Ein genussvoller Abend kann beginnen: Aperitivo in der «Dachboden»-Bar im Wiener «25hours Hotel». 

Ein genussvoller Abend kann beginnen: Aperitivo in der «Dachboden»-Bar im Wiener «25hours Hotel». 
© Stephan Lenke/ 25hours Hotel Wien

Die Lustmacher

Der Aperitif ist meist der erste Drink des Abends, der ­Stimmungsmacher für alles, was danach folgt. Ob ­prickelnd, bitter oder süss – jedes Land hat seine eigene, unverwechselbare Aperitifkultur. Ein Streifzug.

Jedes klassische Konzert beginnt mit einer Ouvertüre. Und was wäre eine ausdrucksstarke Rock-Ballade ohne ein virtuoses Intro? Auch eine köstliche kulinarische Komposition oder ein Abend der Geselligkeit sollten mit einem entsprechenden Auftakt zelebriert werden. Je nachdem, wo wir uns befinden, erwägen wir einen Aperitivo, Aperitif, Apéro oder Pre-Dinner-Drink.
Historisch betrachtet ist es die Aufgabe des Aperitifs, die abendliche Mahlzeit einzuleiten. Genauer, den Magen aufzuschliessen, wie bereits die alten Lateiner wussten. Die Wortwurzel «aperire» bedeutet öffnen. Christian Gentemann, Bar-Manager der «Bar am Steinplatz» in Berlin, nennt die Bestandteile für ein ideales Aperitif-Vergnügen: «Kräuter und leichte Bitter-Aromen wirken herrlich stimulierend, genauso wie Kohlensäure. Sehr beliebt sind dabei ein Glas Champagner oder ein Pils. Selbstverständlich sind auch zahlreiche Cocktails mit diesen Bestandteilen möglich, aber zu kräftig und alkoholisch sollten sie nicht sein.»
Im Norden ist die Apéro-Kultur noch längst nicht so verbreitet wie im Alpenraum und rings um das Mittelmeer. Daher schickt Gentemann stets einen Gruss aus der Bar zu den Gästen ins angeschlossene Restaurant, meist abgestimmt auf das Amuse-Gueule der Küche: «So führen wir die Gäste an die Vielfalt und Freude am Aperitif heran.»

Aperitivo Italiano

In Italien ist eine solche Nachhilfe nicht erforderlich. Wer durch die Mailänder Bars flaniert, spürt sofort, dass die Aperitivo-Zeit bereits mittags beginnt. Einer der herrlichsten Aperitivos und gleichsam Inbegriff italienischer Lebensart stammt aber aus Florenz. Ein italienischer Graf kehrte 1919 von einer Abenteuer-Reise aus den USA zurück in die Heimat, wo zu der Zeit der «Americano» gross in Mode war. Die Mixtur aus Campari, süssem Wermut und Soda-Wasser war dem Grafen zu schwach, und so kreierte der Barmann der Bar «Casoni» eine kräftigere Variante aus Campari, Wermut und Gin. Der Drink wurde ein voller Erfolg. Der Name des Grafen? Camillo Negroni. Eine Schweizer Variante schmeckt wunderbar mit dem Gran Classico Bitter.
Für die Schweiz ist der Apéro ein wichtiger Bestandteil des Tagesablaufs zwischen Büroschluss und Abendessen. Wolfgang Bogner betreibt die «Tales Bar» in Zürich und kennt die Gewohnheiten: «In manchen Bars ist die Apéro-Zeit stärker als das Abendgeschäft. Es gibt hier sehr viele internationale Firmen mit Büros in der Stadt, und so hat man eine sehr schöne Mischung aus Zürchern und internationalen Gästen. Insbesondere in der Innenstadt und im Bankenviertel werden mit dem Apéro die Kontakte gepflegt. Getrunken werden gerne Wein, Bier, Schaumwein – das berühmte Cüpli – oder Highballs. Daneben bieten wir gerne leichte Drinks an, sodass unsere Gäste den Abend gut überstehen. Aber natürlich machen wir auch gerne mal einen schönen Martini-Cocktail für die, die lieber trinken als essen.»
Die Vielfalt der Alpenkräuter und Wurzeln und deren förderliche Wirkung auf Appetit und Verdauung sorgen für zahlreiche Spezialitäten rund um Wermut, Absinth oder Bitter. Ein berühmter Schweizer Vertreter ist der Martinazzi Bitter der mit Soda, Grapefruit oder Orangina genossen wird.   

Von Paris bis Barcelona

Frankreich gilt vielen als Wiege des Aperitifs schlechthin. Herrliche Wermut-Varianten von trocken bis süss, die stimulierenden Facetten -eines Pastis auf Eis oder ein Kir Breton, ein Crème de Cassis mit Cidre, verlocken zu einem weiteren Glas. Natürlich darf der Wein nicht fehlen, beispielsweise in der verführerischen Form von Lillet. Der Aperitif enthält einen Weinanteil von 85 Prozent, dieser wird kombiniert mit Frucht- und Kräuterlikören mit Oran-gen, Chinarinde und mehr. Dazu kommt eine Fassreifung, und schon entsteht eine Fruchtigkeit mit einer zarten, komplex-herben Note, die auch gut in Mix-Drinks zur Geltung kommt, wie etwa in einer Variante des Hugo. Am besten schmeckt der Langzeittrend-Drink aber noch immer klassisch mit einem trockenen Weisswein. Erfunden wurde der Hugo in Südtirol und wird dort mit Zitronenmelissensirup zubereitet.
Von den Tresen Spaniens nicht mehr wegzudenken sind die waghalsigen Gin&Tonic-Variationen, nach denen die Einheimischen süchtig sind. Geschickt balancieren Letztere ihr Copa Balon, jenes riesige, kugelige Weinglas gefüllt mit Unmengen an Eiswürfeln. 
Zahlreiche Bestandteile des modernen Barbetriebs begannen ihre Karriere als potenzielles Heilmittel: Tonic Water spielte zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von Malaria bei den britischen Truppen in Indien, insbesondere aufgrund seines Chiningehalts. Die bittere Note jener Chinarinde wurde fortan durch den Einsatz von Limette, Zucker, Wasser und Gin schmackhaft gemacht. Der Gin Tonic erblickte das Licht der Welt. Der französische Aperitif «Kina» hat eine ähnliche Geschichte – hier wurde der Chinchin in Verbindung mit Wein den Soldaten verarbreicht. Bis heute wird ein solcher Aperitif in der Schweiz getrunken: Der «Kina L’Avion d’or» wird in der Destillerie von Oliver Matter mit Wein aus Cortese-Trauben hergestellt und mit einer chinchin-hältigen Kräuterinfusion verfeinert.  

Trockener Norden

Die kulinarische Verbindung zwischen Spanien und Grossbritannien entwickelte sich über die Jahrhunderte sehr beständig, und so ist Sherry im Vereinigten Königreich nie aus der Mode gekommen. Rings um die südspanische Atlantikküste, insbesondere bei der Stadt Jerez de la Frontera, reiht sich Bodega an Bodega, wo die Weine im Solera-Verfahren reifen und natürlich auch ausgeschenkt werden. Die Weine, deren Gärung abgebrochen wird, indem sie mit Alkohol, etwa Branntwein, angereichert werden, erlangten insbesondere durch britische Handelshäuser eine weite Verbreitung. 
Vor der Reblaus-Katastrophe im 19. Jahrhundert gingen beinahe 90 Prozent der Produktion nach England. Auch der Begriff Sherry ist den Briten zu verdanken, die sich mit der Aussprache von «Jerez» schwertaten. 
Der Kellermeister entscheidet, welche aromatische Facette sein Sherry aufweisen soll. Die süssen Varianten von Pedro Ximenéz oder Cream Sherry eignen sich gut zum Dessert. Für den Apéro darf es gerne etwas trockener und würziger sein, wie ein Fino oder Amontillado. Eine längere Reifezeit fügt noch weitere komplexe Aromen hinzu. Das kommt besonders elegant in einem Oloroso zur Geltung. Auch leere Sherry-Fässer sind auf den britischen Inseln sehr gefragt, insbesondere, um einen erlesenen Single Malt darin aromatisch zu verfeinern. Doch halt! Damit wären wir ja bereits beim Digestif.

INFO

Mahr Cocktails unter www.falstaff.ch/cocktails

Aus dem Falstaff Magazin Nr. 02/2017

Peter Eichhorn
Peter Eichhorn
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