das erste Irish Pub aufgesperrt und den Wienern den Geschmack des irischen Stout nähergebracht hat.

Amerikanische Einflüsse blieben allerdings bis zur amerikanischen Bierrevolution der 1980er- und 1990er-Jahre bescheiden – American Bud und Corona Extra sind eher Randerscheinungen der Szene: Für Traditionalisten sind diese Biere zu schlank. Für Geeks erst recht, denn diese suchen ausdrucksstarke Biere – je extremer, desto lieber. Und das haben in den vergangenen drei Jahrzehnten die Biere der amerikanischen und britischen Szene verlässlich geliefert, bis dann auch in Österreich junge Brauer auf die Idee gekommen sind, mit obergäriger Hefe, viel Hopfen, viel Malz und vor allem viel Mut ausdrucksstarke Biere zu brauen.

Mutig in die neuen Zeiten

Und diese findet man in Wien, wie gesagt, häufig außerhalb des Gürtels. Etwa im »Velobis«, einer schrägen Kombination aus Fahrradladen und Bar in der Nähe vom Technischen Museum. Oder im »Bierraum«, der vor einigen Jahren in Hernals aufgepoppt ist und modernes Bierverständnis in die sonst so traditionell geprägte Biergasthauskultur der Vorstadt gebracht hat. Hinter der Stadthalle bellt der linksalternativ wirkende »Brauhund« und bietet eine Reihe von prononciert bitteren Bieren an – und quasi zum Vergleich (oder zur Erholung der Geschmacksknospen) das milde Tegernseer Helle.

Der Trend zum Hellen bayerischer Brauart ist quasi die Gegenbewegung zum immer intensiver schmeckenden Craftbier: Man muss kein Traditionalist sein, um Augustiner, Bayrbeuther oder eben Tegernseer Helles für Kultbiere zu halten; es schadet aber auch nicht.

So finden die Beer Geeks und Traditionalisten schließlich doch zusammen. Beim »Brandauer« in Hietzing ist das räumlich treffend gelöst: Das prachtvolle Schlossbräu mit seiner biedermeierlichen Stuckausstattung lockt ebenso wie der Biergarten im Hof die gestandenen Biertrinker an: Hier dominiert das Zwettler und das in der Zwettler Nachbarstadt Weitra gebraute Hadmar. Aber in der benachbarten Bierstube zeigt das Brandauer-Team, dass es durchaus auch Kompetenz im Craftbier-bereich hat: Da findet man sogar den Eisknacker, einen zwölfeinhalb Prozent starken Barley Wine. Was da wohl das bessere Bierlokal ist? Das zu entscheiden, bleibt dem Gast überlassen.

DIE 24 BELIEBTESTEN BIERLOKALE IN WIEN


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Wien Special

Zum Magazin

Conrad Seidl
Autor
Mehr zum Thema